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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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den Mantel und schlief ein. Als ich erwachte, war das Wetter kalt
und trübe; die Sonne ging hinter Wolken auf, und bald fing ein
betriebsamer Regen an zu strömen. Wir erreichten Greifswald, eine
öde, graue Stadt, in der uns glücklicherweise warmer Kaffee erwar¬
tete. -- Die Ostsee kündigt sich unscheinbar an -- man glaubt ei¬
nem Landsee entgegenzureisen. Unsere Berlinerin, oder vielleicht so¬
gar Potsdamerin, welche den Cooper, den Sue und den Marryat
gelesen hatte und jetzt nach Putbus in's Seebad ging, wollte uns
trotz aller Betheuerungen nicht glauben, daß sie das baltische Meer
vor Augen habe. Ihr fehlte das Erschütternde des Anblicks, das
Wellengebrause, Mövengeschrill und Sturmgeheule. Statt dessen fand
sie nur einen kahlen Wasserstreifen, flache Ufer, hier und drüben und
zur Seite festes Land -- die Dame würde sehr unbefriedigt gewesen
sein, wenn sie nicht Alles sür Scherz gehalten hätte.
'

Stralsund hat durch Wallensteins Schwur: "Ich muß es haben,
und wenn es mit Ketten am Himmel hinge!" eine unverdiente Be¬
rühmtheit erlangt. Das ist gerade, als wenn Journalisten das fade
Buch irgend eines befreundeten Autors durch gigantische Redensarten
künstlich emporgeschraubt hätten. Mit großen Erwartungen nimmt
man es zur Hand und findet Nichts als -- Langeweile. Stralsund
liegt auf der Schattenseite der Cultur, und man merkt wohl, daß
schmutzige Fischhändler es gegründet haben. Plumpe, unschöne Gie¬
belhäuser, krummenge Gäßchen, elendes Pflaster -- das ist die Stadt.
Ein schmaler Weg am Ufer, voller Gerümpel, Balken, alten Fässern
und Unreinlichkeiten -- das ist der Hafendamm. Und hier sollte ich
achtundvierzig Stunden verweilen! Nach Rügen konnte ich nicht hin¬
über, denn die Dächer glänzten naß, und aus allen Rinnen, von
allen Bäumen troff der Regen hastig herab.

Ein Aufenthalt in diesem Theile Pommerns kann übrigens wohl
als Vorstudium zu einer Reise nach Schweden betrachtet werden. Es
herrscht eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen beiden Ländern,
und die Provinz Schonen hat in Boden und Vegetation noch ganz
den pommer'sehen Charakter. Außerdem mußten, durch eine zweihun¬
dertjährige politische Verbindung mit Skandinavien, viele schwedische
Sitten hier Wurzel fassen. Die Lebensweise der Stralsunder hat noch
mancherlei Fremdartiges in sich, und man pflegt die Suppe nicht als
die nothwendige Ouvertüre einer Mittagöoper zu betrachten, sondern


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den Mantel und schlief ein. Als ich erwachte, war das Wetter kalt
und trübe; die Sonne ging hinter Wolken auf, und bald fing ein
betriebsamer Regen an zu strömen. Wir erreichten Greifswald, eine
öde, graue Stadt, in der uns glücklicherweise warmer Kaffee erwar¬
tete. — Die Ostsee kündigt sich unscheinbar an — man glaubt ei¬
nem Landsee entgegenzureisen. Unsere Berlinerin, oder vielleicht so¬
gar Potsdamerin, welche den Cooper, den Sue und den Marryat
gelesen hatte und jetzt nach Putbus in's Seebad ging, wollte uns
trotz aller Betheuerungen nicht glauben, daß sie das baltische Meer
vor Augen habe. Ihr fehlte das Erschütternde des Anblicks, das
Wellengebrause, Mövengeschrill und Sturmgeheule. Statt dessen fand
sie nur einen kahlen Wasserstreifen, flache Ufer, hier und drüben und
zur Seite festes Land — die Dame würde sehr unbefriedigt gewesen
sein, wenn sie nicht Alles sür Scherz gehalten hätte.
'

Stralsund hat durch Wallensteins Schwur: „Ich muß es haben,
und wenn es mit Ketten am Himmel hinge!" eine unverdiente Be¬
rühmtheit erlangt. Das ist gerade, als wenn Journalisten das fade
Buch irgend eines befreundeten Autors durch gigantische Redensarten
künstlich emporgeschraubt hätten. Mit großen Erwartungen nimmt
man es zur Hand und findet Nichts als — Langeweile. Stralsund
liegt auf der Schattenseite der Cultur, und man merkt wohl, daß
schmutzige Fischhändler es gegründet haben. Plumpe, unschöne Gie¬
belhäuser, krummenge Gäßchen, elendes Pflaster — das ist die Stadt.
Ein schmaler Weg am Ufer, voller Gerümpel, Balken, alten Fässern
und Unreinlichkeiten — das ist der Hafendamm. Und hier sollte ich
achtundvierzig Stunden verweilen! Nach Rügen konnte ich nicht hin¬
über, denn die Dächer glänzten naß, und aus allen Rinnen, von
allen Bäumen troff der Regen hastig herab.

Ein Aufenthalt in diesem Theile Pommerns kann übrigens wohl
als Vorstudium zu einer Reise nach Schweden betrachtet werden. Es
herrscht eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen beiden Ländern,
und die Provinz Schonen hat in Boden und Vegetation noch ganz
den pommer'sehen Charakter. Außerdem mußten, durch eine zweihun¬
dertjährige politische Verbindung mit Skandinavien, viele schwedische
Sitten hier Wurzel fassen. Die Lebensweise der Stralsunder hat noch
mancherlei Fremdartiges in sich, und man pflegt die Suppe nicht als
die nothwendige Ouvertüre einer Mittagöoper zu betrachten, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/123>, abgerufen am 03.07.2024.