Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schaltet sie lieber in der Mitte ein. Auch der Dialekt läßt jene Wahl¬
verwandtschaft erkennen, insofern ihn die Schweden für Deutsch, die
Deutschen aber für schwedisch halten. Es wird in dieser Küsten¬
gegend der letzte Versuch gemacht, unsere Sprache zu reden, und man
kann den Versuch nicht eben einen gelungenen nennen. Die Vocale
schlagen fast alle in ein dickes a und ö um; die Consonanten sind
indifferent geworden, und für den Fremden kaum zu unterscheiden.
Nachahmbar ist dieser Dialekt gar nicht, weil der Mund erst durch
den häufigen Genuß pommcr'scher Klöße diejenige Geräumigkeit er¬
halten haben muß, welche er nothwendig erfordert. So stolpert er
aus vollen Backen daher -- ein Dialekt in den Flegeljahren -- mit
spitzen Ellenbogen und schlotternden Beinen, stößt überall an und
erregt Lachen, wo er sich blicken läßt.

Was ich vorhin von,der Stadt Stralsund sagte, paßt ziemlich
für den ganzen Gau; er liegt auf der Schattenseite der Cultur, oder
stellt den Epheu vor, der sich mit zähen Ranken an die Schutt- und
Trümmerhaufen des Mittelalters klammert. Die Reaction kann kei¬
nen besseren Boden für ihren Samen finden, als den pommer'schen,
denn hier ist noch viel feudalistischer Urwald, den die Art des Fort¬
schritts selten angerührt. Man darf sich nur in Stralsund umsehen,
wie da im Rathhause, vor der langen Reihe von Nachtwächterspie¬
ßen, ernsthaft eine Wache steht, und wie die Leichenbitter mit Degen
bewaffnet einherschreiten, dann wird Einem schon ganz mittelalterlich
zu Muthe. Aber das sind äußerliche Erscheinungen, das ist nur des
Pudels Haut. Dahinter wohnt Vorliebe für Privilegien, Monopole
und Zunftwesen, welches Letztere selbst der Gewerbefreiheit wider¬
standen hat, ohne ihr einen Stein seiner chinesischen Mauer zu opfern.'
-- Die Ehrlichkeit der Pommern ist, wie ihre Grobheit, zum Sprich¬
wort geworden. "Grob hält gut!" sagen sie. Gerade, als ob ein
ehrlicher Mensch nicht auch höflich sein könnte.

Zwar ist Pommern ein stockprosaisches Land, aber Finsterniß
hat immer eine Art von grauenhafter Romantik, und darum gibt es
eine Menge pommer'scher Sagen, in denen fast regelmäßig Monsieur
Is Vi-Mo seine Rolle spielt. Sie sind wenig bekannt, und ich will
eine der hellsten und frischesten wiederzugeben suchen.

Bei Stargard liegt, zwischen fetten Weidenhügeln, die Madüe,
ein platter blauer See, und vor der Reformation spiegelten sich die


schaltet sie lieber in der Mitte ein. Auch der Dialekt läßt jene Wahl¬
verwandtschaft erkennen, insofern ihn die Schweden für Deutsch, die
Deutschen aber für schwedisch halten. Es wird in dieser Küsten¬
gegend der letzte Versuch gemacht, unsere Sprache zu reden, und man
kann den Versuch nicht eben einen gelungenen nennen. Die Vocale
schlagen fast alle in ein dickes a und ö um; die Consonanten sind
indifferent geworden, und für den Fremden kaum zu unterscheiden.
Nachahmbar ist dieser Dialekt gar nicht, weil der Mund erst durch
den häufigen Genuß pommcr'scher Klöße diejenige Geräumigkeit er¬
halten haben muß, welche er nothwendig erfordert. So stolpert er
aus vollen Backen daher — ein Dialekt in den Flegeljahren — mit
spitzen Ellenbogen und schlotternden Beinen, stößt überall an und
erregt Lachen, wo er sich blicken läßt.

