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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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die Gans auf dem Lehrstuhl gesprochen. Unter lautem anhaltendem
Beifallruf verließ er den Hörsaal, den er nie wieder betreten sollte.
Sein letztes Wort war eine Prophetie.

Als der Frühling kam, da starb Eduard Gans in der Blüthe
seiner Jahre. Sie sangen fromme Lieder, sie predigten, sie beteten
und weinten an seinem Grabe; sie wußten, was sie verloren und
begriffen es doch nicht. Mit ihm war der lebendige Hauch unter¬
gegangen, den seine großartige Persönlichkeit dem deutschen Universi¬
tätswesen noch einzuhauchen wußte; er hatte es verstanden, innerhalb
des veralteten Instituts noch ein neues Leben zu schaffen, ein frischer,
grünender Baum hatte er einsam dagestanden in dürrer Sandwüste.
Mit seinem Tode war das natürlich aus, und die verwelkten Sträu¬
cher um ihn her, die an seiner Kraft gesogen, von ihr gelebt hatten,
senkten wehmüthig ihre Häupter. Mit Gans' Leichnam wurde der
letzte Lebensfunke begraben, den die Universitäten noch in sich gebor¬
gen hatten, der letzte glänzende Schein, den sie noch über sich ge¬
breitet hatten; Gans mußte sterben, ehe der große Kampf begann,
der diesen und all und jeden Schein zu einer Wahrheit machen wollte:
diesem neu sich durcharbeitenden Geiste mußte er Platz machen, und
wir wollen nicht fragen, wie er sich zu ihm verhalten hat, da er in
dem Kampfe mit dieser neuen Entwickelung wahrscheinlich gestor¬
ben ist.

Fast unmittelbar nach Gans' Tod beginnt an der Berliner
Universität, so wie in Preußen überhaupt eine Reaction gegen die
Wissenschaft, so wie auf der anderen Seite wieder die Herausarbei-
tung der letztern aus den Schranken des Universitätswesens überhaupt.
Mail fing an, die ersten Konsequenzen der bisher begünstigten Phi¬
losophie zu sehen und geriet!) in Angst und Schrecken davor; man
wollte endlich Einhalt thun. Die Kämpfe, die hier beginnen und
sich durch die folgenden Jahre hindurchziehen, trugen nur dazu bei,
das Wesen der Universitäten klar und deutlich zu entwickeln. Die
letzteren, bisher "die Sitze der freien Wissenschaft" genannt, sollten
einem ganz neu aufstrebenden Geiste gegenüber beweisen wie weit
diese Freiheit gehe und ob mit ihr Ernst gemacht werden dürfe.
Denn bis jetzt war Alles, Altes und Neues, Freiheit und Unfreiheit
noch wild durcheinander gelaufen, das Neue aber fing mit einem
Male aus diesem Wirrwarr herauszustreben an, entwickelte sich zur


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die Gans auf dem Lehrstuhl gesprochen. Unter lautem anhaltendem
Beifallruf verließ er den Hörsaal, den er nie wieder betreten sollte.
Sein letztes Wort war eine Prophetie.

Als der Frühling kam, da starb Eduard Gans in der Blüthe
seiner Jahre. Sie sangen fromme Lieder, sie predigten, sie beteten
und weinten an seinem Grabe; sie wußten, was sie verloren und
begriffen es doch nicht. Mit ihm war der lebendige Hauch unter¬
gegangen, den seine großartige Persönlichkeit dem deutschen Universi¬
tätswesen noch einzuhauchen wußte; er hatte es verstanden, innerhalb
des veralteten Instituts noch ein neues Leben zu schaffen, ein frischer,
grünender Baum hatte er einsam dagestanden in dürrer Sandwüste.
Mit seinem Tode war das natürlich aus, und die verwelkten Sträu¬
cher um ihn her, die an seiner Kraft gesogen, von ihr gelebt hatten,
senkten wehmüthig ihre Häupter. Mit Gans' Leichnam wurde der
letzte Lebensfunke begraben, den die Universitäten noch in sich gebor¬
gen hatten, der letzte glänzende Schein, den sie noch über sich ge¬
breitet hatten; Gans mußte sterben, ehe der große Kampf begann,
der diesen und all und jeden Schein zu einer Wahrheit machen wollte:
diesem neu sich durcharbeitenden Geiste mußte er Platz machen, und
wir wollen nicht fragen, wie er sich zu ihm verhalten hat, da er in
dem Kampfe mit dieser neuen Entwickelung wahrscheinlich gestor¬
ben ist.

