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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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ten; und daran ist blos unsere schwache nationale Haltung und vor
Allem unsere Ohnmacht zur See schuld.

Bald hatte ich einen wichtigen Punkt vergessen, der für die politische
Weisheit, die vernünftige Humanität dieses Staates zeugt und
für den deutschen Ansiedler ein unschätzbarer Vortheil wäre: hier hat
er nicht die jüdische Concurrenz zu fürchten, die ihm, und gerade nur
ihm, in Europa so viel trauriges Herzleid bereitet. Hier kann es
nicht passiren, daß man mit einem gebildeten, oder wohlhabenden oder
gar beide Eigenschaften vereinigenden Manne spricht und hinterher
erfahren muß, es sei ein Jude; in keiner Gesellschaft wird das Auge
durch den Anblick von Aerzten, Schriftstellern oder Künstlern belei¬
digt, die eigentlich Juden sind. Eben so wenig wird der Handels¬
mann, der Handwerker oder Krämer sein Gewerke durch die Theil¬
nahme dieser ganz undeutschen Race verunehrt sehen und mit ihrem
unbefugten Fleiß und Geschick concurriren müssen. Endlich wird Ei¬
nem der widerliche Eindruck erspart, wirkliche Deutsche zu sehen, die
in moderner Sentimentalität und Selbstvergessenheit mit diesen Leu¬
ten wie mit ihres Gleichen umgehen. Mancher Staat ist einmal da¬
zu verurtheilt, eine große Anzahl Juden unter seinen Unterthanen zu
zählen, und kann sich ihrer nicht entledigen; denn sie sind anmaßend
genug, ihre Existenz damit zu entschuldigen, daß sie seit mehr als tau¬
send Jahren da seien; als ob ein Unrecht durch die Zeit zum Recht
würde. Warum haben solche Staaten nicht den Muth, Marocco's
Beispiel zu folgen? Marocco hat diese unangenehme Menschenclasse
in die ihr gebührenden Schranken gewiesen, innerhalb derselben aber
ihr jede menschliche Freiheit gelassen. Sie zahlen eine sehr einträgliche
Kopfsteuer und können dafür auf bestimmten abgelegenen Plätzen
wohnen und ihre Todten begraben; sogar eine gewisse Sorte von Ge¬
werben ist ihnen zum Lebensunterhalt gestattet, so dürfen sie z. B.
Wasserträger, Kanalraumer und Abdecker werden; wo ich nicht irre,
sind sie zu letzterer Hanthierung sogar verpflichtet. Und ich gestehe
gern, daß mir ein solcher Jude weniger unangenehm ist, als ein gebilde¬
ter, den ich am Ende als ebenbürtigen Menschen behandeln soll. Die
schwere körperliche Arbeit hat den Vortheil, daß sie keine höheren Be¬
dürfnisse in ihnen aufkommen laßt, so daß die übrige Bevölkerung
vor jeder neidischen Regung bewahrt ist. Selbst den Judenhaß kennt
man hier nicht, da der Haß in der Verachtung untergeht, die ihr Zu¬
stand einflößen muß. Man lege nur die falsche Scham ab und handle
auf ähnliche Weise, so wird das ekelhafte Geschrei nach Judeneman¬
cipation bald aufhören.

Nach diesem Allen können Sie sich denken, welches hier die all¬
gemeine Stimme über das Aerwürfniß mit Spanien ist. Wahrlich,
Spanien hat durch seine curiose Empfindlichkeit seine politische Un¬
reife sattsam erwiesen. Sie haben vielleicht gehört, daß jenes Land


ten; und daran ist blos unsere schwache nationale Haltung und vor
Allem unsere Ohnmacht zur See schuld.

Bald hatte ich einen wichtigen Punkt vergessen, der für die politische
Weisheit, die vernünftige Humanität dieses Staates zeugt und
für den deutschen Ansiedler ein unschätzbarer Vortheil wäre: hier hat
er nicht die jüdische Concurrenz zu fürchten, die ihm, und gerade nur
ihm, in Europa so viel trauriges Herzleid bereitet. Hier kann es
nicht passiren, daß man mit einem gebildeten, oder wohlhabenden oder
gar beide Eigenschaften vereinigenden Manne spricht und hinterher
erfahren muß, es sei ein Jude; in keiner Gesellschaft wird das Auge
durch den Anblick von Aerzten, Schriftstellern oder Künstlern belei¬
digt, die eigentlich Juden sind. Eben so wenig wird der Handels¬
mann, der Handwerker oder Krämer sein Gewerke durch die Theil¬
nahme dieser ganz undeutschen Race verunehrt sehen und mit ihrem
unbefugten Fleiß und Geschick concurriren müssen. Endlich wird Ei¬
nem der widerliche Eindruck erspart, wirkliche Deutsche zu sehen, die
in moderner Sentimentalität und Selbstvergessenheit mit diesen Leu¬
ten wie mit ihres Gleichen umgehen. Mancher Staat ist einmal da¬
zu verurtheilt, eine große Anzahl Juden unter seinen Unterthanen zu
zählen, und kann sich ihrer nicht entledigen; denn sie sind anmaßend
genug, ihre Existenz damit zu entschuldigen, daß sie seit mehr als tau¬
send Jahren da seien; als ob ein Unrecht durch die Zeit zum Recht
würde. Warum haben solche Staaten nicht den Muth, Marocco's
Beispiel zu folgen? Marocco hat diese unangenehme Menschenclasse
in die ihr gebührenden Schranken gewiesen, innerhalb derselben aber
ihr jede menschliche Freiheit gelassen. Sie zahlen eine sehr einträgliche
Kopfsteuer und können dafür auf bestimmten abgelegenen Plätzen
wohnen und ihre Todten begraben; sogar eine gewisse Sorte von Ge¬
werben ist ihnen zum Lebensunterhalt gestattet, so dürfen sie z. B.
Wasserträger, Kanalraumer und Abdecker werden; wo ich nicht irre,
sind sie zu letzterer Hanthierung sogar verpflichtet. Und ich gestehe
gern, daß mir ein solcher Jude weniger unangenehm ist, als ein gebilde¬
ter, den ich am Ende als ebenbürtigen Menschen behandeln soll. Die
schwere körperliche Arbeit hat den Vortheil, daß sie keine höheren Be¬
dürfnisse in ihnen aufkommen laßt, so daß die übrige Bevölkerung
vor jeder neidischen Regung bewahrt ist. Selbst den Judenhaß kennt
man hier nicht, da der Haß in der Verachtung untergeht, die ihr Zu¬
stand einflößen muß. Man lege nur die falsche Scham ab und handle
auf ähnliche Weise, so wird das ekelhafte Geschrei nach Judeneman¬
cipation bald aufhören.

Nach diesem Allen können Sie sich denken, welches hier die all¬
gemeine Stimme über das Aerwürfniß mit Spanien ist. Wahrlich,
Spanien hat durch seine curiose Empfindlichkeit seine politische Un¬
reife sattsam erwiesen. Sie haben vielleicht gehört, daß jenes Land


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/102>, abgerufen am 23.07.2024.