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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Klarheit und sagte kritisch, bewußt und entschieden von jedem Zu¬
sammenhang mit dem Alten sich los und nun stießen die Sitze der
"freien" Wissenschaft und Forschung es von sich aus. Natürlich.
Sie kennen ja nur eine Freiheit, die innerhalb ihrer Grenzen und
Voraussetzungen sich bewegt, eine andere, die darüber hinaufstrebt,
und machte sie die nüchternsten, mühevollsten Forschungen und fände
sie die schlagendsten, unwiderlegbarsten Wahrheiten, dürste sie noth¬
wendig nicht dulden. So konnte man wohl auf Gans' Lehrstuhl
einen Stahl, überhaupt einen Schelling nach Berlin, einen
Hävernick -- den würdigen Schüler Hengstenberg's, bekannt als
orthodoxer Ereget des Alten Testaments -- nach Königsberg berufen,
während man eine Kritik und Forschung wie die Bruno Bauer's
aus Bonn vertreiben mußte. Diese letztere war ja aber nur das
Resultat eines anderen Standpunktes, den sie überschritten, aus dem
sie sich entwickelt hatte, eines Standpunktes, der allerdings auch eine
gewisse Freiheit der Forschung in Anspruch nahm -- man denke
z, B. an die Kritik Vatke's -- den aber die Resultate
seiner Arbeit noch nicht in direkten Widerspruch mit dem Universi¬
tätswesen gesetzt hatten und den man deshalb auch nicht so leicht
verjagen konnte. Man mußte es versuchen, ihn auf andere Weise
zu bekämpfen, und dieser Kampf war es, zu dem man die Neube¬
rufenen bestimmte, die in den letzten Jahren, besonders in den
Räumen der Berliner Universität, alle jene vielbesprochenen lächerli¬
chen Komödien aufgeführt haben. Wo in irgend einem Winkel ein
Mann von Geist saß, den man für fähig hielt, dem alten Positiven
einen neuen Glanz zu verleihen, die abgestorbene Romantik mit neuem
Glimmer zu umgeben, da berief man ihn gewiß nach Berlin. Doch
war man auch wiederum liberal; auch ein Paar politische Flücht¬
linge, die Brüder Grimm, sollten eine Zierde der preußischen Haupt¬
stadt und ihrer Hochschule werden, ein Paar brave, ehrliche Bieder¬
männer, ausgezeichnete und auch geistvolle Gelehrte, aber weder
Universitätslehrer, noch von Bedeutung für die Zeit. Das letztere
wußte man wohl vorher, und ich habe mich längst gewundert, daß
die loyalen und ehrlichen Brüder nicht schon früher -- wie sie jetzt
gethan -- eifrig gegen die Masse der bewußtlosen Schwätzer und
Lärmmacher protestirten, die sie durchaus zu einer politischen Scheuch¬
puppe machen wollten. - So sprach man auch lange mir großer


Klarheit und sagte kritisch, bewußt und entschieden von jedem Zu¬
sammenhang mit dem Alten sich los und nun stießen die Sitze der
„freien" Wissenschaft und Forschung es von sich aus. Natürlich.