Fast unmittelbar nach Gans' Tod beginnt an der Berliner
Universität, so wie in Preußen überhaupt eine Reaction gegen die
Wissenschaft, so wie auf der anderen Seite wieder die Herausarbei-
tung der letztern aus den Schranken des Universitätswesens überhaupt.
Mail fing an, die ersten Konsequenzen der bisher begünstigten Phi¬
losophie zu sehen und geriet!) in Angst und Schrecken davor; man
wollte endlich Einhalt thun. Die Kämpfe, die hier beginnen und
sich durch die folgenden Jahre hindurchziehen, trugen nur dazu bei,
das Wesen der Universitäten klar und deutlich zu entwickeln. Die
letzteren, bisher „die Sitze der freien Wissenschaft" genannt, sollten
einem ganz neu aufstrebenden Geiste gegenüber beweisen wie weit
diese Freiheit gehe und ob mit ihr Ernst gemacht werden dürfe.
Denn bis jetzt war Alles, Altes und Neues, Freiheit und Unfreiheit
noch wild durcheinander gelaufen, das Neue aber fing mit einem
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[0827] die Gans auf dem Lehrstuhl gesprochen. Unter lautem anhaltendem Beifallruf verließ er den Hörsaal, den er nie wieder betreten sollte. Sein letztes Wort war eine Prophetie. Als der Frühling kam, da starb Eduard Gans in der Blüthe seiner Jahre. Sie sangen fromme Lieder, sie predigten, sie beteten und weinten an seinem Grabe; sie wußten, was sie verloren und begriffen es doch nicht. Mit ihm war der lebendige Hauch unter¬ gegangen, den seine großartige Persönlichkeit dem deutschen Universi¬ tätswesen noch einzuhauchen wußte; er hatte es verstanden, innerhalb des veralteten Instituts noch ein neues Leben zu schaffen, ein frischer, grünender Baum hatte er einsam dagestanden in dürrer Sandwüste. Mit seinem Tode war das natürlich aus, und die verwelkten Sträu¬ cher um ihn her, die an seiner Kraft gesogen, von ihr gelebt hatten, senkten wehmüthig ihre Häupter. Mit Gans' Leichnam wurde der letzte Lebensfunke begraben, den die Universitäten noch in sich gebor¬ gen hatten, der letzte glänzende Schein, den sie noch über sich ge¬ breitet hatten; Gans mußte sterben, ehe der große Kampf begann, der diesen und all und jeden Schein zu einer Wahrheit machen wollte: diesem neu sich durcharbeitenden Geiste mußte er Platz machen, und wir wollen nicht fragen, wie er sich zu ihm verhalten hat, da er in dem Kampfe mit dieser neuen Entwickelung wahrscheinlich gestor¬ ben ist. Fast unmittelbar nach Gans' Tod beginnt an der Berliner Universität, so wie in Preußen überhaupt eine Reaction gegen die Wissenschaft, so wie auf der anderen Seite wieder die Herausarbei- tung der letztern aus den Schranken des Universitätswesens überhaupt. Mail fing an, die ersten Konsequenzen der bisher begünstigten Phi¬ losophie zu sehen und geriet!) in Angst und Schrecken davor; man wollte endlich Einhalt thun. Die Kämpfe, die hier beginnen und sich durch die folgenden Jahre hindurchziehen, trugen nur dazu bei, das Wesen der Universitäten klar und deutlich zu entwickeln. Die letzteren, bisher „die Sitze der freien Wissenschaft" genannt, sollten einem ganz neu aufstrebenden Geiste gegenüber beweisen wie weit diese Freiheit gehe und ob mit ihr Ernst gemacht werden dürfe. Denn bis jetzt war Alles, Altes und Neues, Freiheit und Unfreiheit noch wild durcheinander gelaufen, das Neue aber fing mit einem Male aus diesem Wirrwarr herauszustreben an, entwickelte sich zur IN6 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/827>, abgerufen am 28.09.2024.