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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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hier einen Consul, Namens Darmont hatte, der -- eigentlich ein Jude
war. Denken Sie, das ritterliche, altkatholische Spanien, welches
selbst in bessern Tagen das heroische Beispiel gab und sämmtliche Kin¬
der Israels aus dem Lande trieb oder verbrannte! Wenn das Ca-
binet von Madrid selbst nicht so viel Zartgefühl hatte, um das Un¬
schickliche und Peinliche dieses Verhältnisses zu erkennen, so sollte es
wenigstens dem hiesigen Cabinet danken, das so delicat war, um im
Stillen für es zu 'handeln. Mulei Abderrhaman, in edler Weise
der uralten Fehden zwischen Mauren und Spaniern vergessend, ließ
nämlich diesem Darmont durch eine feine diplomatische Wendung den
Kopf abschlagen. Daß Frankreich mit seinem hohlen Liberalismus
darüber aufbrausen würde, ließ sich erwarten; aber Spanien hatten
wir mehr Tact und weniger Donquiroterie zugetraut.

Zum Schlüsse möchte ich Sie bitten, in meinem Namen der
deutschen Presse zu bedeuten, daß es sehr unklug wäre, gegen einen
Staat von dem Umfang und der Macht Maroccos fortwährend mit
kränkenden Spötteleien zu polemisiren, wie es seit einiger Zeit, in Be¬
zug auf einen großen nordischen Staat, Mode geworden ist. Die
deutschen Zeitungen wissen gar nicht, wie sehr sie die Censur nöthig
haben, da selbst diese sie nicht vor gefährlichen Verirrungen behüte"
kann. Mit wahrer Genugthuung las ich gestern in der Allgemeinen
Zeitung eine warnende Notiz der Art, die von einem wohlwollenden
und in die Verhältnisse tief eingeweihten Manne herrührt. Noch einmal,
es ist sehr unklug, die Sympathien jener großen Mächte zu verscher¬
zen, die am Ende die einzige Bürgschaft für den Bestand Verkleinern
Souveränetaten bei uns sind. Man sollte doch so viel sehen, daß
gewisse Meoiatisirungsgclüste noch immer nicht ganz eingeschlafen sind.
Hochachtungsvoll Ihr ergebenster :c. -c.

-- Die schönsten Worte sind heutzutage am wenigsten eine
Wahrheit; ganze Zeit - und Nationalstimmungen, die sich mit vollen
Backen ausposaunen, werden oft durch Ein vielsagendes Factum
schneidend widerlegt und zeigen sich als die hohle Blase, die sie
sind. Ja, man hat auf manchen Seiten eine förmliche Manie, Nichts
rein zu lassen und überall eine Spur seiner Erbärmlichkeit anzubrin¬
gen; ich denke dabei stets an die Erzählung eines Reisenden, der sich
beklagte, daß ihm in Preußen die schönsten Gegenden seltsam verlei¬
det wurden; bald sah er bei einer romantischen Schloßruine am Rhein
die schmutzigen Jacken preußischer Husaren zum Fenster heraushängen,
bald drängte 'sich auf dem schönsten Punkt, auf dem eigentlichen Bel-
vedere einer malerischen Gegend -- das Zuchthaus vor mit frechro-
lhen Ziegelmauern. Der Mann war unstreitig ein Hypochonder, aber
etwas Wahres ist doch dran. Auch uns wird, die "schöne Ge-


hier einen Consul, Namens Darmont hatte, der — eigentlich ein Jude
war. Denken Sie, das ritterliche, altkatholische Spanien, welches
selbst in bessern Tagen das heroische Beispiel gab und sämmtliche Kin¬
der Israels aus dem Lande trieb oder verbrannte! Wenn das Ca-
binet von Madrid selbst nicht so viel Zartgefühl hatte, um das Un¬
schickliche und Peinliche dieses Verhältnisses zu erkennen, so sollte es
wenigstens dem hiesigen Cabinet danken, das so delicat war, um im
Stillen für es zu 'handeln. Mulei Abderrhaman, in edler Weise
der uralten Fehden zwischen Mauren und Spaniern vergessend, ließ
nämlich diesem Darmont durch eine feine diplomatische Wendung den
Kopf abschlagen. Daß Frankreich mit seinem hohlen Liberalismus
darüber aufbrausen würde, ließ sich erwarten; aber Spanien hatten
wir mehr Tact und weniger Donquiroterie zugetraut.

Zum Schlüsse möchte ich Sie bitten, in meinem Namen der
deutschen Presse zu bedeuten, daß es sehr unklug wäre, gegen einen
Staat von dem Umfang und der Macht Maroccos fortwährend mit
kränkenden Spötteleien zu polemisiren, wie es seit einiger Zeit, in Be¬
zug auf einen großen nordischen Staat, Mode geworden ist. Die
deutschen Zeitungen wissen gar nicht, wie sehr sie die Censur nöthig
haben, da selbst diese sie nicht vor gefährlichen Verirrungen behüte»
kann. Mit wahrer Genugthuung las ich gestern in der Allgemeinen
Zeitung eine warnende Notiz der Art, die von einem wohlwollenden
und in die Verhältnisse tief eingeweihten Manne herrührt. Noch einmal,
es ist sehr unklug, die Sympathien jener großen Mächte zu verscher¬
zen, die am Ende die einzige Bürgschaft für den Bestand Verkleinern
Souveränetaten bei uns sind. Man sollte doch so viel sehen, daß
gewisse Meoiatisirungsgclüste noch immer nicht ganz eingeschlafen sind.
Hochachtungsvoll Ihr ergebenster :c. -c.