Sie kennen ja nur eine Freiheit, die innerhalb ihrer Grenzen und
Voraussetzungen sich bewegt, eine andere, die darüber hinaufstrebt,
und machte sie die nüchternsten, mühevollsten Forschungen und fände
sie die schlagendsten, unwiderlegbarsten Wahrheiten, dürste sie noth¬
wendig nicht dulden. So konnte man wohl auf Gans' Lehrstuhl
einen Stahl, überhaupt einen Schelling nach Berlin, einen
Hävernick — den würdigen Schüler Hengstenberg's, bekannt als
orthodoxer Ereget des Alten Testaments — nach Königsberg berufen,
während man eine Kritik und Forschung wie die Bruno Bauer's
aus Bonn vertreiben mußte. Diese letztere war ja aber nur das
Resultat eines anderen Standpunktes, den sie überschritten, aus dem
sie sich entwickelt hatte, eines Standpunktes, der allerdings auch eine
gewisse Freiheit der Forschung in Anspruch nahm — man denke
z, B. an die Kritik Vatke's — den aber die Resultate
seiner Arbeit noch nicht in direkten Widerspruch mit dem Universi¬
tätswesen gesetzt hatten und den man deshalb auch nicht so leicht
verjagen konnte. Man mußte es versuchen, ihn auf andere Weise
zu bekämpfen, und dieser Kampf war es, zu dem man die Neube¬
rufenen bestimmte, die in den letzten Jahren, besonders in den
Räumen der Berliner Universität, alle jene vielbesprochenen lächerli¬
chen Komödien aufgeführt haben. Wo in irgend einem Winkel ein
Mann von Geist saß, den man für fähig hielt, dem alten Positiven
einen neuen Glanz zu verleihen, die abgestorbene Romantik mit neuem
Glimmer zu umgeben, da berief man ihn gewiß nach Berlin. Doch
war man auch wiederum liberal; auch ein Paar politische Flücht¬
linge, die Brüder Grimm, sollten eine Zierde der preußischen Haupt¬
stadt und ihrer Hochschule werden, ein Paar brave, ehrliche Bieder¬
männer, ausgezeichnete und auch geistvolle Gelehrte, aber weder
Universitätslehrer, noch von Bedeutung für die Zeit. Das letztere
wußte man wohl vorher, und ich habe mich längst gewundert, daß
die loyalen und ehrlichen Brüder nicht schon früher — wie sie jetzt
gethan — eifrig gegen die Masse der bewußtlosen Schwätzer und
Lärmmacher protestirten, die sie durchaus zu einer politischen Scheuch¬
puppe machen wollten. - So sprach man auch lange mir großer


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[0828] Klarheit und sagte kritisch, bewußt und entschieden von jedem Zu¬ sammenhang mit dem Alten sich los und nun stießen die Sitze der „freien" Wissenschaft und Forschung es von sich aus. Natürlich. Sie kennen ja nur eine Freiheit, die innerhalb ihrer Grenzen und Voraussetzungen sich bewegt, eine andere, die darüber hinaufstrebt, und machte sie die nüchternsten, mühevollsten Forschungen und fände sie die schlagendsten, unwiderlegbarsten Wahrheiten, dürste sie noth¬ wendig nicht dulden. So konnte man wohl auf Gans' Lehrstuhl einen Stahl, überhaupt einen Schelling nach Berlin, einen Hävernick — den würdigen Schüler Hengstenberg's, bekannt als orthodoxer Ereget des Alten Testaments — nach Königsberg berufen, während man eine Kritik und Forschung wie die Bruno Bauer's aus Bonn vertreiben mußte. Diese letztere war ja aber nur das Resultat eines anderen Standpunktes, den sie überschritten, aus dem sie sich entwickelt hatte, eines Standpunktes, der allerdings auch eine gewisse Freiheit der Forschung in Anspruch nahm — man denke z, B. an die Kritik Vatke's — den aber die Resultate seiner Arbeit noch nicht in direkten Widerspruch mit dem Universi¬ tätswesen gesetzt hatten und den man deshalb auch nicht so leicht verjagen konnte. Man mußte es versuchen, ihn auf andere Weise zu bekämpfen, und dieser Kampf war es, zu dem man die Neube¬ rufenen bestimmte, die in den letzten Jahren, besonders in den Räumen der Berliner Universität, alle jene vielbesprochenen lächerli¬ chen Komödien aufgeführt haben. Wo in irgend einem Winkel ein Mann von Geist saß, den man für fähig hielt, dem alten Positiven einen neuen Glanz zu verleihen, die abgestorbene Romantik mit neuem Glimmer zu umgeben, da berief man ihn gewiß nach Berlin. Doch war man auch wiederum liberal; auch ein Paar politische Flücht¬ linge, die Brüder Grimm, sollten eine Zierde der preußischen Haupt¬ stadt und ihrer Hochschule werden, ein Paar brave, ehrliche Bieder¬ männer, ausgezeichnete und auch geistvolle Gelehrte, aber weder Universitätslehrer, noch von Bedeutung für die Zeit. Das letztere wußte man wohl vorher, und ich habe mich längst gewundert, daß die loyalen und ehrlichen Brüder nicht schon früher — wie sie jetzt gethan — eifrig gegen die Masse der bewußtlosen Schwätzer und Lärmmacher protestirten, die sie durchaus zu einer politischen Scheuch¬ puppe machen wollten. - So sprach man auch lange mir großer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/828>, abgerufen am 29.06.2024.