Was ich vorhin von,der Stadt Stralsund sagte, paßt ziemlich
für den ganzen Gau; er liegt auf der Schattenseite der Cultur, oder
stellt den Epheu vor, der sich mit zähen Ranken an die Schutt- und
Trümmerhaufen des Mittelalters klammert. Die Reaction kann kei¬
nen besseren Boden für ihren Samen finden, als den pommer'schen,
denn hier ist noch viel feudalistischer Urwald, den die Art des Fort¬
schritts selten angerührt. Man darf sich nur in Stralsund umsehen,
wie da im Rathhause, vor der langen Reihe von Nachtwächterspie¬
ßen, ernsthaft eine Wache steht, und wie die Leichenbitter mit Degen
bewaffnet einherschreiten, dann wird Einem schon ganz mittelalterlich
zu Muthe. Aber das sind äußerliche Erscheinungen, das ist nur des
Pudels Haut. Dahinter wohnt Vorliebe für Privilegien, Monopole
und Zunftwesen, welches Letztere selbst der Gewerbefreiheit wider¬
standen hat, ohne ihr einen Stein seiner chinesischen Mauer zu opfern.'
— Die Ehrlichkeit der Pommern ist, wie ihre Grobheit, zum Sprich¬
wort geworden. „Grob hält gut!" sagen sie. Gerade, als ob ein
ehrlicher Mensch nicht auch höflich sein könnte.

Zwar ist Pommern ein stockprosaisches Land, aber Finsterniß
hat immer eine Art von grauenhafter Romantik, und darum gibt es
eine Menge pommer'scher Sagen, in denen fast regelmäßig Monsieur
Is Vi-Mo seine Rolle spielt. Sie sind wenig bekannt, und ich will
eine der hellsten und frischesten wiederzugeben suchen.

