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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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zweiter Mirabeau, diesem auch ähnlich durch die mehr deklamatori¬
sche Gewalt seines Wesens. Er war es, der zuerst auf einem deut¬
schen Katheder zu sprechen und in der Jugend die Begeisterung für
eine lebendigere wissenschaftliche Erkenntniß anzufachen wußte; ein
freier, rücksichtsloser Mann, war er überhaupt der Erste, der mit den
Waffen des lebendigen Wortes den Kampf gegen die Bornirtheit
und das Vorurtheil unternahm, dieses Wortes, das bald hochgeho¬
ben durch das innere leidenschaftliche Feuer, bald eine kalte oder hu¬
moristische und tiefsatyrische Geißel der Dummheit war. Auch war
er es, der nach Fichte's und Hegel's Vorgang, wieder den Anfang
damit machte, die französische Revolution in ihrer Idee aufzufassen,
in ihrer Entwickelung zu charakterisiren, ihre Helden von den dum¬
men Vorurtheilen zu befreien, die der Unverstand über sie gebreitet
hatte. Konnte er auch noch nicht die strenge theoretische Durchar¬
beitung der Sache geben, die die entschiedene, mit der Vergangenheit
abschließende Kritik jetzt liefert, so hatte er doch bei den meisten Par¬
tien die wichtigsten Gesichtspunkte und besonders eine geistvolle, wenn
auch nicht immer wahre Auffassung des Ganzen. Die Revolution
war ihm nicht gestorben, sie lebt noch, sie macht die große Reise um
die Welt und Napoleon war ihm der großartige Held, der sie auf
seine atlantische Schulter nahm und durch die Gefilde Europas trug,
das letzte große Individuum, das die Geschichte hervorgebracht hat.
Ich habe noch jene letzten Vorlesungen besucht, die Gans im Win¬
tersemester 1838--39 über "Geschichte der neueren Zeit" hielt. (Der
Facultätsneid hatte ihm untersagt, historische Vorlesungen zu halten,
da er bekanntlich Jurist war, er mußte daher auf die Ankündigung
setzen: "mit Bezug auf rechtliche Verhältnisse") Am Schlüsse dieser
Vorlesungen sagte er, er wolle und könne nicht prophezeihen, aber
die Zukunft der Geschichte sehe er klar vor sich. Die Geschichte der
neueren Zeit sei die einer großartigen Revolution. Früher habe der ^
Adel die Revolutionen gemacht, überhaupt die Privilegium, da habe
dann die französische Revolution die Aristokratie des dritten Standes
geschaffen, der die alte Welt umgestoßen und seine Privilegien ge¬
sichert habe mit Hilfe des Volkes, d. h. des armen Volks, des Pö¬
bels. Die dritte Revolution werde aber die dieses Pöbels, der g""^
zen großen Masse der Nichtprivilegirten und Besitzlosen sein; und wenn
diese einträte, werde die Welt erzittern. Das waren die le^en Worte


zweiter Mirabeau, diesem auch ähnlich durch die mehr deklamatori¬
sche Gewalt seines Wesens. Er war es, der zuerst auf einem deut¬
schen Katheder zu sprechen und in der Jugend die Begeisterung für
eine lebendigere wissenschaftliche Erkenntniß anzufachen wußte; ein
freier, rücksichtsloser Mann, war er überhaupt der Erste, der mit den
Waffen des lebendigen Wortes den Kampf gegen die Bornirtheit
und das Vorurtheil unternahm, dieses Wortes, das bald hochgeho¬
ben durch das innere leidenschaftliche Feuer, bald eine kalte oder hu¬
moristische und tiefsatyrische Geißel der Dummheit war. Auch war
er es, der nach Fichte's und Hegel's Vorgang, wieder den Anfang
damit machte, die französische Revolution in ihrer Idee aufzufassen,
in ihrer Entwickelung zu charakterisiren, ihre Helden von den dum¬
men Vorurtheilen zu befreien, die der Unverstand über sie gebreitet
hatte. Konnte er auch noch nicht die strenge theoretische Durchar¬
beitung der Sache geben, die die entschiedene, mit der Vergangenheit
abschließende Kritik jetzt liefert, so hatte er doch bei den meisten Par¬
tien die wichtigsten Gesichtspunkte und besonders eine geistvolle, wenn
auch nicht immer wahre Auffassung des Ganzen. Die Revolution
war ihm nicht gestorben, sie lebt noch, sie macht die große Reise um
die Welt und Napoleon war ihm der großartige Held, der sie auf
seine atlantische Schulter nahm und durch die Gefilde Europas trug,
das letzte große Individuum, das die Geschichte hervorgebracht hat.
