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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Prügel, als ein Anderer, und zwar aus Nationalhaß. Er -- der
Erzähler -- müsse das wissen, denn er sei ein Pasewalker von Ge¬
burt und habe fünf Jahre lang das Prenzlauer Gymnasium besucht.

Mir gegenüber saß eine Dame mit vollem Elfenbeinarm, dem
man ansah, daß er gewöhnlich kalt war, daß er aber in traulichen
Stunden sür einen Pygmalion wohl feuriges Leben gewinnen mochte.
.Allen Anzeichen nach mußte sie aus Berlin, oder vielleicht sogar aus
Potsdam sein. Die Dame lächelte beim Schluß der Erzählung. --
Uebrigens ist es wahr: es gab eine Zeit in diesem Winkel zwischen
Oder und Elbe, wo Städte, Ritter und Geistlichkeit einander rastlos
in den Haaren lagen, wie der treffliche Klöden das in seinem "Quitzow's"
so frisch, so treu und so naiv zu erzählen weiß. Noch findet man
hin und wieder auf einzelnen Anhöhen, zwischen Fichten- und Eichen¬
waldungen, die Trümmer von Burgen, in denen jene märkischen
Recken gewohnt haben. Originelle Raus- und Saufbolde, die immer
Courage und Durst besaßen, und die wo möglich noch tiefer in Schul¬
den steckten, als ihre ritterbürtige Nachkommenschaft.

Der Pasewalker sagte, es sei sehr Schade um jene Zeit, und
Alles müsse aufgeboten werden, sie wieder zurückzuführen. Damals
war der Edelmann noch was werth und konnte leben wie Gott in
Frankreich. Wenn zwei Adelige Krieg hatten, so machten sie sich
ein wahres Vergnügen daraus; sie brannten dann nämlich die Dorf-
schaften ihres Gegners nieder und trieben den Bauern ihre Heerden
fort. Sich selber aber thaten sie Nichts. Und wenn doch zufällig
Ritter Jobst in die Gefangenschaft des Ritters Kurt geriet!), so sprach
der Letztere: Ritter Jobst, Ihr seid mein Gefangener auf Ehrenwort
und müßt mir fünfhundert Thaler Lösegeld bezahlen! Nun jagten
und soffen die Beiden den ganzen Tag zusammen. Ritter Jobst aber
schrieb an seinen Vogt, er solle die sünftundert Thaler, gut oder bös,
von den Unterthanen eintreiben, und diese mußten bezahlen, damit
ihr "gnädiger Herr" nur wieder heimkehren konnte. Ja, bei Gott!
Es war eine schöne Zeit, und ich hoffe sie bald von Neuem aufleben
zu sehen, fügte er mit einem Gesichte hinzu, welches polizeiwidrig
dumm aussah.

Ich fragte ihn, ob er vielleicht auf die deutsche Adelszeitung
abonnirt sei, er antwortete "Ja!" und wir kamen nach Anklam, als
der Wächter eben Mitternacht abtütete. Fröstelnd hüllte ich mich in


Prügel, als ein Anderer, und zwar aus Nationalhaß. Er — der
Erzähler — müsse das wissen, denn er sei ein Pasewalker von Ge¬
burt und habe fünf Jahre lang das Prenzlauer Gymnasium besucht.

Mir gegenüber saß eine Dame mit vollem Elfenbeinarm, dem
man ansah, daß er gewöhnlich kalt war, daß er aber in traulichen
Stunden sür einen Pygmalion wohl feuriges Leben gewinnen mochte.
.Allen Anzeichen nach mußte sie aus Berlin, oder vielleicht sogar aus
Potsdam sein. Die Dame lächelte beim Schluß der Erzählung. —
Uebrigens ist es wahr: es gab eine Zeit in diesem Winkel zwischen
Oder und Elbe, wo Städte, Ritter und Geistlichkeit einander rastlos
in den Haaren lagen, wie der treffliche Klöden das in seinem „Quitzow's"
so frisch, so treu und so naiv zu erzählen weiß. Noch findet man
hin und wieder auf einzelnen Anhöhen, zwischen Fichten- und Eichen¬
waldungen, die Trümmer von Burgen, in denen jene märkischen
Recken gewohnt haben. Originelle Raus- und Saufbolde, die immer
Courage und Durst besaßen, und die wo möglich noch tiefer in Schul¬
den steckten, als ihre ritterbürtige Nachkommenschaft.

Der Pasewalker sagte, es sei sehr Schade um jene Zeit, und
Alles müsse aufgeboten werden, sie wieder zurückzuführen. Damals
war der Edelmann noch was werth und konnte leben wie Gott in
Frankreich. Wenn zwei Adelige Krieg hatten, so machten sie sich
ein wahres Vergnügen daraus; sie brannten dann nämlich die Dorf-
schaften ihres Gegners nieder und trieben den Bauern ihre Heerden
fort. Sich selber aber thaten sie Nichts. Und wenn doch zufällig
Ritter Jobst in die Gefangenschaft des Ritters Kurt geriet!), so sprach
der Letztere: Ritter Jobst, Ihr seid mein Gefangener auf Ehrenwort
und müßt mir fünfhundert Thaler Lösegeld bezahlen! Nun jagten
und soffen die Beiden den ganzen Tag zusammen. Ritter Jobst aber
schrieb an seinen Vogt, er solle die sünftundert Thaler, gut oder bös,
von den Unterthanen eintreiben, und diese mußten bezahlen, damit
ihr „gnädiger Herr" nur wieder heimkehren konnte. Ja, bei Gott!
Es war eine schöne Zeit, und ich hoffe sie bald von Neuem aufleben
zu sehen, fügte er mit einem Gesichte hinzu, welches polizeiwidrig
dumm aussah.

Ich fragte ihn, ob er vielleicht auf die deutsche Adelszeitung
abonnirt sei, er antwortete „Ja!" und wir kamen nach Anklam, als
der Wächter eben Mitternacht abtütete. Fröstelnd hüllte ich mich in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/122>, abgerufen am 01.07.2024.