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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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mit großartig barockem Humor zu tändeln liebte, pflegte, wenn er zu
Pferde stieg, jedesmal dem aufwartenden Sklaven den Kopf abzu¬
schlagen; Äbderrhaman ist mehr von religiös melancholischen Sinn er¬
füllt und vergießt nur selten theurer Diener Blut, wenn er nicht
gereizt wird. -- Beiläufig bemerkt, hat seine Majestät durchaus kei¬
nen Anstand genommen, den Hoheitstitcl, dem unser theurer Landes¬
fürst sich beizulegen geruhte, freundlich anzuerkennen.

Der musterhafte Geist, der die Armee beseelt, ist wohl nur der
Frömmigkeit des Kaisers zuzuschreiben; die Truppen stehen unter der
Aussicht der Mvllahs, welche sie täglich zu den vorgeschriebenen Ge¬
beten und Waschungen anhalten, und an den Fasttagen werden die
Garderegimenter im Hof des Palastes oder in der Moschee einge¬
schlossen, damit kein Frevel geschieht. Außerdem pflegt der Kaiser die
obersten Offiziere zu seinen religiösen Uebungen und Disputationen
zu beordern, und der jetzige Feldmarschall-Bey soll seine schnelle Er¬
hebung wesentlich dem Fanatismus verdanken, den er bei diesen Er¬
bauungen an den Tag legt. Die Lieutenants und die Fähndrichs
zeigen ein viel Solideres Wesen, als in andern Ländern, und gehören
zu den frömmsten Soldaten der Armee. Da die Uniform eine von
Gesetz und Sitte geheiligte ist, so beschränken sich die Reformen gro-
ßentheils auf die Bartpflcge; darin aber hat Mulei Äbderrhaman, im
Sinn einer vorgeschrittenen Zeit, wahrhaft schöpferisches geleistet. --

Der Kunstsinn des Kaisers und das lebhafte Interesse, das er
an den geistigen Productionen aller Völker nimmt, äußert sich in
wunderbar vielseitiger Weise. Seine Majestät hat sich die Porträts
sämmtlicher europäischen Fürsten kommen lassen, damit er sich täglich
durch Autopsie von ihrem guten Aussehen und Wohlbefinden über¬
zeugen kann. "Sie sind alle meine Brüder", sagte er, "der größte
wie der kleinste;" ein Beweis, wie sich die strengste Religiosität mit
aufrichtiger Duldsamkeit vereinen läßt.

Da man jetzt so vielfach sich mit Colonisationsplänen beschäftigt,
warum hat man noch gar nicht an Marocco gedacht? Dieses Land
ist wie geschaffen für deutsche Auswanderer; ich meine nicht blos solche,
die in der weiten Welt ein dürftiges Brod suchen, sondern Leute aus
höhern und namentlich gelehrten Ständen. Um nur von den Philo¬
logen zu sprechen, welch ein Gewinn für sie wäre der Atlas, dieses
Gebirge, das bei den Alten eine so fabelhafte Rolle spielte! Noch
sind in seinen Schluchten Alterthümer genug vergraben, um ein gan¬
zes archäologisches Cabinet zu füllen. Das Marocain ist so billig,
wie in Deutschland das Schweinsleder. Die Munificenz Sr. Majestät
aber ist allbekannt;'am wenigsten kommt es ihr, dem Ausland gegen¬
über, auf einige Orden oder Titel an. Meines Wissens hat leider
noch kein deutscher Gelehrter eine maroccanische Auszeichnung erbat-


mit großartig barockem Humor zu tändeln liebte, pflegte, wenn er zu
Pferde stieg, jedesmal dem aufwartenden Sklaven den Kopf abzu¬
schlagen; Äbderrhaman ist mehr von religiös melancholischen Sinn er¬
füllt und vergießt nur selten theurer Diener Blut, wenn er nicht
gereizt wird. — Beiläufig bemerkt, hat seine Majestät durchaus kei¬
nen Anstand genommen, den Hoheitstitcl, dem unser theurer Landes¬
fürst sich beizulegen geruhte, freundlich anzuerkennen.

Der musterhafte Geist, der die Armee beseelt, ist wohl nur der
Frömmigkeit des Kaisers zuzuschreiben; die Truppen stehen unter der
Aussicht der Mvllahs, welche sie täglich zu den vorgeschriebenen Ge¬
beten und Waschungen anhalten, und an den Fasttagen werden die
Garderegimenter im Hof des Palastes oder in der Moschee einge¬
schlossen, damit kein Frevel geschieht. Außerdem pflegt der Kaiser die
obersten Offiziere zu seinen religiösen Uebungen und Disputationen
zu beordern, und der jetzige Feldmarschall-Bey soll seine schnelle Er¬
hebung wesentlich dem Fanatismus verdanken, den er bei diesen Er¬
bauungen an den Tag legt. Die Lieutenants und die Fähndrichs
zeigen ein viel Solideres Wesen, als in andern Ländern, und gehören
zu den frömmsten Soldaten der Armee. Da die Uniform eine von
Gesetz und Sitte geheiligte ist, so beschränken sich die Reformen gro-
ßentheils auf die Bartpflcge; darin aber hat Mulei Äbderrhaman, im
Sinn einer vorgeschrittenen Zeit, wahrhaft schöpferisches geleistet. —

Der Kunstsinn des Kaisers und das lebhafte Interesse, das er
an den geistigen Productionen aller Völker nimmt, äußert sich in
wunderbar vielseitiger Weise. Seine Majestät hat sich die Porträts
sämmtlicher europäischen Fürsten kommen lassen, damit er sich täglich
durch Autopsie von ihrem guten Aussehen und Wohlbefinden über¬
zeugen kann. „Sie sind alle meine Brüder", sagte er, „der größte
wie der kleinste;" ein Beweis, wie sich die strengste Religiosität mit
aufrichtiger Duldsamkeit vereinen läßt.