Ich habe noch jene letzten Vorlesungen besucht, die Gans im Win¬
tersemester 1838—39 über „Geschichte der neueren Zeit" hielt. (Der
Facultätsneid hatte ihm untersagt, historische Vorlesungen zu halten,
da er bekanntlich Jurist war, er mußte daher auf die Ankündigung
setzen: „mit Bezug auf rechtliche Verhältnisse") Am Schlüsse dieser
Vorlesungen sagte er, er wolle und könne nicht prophezeihen, aber
die Zukunft der Geschichte sehe er klar vor sich. Die Geschichte der
neueren Zeit sei die einer großartigen Revolution. Früher habe der ^
Adel die Revolutionen gemacht, überhaupt die Privilegium, da habe
dann die französische Revolution die Aristokratie des dritten Standes
geschaffen, der die alte Welt umgestoßen und seine Privilegien ge¬
sichert habe mit Hilfe des Volkes, d. h. des armen Volks, des Pö¬
bels. Die dritte Revolution werde aber die dieses Pöbels, der g""^
zen großen Masse der Nichtprivilegirten und Besitzlosen sein; und wenn
diese einträte, werde die Welt erzittern. Das waren die le^en Worte


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[0826] zweiter Mirabeau, diesem auch ähnlich durch die mehr deklamatori¬ sche Gewalt seines Wesens. Er war es, der zuerst auf einem deut¬ schen Katheder zu sprechen und in der Jugend die Begeisterung für eine lebendigere wissenschaftliche Erkenntniß anzufachen wußte; ein freier, rücksichtsloser Mann, war er überhaupt der Erste, der mit den Waffen des lebendigen Wortes den Kampf gegen die Bornirtheit und das Vorurtheil unternahm, dieses Wortes, das bald hochgeho¬ ben durch das innere leidenschaftliche Feuer, bald eine kalte oder hu¬ moristische und tiefsatyrische Geißel der Dummheit war. Auch war er es, der nach Fichte's und Hegel's Vorgang, wieder den Anfang damit machte, die französische Revolution in ihrer Idee aufzufassen, in ihrer Entwickelung zu charakterisiren, ihre Helden von den dum¬ men Vorurtheilen zu befreien, die der Unverstand über sie gebreitet hatte. Konnte er auch noch nicht die strenge theoretische Durchar¬ beitung der Sache geben, die die entschiedene, mit der Vergangenheit abschließende Kritik jetzt liefert, so hatte er doch bei den meisten Par¬ tien die wichtigsten Gesichtspunkte und besonders eine geistvolle, wenn auch nicht immer wahre Auffassung des Ganzen. Die Revolution war ihm nicht gestorben, sie lebt noch, sie macht die große Reise um die Welt und Napoleon war ihm der großartige Held, der sie auf seine atlantische Schulter nahm und durch die Gefilde Europas trug, das letzte große Individuum, das die Geschichte hervorgebracht hat. Ich habe noch jene letzten Vorlesungen besucht, die Gans im Win¬ tersemester 1838—39 über „Geschichte der neueren Zeit" hielt. (Der Facultätsneid hatte ihm untersagt, historische Vorlesungen zu halten, da er bekanntlich Jurist war, er mußte daher auf die Ankündigung setzen: „mit Bezug auf rechtliche Verhältnisse") Am Schlüsse dieser Vorlesungen sagte er, er wolle und könne nicht prophezeihen, aber die Zukunft der Geschichte sehe er klar vor sich. Die Geschichte der neueren Zeit sei die einer großartigen Revolution. Früher habe der ^ Adel die Revolutionen gemacht, überhaupt die Privilegium, da habe dann die französische Revolution die Aristokratie des dritten Standes geschaffen, der die alte Welt umgestoßen und seine Privilegien ge¬ sichert habe mit Hilfe des Volkes, d. h. des armen Volks, des Pö¬ bels. Die dritte Revolution werde aber die dieses Pöbels, der g""^ zen großen Masse der Nichtprivilegirten und Besitzlosen sein; und wenn diese einträte, werde die Welt erzittern. Das waren die le^en Worte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/826>, abgerufen am 28.09.2024.