— Die schönsten Worte sind heutzutage am wenigsten eine
Wahrheit; ganze Zeit - und Nationalstimmungen, die sich mit vollen
Backen ausposaunen, werden oft durch Ein vielsagendes Factum
schneidend widerlegt und zeigen sich als die hohle Blase, die sie
sind. Ja, man hat auf manchen Seiten eine förmliche Manie, Nichts
rein zu lassen und überall eine Spur seiner Erbärmlichkeit anzubrin¬
gen; ich denke dabei stets an die Erzählung eines Reisenden, der sich
beklagte, daß ihm in Preußen die schönsten Gegenden seltsam verlei¬
det wurden; bald sah er bei einer romantischen Schloßruine am Rhein
die schmutzigen Jacken preußischer Husaren zum Fenster heraushängen,
bald drängte 'sich auf dem schönsten Punkt, auf dem eigentlichen Bel-
vedere einer malerischen Gegend — das Zuchthaus vor mit frechro-
lhen Ziegelmauern. Der Mann war unstreitig ein Hypochonder, aber
etwas Wahres ist doch dran. Auch uns wird, die „schöne Ge-


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[0103] hier einen Consul, Namens Darmont hatte, der — eigentlich ein Jude war. Denken Sie, das ritterliche, altkatholische Spanien, welches selbst in bessern Tagen das heroische Beispiel gab und sämmtliche Kin¬ der Israels aus dem Lande trieb oder verbrannte! Wenn das Ca- binet von Madrid selbst nicht so viel Zartgefühl hatte, um das Un¬ schickliche und Peinliche dieses Verhältnisses zu erkennen, so sollte es wenigstens dem hiesigen Cabinet danken, das so delicat war, um im Stillen für es zu 'handeln. Mulei Abderrhaman, in edler Weise der uralten Fehden zwischen Mauren und Spaniern vergessend, ließ nämlich diesem Darmont durch eine feine diplomatische Wendung den Kopf abschlagen. Daß Frankreich mit seinem hohlen Liberalismus darüber aufbrausen würde, ließ sich erwarten; aber Spanien hatten wir mehr Tact und weniger Donquiroterie zugetraut. Zum Schlüsse möchte ich Sie bitten, in meinem Namen der deutschen Presse zu bedeuten, daß es sehr unklug wäre, gegen einen Staat von dem Umfang und der Macht Maroccos fortwährend mit kränkenden Spötteleien zu polemisiren, wie es seit einiger Zeit, in Be¬ zug auf einen großen nordischen Staat, Mode geworden ist. Die deutschen Zeitungen wissen gar nicht, wie sehr sie die Censur nöthig haben, da selbst diese sie nicht vor gefährlichen Verirrungen behüte» kann. Mit wahrer Genugthuung las ich gestern in der Allgemeinen Zeitung eine warnende Notiz der Art, die von einem wohlwollenden und in die Verhältnisse tief eingeweihten Manne herrührt. Noch einmal, es ist sehr unklug, die Sympathien jener großen Mächte zu verscher¬ zen, die am Ende die einzige Bürgschaft für den Bestand Verkleinern Souveränetaten bei uns sind. Man sollte doch so viel sehen, daß gewisse Meoiatisirungsgclüste noch immer nicht ganz eingeschlafen sind. Hochachtungsvoll Ihr ergebenster :c. -c. — Die schönsten Worte sind heutzutage am wenigsten eine Wahrheit; ganze Zeit - und Nationalstimmungen, die sich mit vollen Backen ausposaunen, werden oft durch Ein vielsagendes Factum schneidend widerlegt und zeigen sich als die hohle Blase, die sie sind. Ja, man hat auf manchen Seiten eine förmliche Manie, Nichts rein zu lassen und überall eine Spur seiner Erbärmlichkeit anzubrin¬ gen; ich denke dabei stets an die Erzählung eines Reisenden, der sich beklagte, daß ihm in Preußen die schönsten Gegenden seltsam verlei¬ det wurden; bald sah er bei einer romantischen Schloßruine am Rhein die schmutzigen Jacken preußischer Husaren zum Fenster heraushängen, bald drängte 'sich auf dem schönsten Punkt, auf dem eigentlichen Bel- vedere einer malerischen Gegend — das Zuchthaus vor mit frechro- lhen Ziegelmauern. Der Mann war unstreitig ein Hypochonder, aber etwas Wahres ist doch dran. Auch uns wird, die „schöne Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/103>, abgerufen am 23.07.2024.