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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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Politik völlig zerrüttet ist. Die natürliche patriarchalische Verfassung
ruht hier auf unerschütterlichen Säulen; Thron und Altar sind eine
unüberwindliche Einheit, und in der Person Sr. geheiligten marocca-
nischen Majestät ist nicht nur alle Staats-und richterliche Gewalt
concentrirt, sondern sie ernennt und befehligt auch unmittelbar alle
Erecutivbehörden, vom obersten Bey, dem Minister der Aufklärung,
bis zum Gehilfen des Henkers; sie regiert und gubernirt, darin liegt
die sicherste Bürgschaft, daß kein Unrecht, sondern stets nur der wirk¬
liche Wille des Alleinherrschers geschehen kann. Mulei Abderrha-
man hat in großsinniger Weise das tiefste Bewußtsein seiner er¬
habenen Stellung ausgesprochen und das Unwürdige jeder sogenannten
konstitutionellen Beschränkung am besten durch die einfachen Worte
bezeichnet: er begreife nicht, wie man ihm zumuthen könne, Sklave
seines gegebenen Wortes zu sein. In der That kennt man hier zu
Lande diese kleinliche Nachrechnerei nicht, sondern es herrscht das un¬
bedingteste Vertrauen. Und Seine Majestät hat im Laufe einer
segensvollen Regierung, deren Angedenken durch herrliche, über Gene¬
rationen hinausreichende Königsthaten fest gegründet ist, bewiesen, daß
der vernünftige Fortschritt nur von einem überlegenen, die Weltver- >
Haltnisse und die Menschen kraft seiner hohen Geburt klar überschauen¬
den Geiste ausgehen kann, wenn er in seinen Mitteln und Waffen
vollkommen unbeschränkt ist. Daß der Kaiser dieser, von allwaltender
Vorsehung erwählte Geist ist, lies't man unverkennbar in seinen Zü¬
gen. Mulei Abderrhaman ist ein großer und starkgebauter Mann von
hübschem Antlitz, dem der weit herabwallende, mit einzelnen Silber¬
haaren gezierte schwarze Bart ein imposantes militärisch prophetisches
Ansehen gibt; auf seine Stirne hat ver Herrschaft Genius den glor¬
reichen Stempel geprägt und sein Blick soll in herablassender Milde
auf die Frauen des Harems eben so magnetische Kraft äußern, als
er, auf den Sklaven gerichtet, durchbohrend und gleichsam erstarrend
ist. Wie die griechischen Völker der Levante sich von dem Jupiter¬
kopf des nordischen Weltherrschers erzählen, so ist unter den Stäm¬
men des abendlichen Atlas von dem "Strahlenhaupt" des echten Ab¬
kömmlings des Propheten eine allgemeine Rede. Nichts gleicht der
Grazie, mit der Mulei Abderrhaman zu Pferde sitzt oder die Pfeife
raucht, und, wie Eingeweihte flüstern, könnte mancher hochgepriesene
Mime von der Art, wie er das Schnupftuch wirft. Bedeutendes für
Kunst und Heldendarstellung lernen. Von dem reichen Geist des
maroccanischen Alleinherrschers zeugen zahllose Anekdoten, die, vom
Hofe ausstrahlend, sich wie plätschernde, gemüthlich und wohlthätig
anregende Lebensquellen über die sandigen Flächen des Landes ver¬
breiten. Mulei Abderrhaman hat ein unbedingtes Recht über das Le¬
ben jeder Creatur in seinen Staaten; und sein glorreicher Vorfahr
Mulei Ismael, t>er im volksthümlichen Bewußtsein der Herrschergewalt


Politik völlig zerrüttet ist. Die natürliche patriarchalische Verfassung
ruht hier auf unerschütterlichen Säulen; Thron und Altar sind eine
unüberwindliche Einheit, und in der Person Sr. geheiligten marocca-
nischen Majestät ist nicht nur alle Staats-und richterliche Gewalt
concentrirt, sondern sie ernennt und befehligt auch unmittelbar alle
Erecutivbehörden, vom obersten Bey, dem Minister der Aufklärung,
bis zum Gehilfen des Henkers; sie regiert und gubernirt, darin liegt
die sicherste Bürgschaft, daß kein Unrecht, sondern stets nur der wirk¬
liche Wille des Alleinherrschers geschehen kann. Mulei Abderrha-
man hat in großsinniger Weise das tiefste Bewußtsein seiner er¬
habenen Stellung ausgesprochen und das Unwürdige jeder sogenannten
konstitutionellen Beschränkung am besten durch die einfachen Worte
bezeichnet: er begreife nicht, wie man ihm zumuthen könne, Sklave
seines gegebenen Wortes zu sein. In der That kennt man hier zu
Lande diese kleinliche Nachrechnerei nicht, sondern es herrscht das un¬
bedingteste Vertrauen. Und Seine Majestät hat im Laufe einer
segensvollen Regierung, deren Angedenken durch herrliche, über Gene¬
rationen hinausreichende Königsthaten fest gegründet ist, bewiesen, daß
der vernünftige Fortschritt nur von einem überlegenen, die Weltver- >
Haltnisse und die Menschen kraft seiner hohen Geburt klar überschauen¬
den Geiste ausgehen kann, wenn er in seinen Mitteln und Waffen
vollkommen unbeschränkt ist. Daß der Kaiser dieser, von allwaltender
Vorsehung erwählte Geist ist, lies't man unverkennbar in seinen Zü¬
gen. Mulei Abderrhaman ist ein großer und starkgebauter Mann von
hübschem Antlitz, dem der weit herabwallende, mit einzelnen Silber¬
haaren gezierte schwarze Bart ein imposantes militärisch prophetisches
Ansehen gibt; auf seine Stirne hat ver Herrschaft Genius den glor¬
reichen Stempel geprägt und sein Blick soll in herablassender Milde
auf die Frauen des Harems eben so magnetische Kraft äußern, als
er, auf den Sklaven gerichtet, durchbohrend und gleichsam erstarrend
ist. Wie die griechischen Völker der Levante sich von dem Jupiter¬
kopf des nordischen Weltherrschers erzählen, so ist unter den Stäm¬
men des abendlichen Atlas von dem „Strahlenhaupt" des echten Ab¬
kömmlings des Propheten eine allgemeine Rede. Nichts gleicht der
Grazie, mit der Mulei Abderrhaman zu Pferde sitzt oder die Pfeife
raucht, und, wie Eingeweihte flüstern, könnte mancher hochgepriesene
Mime von der Art, wie er das Schnupftuch wirft. Bedeutendes für
Kunst und Heldendarstellung lernen. Von dem reichen Geist des
maroccanischen Alleinherrschers zeugen zahllose Anekdoten, die, vom
Hofe ausstrahlend, sich wie plätschernde, gemüthlich und wohlthätig
anregende Lebensquellen über die sandigen Flächen des Landes ver¬
breiten. Mulei Abderrhaman hat ein unbedingtes Recht über das Le¬
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Mulei Ismael, t>er im volksthümlichen Bewußtsein der Herrschergewalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/100>, abgerufen am 23.07.2024.