Bei Stargard liegt, zwischen fetten Weidenhügeln, die Madüe,
ein platter blauer See, und vor der Reformation spiegelten sich die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180683"/>
            <p xml:id="ID_265" prev="#ID_264"> schaltet sie lieber in der Mitte ein. Auch der Dialekt läßt jene Wahl¬<lb/>
verwandtschaft erkennen, insofern ihn die Schweden für Deutsch, die<lb/>
Deutschen aber für schwedisch halten. Es wird in dieser Küsten¬<lb/>
gegend der letzte Versuch gemacht, unsere Sprache zu reden, und man<lb/>
kann den Versuch nicht eben einen gelungenen nennen. Die Vocale<lb/>
schlagen fast alle in ein dickes a und ö um; die Consonanten sind<lb/>
indifferent geworden, und für den Fremden kaum zu unterscheiden.<lb/>
Nachahmbar ist dieser Dialekt gar nicht, weil der Mund erst durch<lb/>
den häufigen Genuß pommcr'scher Klöße diejenige Geräumigkeit er¬<lb/>
halten haben muß, welche er nothwendig erfordert. So stolpert er<lb/>
aus vollen Backen daher &#x2014; ein Dialekt in den Flegeljahren &#x2014; mit<lb/>
spitzen Ellenbogen und schlotternden Beinen, stößt überall an und<lb/>
erregt Lachen, wo er sich blicken läßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_266"> Was ich vorhin von,der Stadt Stralsund sagte, paßt ziemlich<lb/>
für den ganzen Gau; er liegt auf der Schattenseite der Cultur, oder<lb/>
stellt den Epheu vor, der sich mit zähen Ranken an die Schutt- und<lb/>
Trümmerhaufen des Mittelalters klammert. Die Reaction kann kei¬<lb/>
nen besseren Boden für ihren Samen finden, als den pommer'schen,<lb/>
denn hier ist noch viel feudalistischer Urwald, den die Art des Fort¬<lb/>
schritts selten angerührt. Man darf sich nur in Stralsund umsehen,<lb/>
wie da im Rathhause, vor der langen Reihe von Nachtwächterspie¬<lb/>
ßen, ernsthaft eine Wache steht, und wie die Leichenbitter mit Degen<lb/>
bewaffnet einherschreiten, dann wird Einem schon ganz mittelalterlich<lb/>
zu Muthe. Aber das sind äußerliche Erscheinungen, das ist nur des<lb/>
Pudels Haut. Dahinter wohnt Vorliebe für Privilegien, Monopole<lb/>
und Zunftwesen, welches Letztere selbst der Gewerbefreiheit wider¬<lb/>
standen hat, ohne ihr einen Stein seiner chinesischen Mauer zu opfern.'<lb/>
&#x2014; Die Ehrlichkeit der Pommern ist, wie ihre Grobheit, zum Sprich¬<lb/>
wort geworden. &#x201E;Grob hält gut!" sagen sie. Gerade, als ob ein<lb/>
ehrlicher Mensch nicht auch höflich sein könnte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_267"> Zwar ist Pommern ein stockprosaisches Land, aber Finsterniß<lb/>
hat immer eine Art von grauenhafter Romantik, und darum gibt es<lb/>
eine Menge pommer'scher Sagen, in denen fast regelmäßig Monsieur<lb/>
Is Vi-Mo seine Rolle spielt. Sie sind wenig bekannt, und ich will<lb/>
eine der hellsten und frischesten wiederzugeben suchen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_268" next="#ID_269"> Bei Stargard liegt, zwischen fetten Weidenhügeln, die Madüe,<lb/>
ein platter blauer See, und vor der Reformation spiegelten sich die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0124] schaltet sie lieber in der Mitte ein. Auch der Dialekt läßt jene Wahl¬ verwandtschaft erkennen, insofern ihn die Schweden für Deutsch, die Deutschen aber für schwedisch halten. Es wird in dieser Küsten¬ gegend der letzte Versuch gemacht, unsere Sprache zu reden, und man kann den Versuch nicht eben einen gelungenen nennen. Die Vocale schlagen fast alle in ein dickes a und ö um; die Consonanten sind indifferent geworden, und für den Fremden kaum zu unterscheiden. Nachahmbar ist dieser Dialekt gar nicht, weil der Mund erst durch den häufigen Genuß pommcr'scher Klöße diejenige Geräumigkeit er¬ halten haben muß, welche er nothwendig erfordert. So stolpert er aus vollen Backen daher — ein Dialekt in den Flegeljahren — mit spitzen Ellenbogen und schlotternden Beinen, stößt überall an und erregt Lachen, wo er sich blicken läßt. Was ich vorhin von,der Stadt Stralsund sagte, paßt ziemlich für den ganzen Gau; er liegt auf der Schattenseite der Cultur, oder stellt den Epheu vor, der sich mit zähen Ranken an die Schutt- und Trümmerhaufen des Mittelalters klammert. Die Reaction kann kei¬ nen besseren Boden für ihren Samen finden, als den pommer'schen, denn hier ist noch viel feudalistischer Urwald, den die Art des Fort¬ schritts selten angerührt. Man darf sich nur in Stralsund umsehen, wie da im Rathhause, vor der langen Reihe von Nachtwächterspie¬ ßen, ernsthaft eine Wache steht, und wie die Leichenbitter mit Degen bewaffnet einherschreiten, dann wird Einem schon ganz mittelalterlich zu Muthe. Aber das sind äußerliche Erscheinungen, das ist nur des Pudels Haut. Dahinter wohnt Vorliebe für Privilegien, Monopole und Zunftwesen, welches Letztere selbst der Gewerbefreiheit wider¬ standen hat, ohne ihr einen Stein seiner chinesischen Mauer zu opfern.' — Die Ehrlichkeit der Pommern ist, wie ihre Grobheit, zum Sprich¬ wort geworden. „Grob hält gut!" sagen sie. Gerade, als ob ein ehrlicher Mensch nicht auch höflich sein könnte. Zwar ist Pommern ein stockprosaisches Land, aber Finsterniß hat immer eine Art von grauenhafter Romantik, und darum gibt es eine Menge pommer'scher Sagen, in denen fast regelmäßig Monsieur Is Vi-Mo seine Rolle spielt. Sie sind wenig bekannt, und ich will eine der hellsten und frischesten wiederzugeben suchen. Bei Stargard liegt, zwischen fetten Weidenhügeln, die Madüe, ein platter blauer See, und vor der Reformation spiegelten sich die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/124
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/124>, abgerufen am 23.12.2024.