Da man jetzt so vielfach sich mit Colonisationsplänen beschäftigt,
warum hat man noch gar nicht an Marocco gedacht? Dieses Land
ist wie geschaffen für deutsche Auswanderer; ich meine nicht blos solche,
die in der weiten Welt ein dürftiges Brod suchen, sondern Leute aus
höhern und namentlich gelehrten Ständen. Um nur von den Philo¬
logen zu sprechen, welch ein Gewinn für sie wäre der Atlas, dieses
Gebirge, das bei den Alten eine so fabelhafte Rolle spielte! Noch
sind in seinen Schluchten Alterthümer genug vergraben, um ein gan¬
zes archäologisches Cabinet zu füllen. Das Marocain ist so billig,
wie in Deutschland das Schweinsleder. Die Munificenz Sr. Majestät
aber ist allbekannt;'am wenigsten kommt es ihr, dem Ausland gegen¬
über, auf einige Orden oder Titel an. Meines Wissens hat leider
noch kein deutscher Gelehrter eine maroccanische Auszeichnung erbat-


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[0101] mit großartig barockem Humor zu tändeln liebte, pflegte, wenn er zu Pferde stieg, jedesmal dem aufwartenden Sklaven den Kopf abzu¬ schlagen; Äbderrhaman ist mehr von religiös melancholischen Sinn er¬ füllt und vergießt nur selten theurer Diener Blut, wenn er nicht gereizt wird. — Beiläufig bemerkt, hat seine Majestät durchaus kei¬ nen Anstand genommen, den Hoheitstitcl, dem unser theurer Landes¬ fürst sich beizulegen geruhte, freundlich anzuerkennen. Der musterhafte Geist, der die Armee beseelt, ist wohl nur der Frömmigkeit des Kaisers zuzuschreiben; die Truppen stehen unter der Aussicht der Mvllahs, welche sie täglich zu den vorgeschriebenen Ge¬ beten und Waschungen anhalten, und an den Fasttagen werden die Garderegimenter im Hof des Palastes oder in der Moschee einge¬ schlossen, damit kein Frevel geschieht. Außerdem pflegt der Kaiser die obersten Offiziere zu seinen religiösen Uebungen und Disputationen zu beordern, und der jetzige Feldmarschall-Bey soll seine schnelle Er¬ hebung wesentlich dem Fanatismus verdanken, den er bei diesen Er¬ bauungen an den Tag legt. Die Lieutenants und die Fähndrichs zeigen ein viel Solideres Wesen, als in andern Ländern, und gehören zu den frömmsten Soldaten der Armee. Da die Uniform eine von Gesetz und Sitte geheiligte ist, so beschränken sich die Reformen gro- ßentheils auf die Bartpflcge; darin aber hat Mulei Äbderrhaman, im Sinn einer vorgeschrittenen Zeit, wahrhaft schöpferisches geleistet. — Der Kunstsinn des Kaisers und das lebhafte Interesse, das er an den geistigen Productionen aller Völker nimmt, äußert sich in wunderbar vielseitiger Weise. Seine Majestät hat sich die Porträts sämmtlicher europäischen Fürsten kommen lassen, damit er sich täglich durch Autopsie von ihrem guten Aussehen und Wohlbefinden über¬ zeugen kann. „Sie sind alle meine Brüder", sagte er, „der größte wie der kleinste;" ein Beweis, wie sich die strengste Religiosität mit aufrichtiger Duldsamkeit vereinen läßt. Da man jetzt so vielfach sich mit Colonisationsplänen beschäftigt, warum hat man noch gar nicht an Marocco gedacht? Dieses Land ist wie geschaffen für deutsche Auswanderer; ich meine nicht blos solche, die in der weiten Welt ein dürftiges Brod suchen, sondern Leute aus höhern und namentlich gelehrten Ständen. Um nur von den Philo¬ logen zu sprechen, welch ein Gewinn für sie wäre der Atlas, dieses Gebirge, das bei den Alten eine so fabelhafte Rolle spielte! Noch sind in seinen Schluchten Alterthümer genug vergraben, um ein gan¬ zes archäologisches Cabinet zu füllen. Das Marocain ist so billig, wie in Deutschland das Schweinsleder. Die Munificenz Sr. Majestät aber ist allbekannt;'am wenigsten kommt es ihr, dem Ausland gegen¬ über, auf einige Orden oder Titel an. Meines Wissens hat leider noch kein deutscher Gelehrter eine maroccanische Auszeichnung erbat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/101>, abgerufen am 23.07.2024.