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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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träge werden mit einem Eifer besucht, wie man ihn an keiner ande¬
ren Hochschule findet, und es sind wohl nur die ganz gedankenlosen
Strohköpfe, die von Berlin nicht wenigstens etwas Interesse dafür
mitbrächten. -- Hegel starb, nachdem er die Saat der Entwickelung
ausgestreut hatte. An seine Stelle traten seine Schüler, die sogenann-
ten älteren Hegelianer, Männer, die in dem Dogma des Systems
festgewurzelt^ das eigentliche Wesen desselben, die Entwickelung, ver¬
gaßen. Aus ihnen wuchs eine classische Natur hervor, Eduard
Gans, dessen Wirksamkeit nach der Hegel's zuerst wieder von wirk¬
lich historischer Bedeutung ist. Den ersten Kampf mit dem starren
Dogma unternehmend und es zuerst durchbrechend, ist er wohl an
diesem gewaltigen Zwiespalt zu Grunde gegangen. Dem: Gans
war nicht der Mann, dem es in dem dumpfen Gebäude der festge¬
wordenen Schule lange behagen konnte; er fing an, seinen Meister
zu begreifen, sein stolz emporstrebender Geist war nicht dazu geschaf¬
fen, abstracte Kategorien zu entwickeln, sein lebendiger, feuriger Cha¬
rakter zog ihn zum Leben hin, zur Geschichte, zur Politik. Eine Er¬
scheinung wie Gans hat wiederum die Geschichte keiner anderen
Universität aufzuweisen. Alle, die ihn gehört, erinnern sich seiner mit
Liebe, mit Verehrung, ja mit Begeisterung. Der kleinliche Neid hatte
ihm in der Regel gewöhnlich recht enge, kleine Hörsäle angewie¬
sen, aber schon in der ersten Vorlesung konnte gewöhnlich der be¬
schränkte Raum die herbeiströmende Menge nicht fassen, man drängte
sich, man rang um die Plätze, man stellte sich auf die Fenstergesimse,
auf die Ofenabsätze, man mußte endlich, da der Zudrang immer
größer wurde, nach dem größten Auditorium auswandern. Ein weh¬
müthiges Gefühl ergreift mich jedesmal, wenn ich in diesen Hörsaal
trete. Hier hielt Gans seine berühmten historischen Vorlesungen und
regte eine Lebendigkeit und eine Begeisterung unter seinen Zuhörern
an, wie sie wohl nie, weder vor noch nach ihm, ein deutscher Pro¬
fessor angeregt hat. Gans's Katheder war auch kein Lehrstuhl,
es war eine parlamentarische Tribune, sein Wort nicht das gedrech¬
selt, aufgeschriebene und abgelesene eines Professors sondern der
feurige wnrmc Hauch des Lebens. Da saß er mit dem männlich
schonen Kopf und dem imperatorischen Blick, in stolzem Selbstgefühl
auf die zusammengeschichteten Massen herabschauend und ihnen die
Fülle seines Geistes in großartigen Worten entaegendonnernd; ein


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träge werden mit einem Eifer besucht, wie man ihn an keiner ande¬
ren Hochschule findet, und es sind wohl nur die ganz gedankenlosen
Strohköpfe, die von Berlin nicht wenigstens etwas Interesse dafür
mitbrächten. — Hegel starb, nachdem er die Saat der Entwickelung
ausgestreut hatte. An seine Stelle traten seine Schüler, die sogenann-
ten älteren Hegelianer, Männer, die in dem Dogma des Systems
festgewurzelt^ das eigentliche Wesen desselben, die Entwickelung, ver¬
gaßen. Aus ihnen wuchs eine classische Natur hervor, Eduard
Gans, dessen Wirksamkeit nach der Hegel's zuerst wieder von wirk¬
lich historischer Bedeutung ist. Den ersten Kampf mit dem starren
Dogma unternehmend und es zuerst durchbrechend, ist er wohl an
diesem gewaltigen Zwiespalt zu Grunde gegangen. Dem: Gans
war nicht der Mann, dem es in dem dumpfen Gebäude der festge¬
wordenen Schule lange behagen konnte; er fing an, seinen Meister
zu begreifen, sein stolz emporstrebender Geist war nicht dazu geschaf¬
fen, abstracte Kategorien zu entwickeln, sein lebendiger, feuriger Cha¬
rakter zog ihn zum Leben hin, zur Geschichte, zur Politik. Eine Er¬
scheinung wie Gans hat wiederum die Geschichte keiner anderen
Universität aufzuweisen. Alle, die ihn gehört, erinnern sich seiner mit
Liebe, mit Verehrung, ja mit Begeisterung. Der kleinliche Neid hatte
ihm in der Regel gewöhnlich recht enge, kleine Hörsäle angewie¬
sen, aber schon in der ersten Vorlesung konnte gewöhnlich der be¬
schränkte Raum die herbeiströmende Menge nicht fassen, man drängte
sich, man rang um die Plätze, man stellte sich auf die Fenstergesimse,
auf die Ofenabsätze, man mußte endlich, da der Zudrang immer
größer wurde, nach dem größten Auditorium auswandern. Ein weh¬
müthiges Gefühl ergreift mich jedesmal, wenn ich in diesen Hörsaal
trete. Hier hielt Gans seine berühmten historischen Vorlesungen und
regte eine Lebendigkeit und eine Begeisterung unter seinen Zuhörern
an, wie sie wohl nie, weder vor noch nach ihm, ein deutscher Pro¬
fessor angeregt hat. Gans's Katheder war auch kein Lehrstuhl,
es war eine parlamentarische Tribune, sein Wort nicht das gedrech¬
selt, aufgeschriebene und abgelesene eines Professors sondern der
feurige wnrmc Hauch des Lebens. Da saß er mit dem männlich
schonen Kopf und dem imperatorischen Blick, in stolzem Selbstgefühl
auf die zusammengeschichteten Massen herabschauend und ihnen die
Fülle seines Geistes in großartigen Worten entaegendonnernd; ein


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[0825] träge werden mit einem Eifer besucht, wie man ihn an keiner ande¬ ren Hochschule findet, und es sind wohl nur die ganz gedankenlosen Strohköpfe, die von Berlin nicht wenigstens etwas Interesse dafür mitbrächten. — Hegel starb, nachdem er die Saat der Entwickelung ausgestreut hatte. An seine Stelle traten seine Schüler, die sogenann- ten älteren Hegelianer, Männer, die in dem Dogma des Systems festgewurzelt^ das eigentliche Wesen desselben, die Entwickelung, ver¬ gaßen. Aus ihnen wuchs eine classische Natur hervor, Eduard Gans, dessen Wirksamkeit nach der Hegel's zuerst wieder von wirk¬ lich historischer Bedeutung ist. Den ersten Kampf mit dem starren Dogma unternehmend und es zuerst durchbrechend, ist er wohl an diesem gewaltigen Zwiespalt zu Grunde gegangen. Dem: Gans war nicht der Mann, dem es in dem dumpfen Gebäude der festge¬ wordenen Schule lange behagen konnte; er fing an, seinen Meister zu begreifen, sein stolz emporstrebender Geist war nicht dazu geschaf¬ fen, abstracte Kategorien zu entwickeln, sein lebendiger, feuriger Cha¬ rakter zog ihn zum Leben hin, zur Geschichte, zur Politik. Eine Er¬ scheinung wie Gans hat wiederum die Geschichte keiner anderen Universität aufzuweisen. Alle, die ihn gehört, erinnern sich seiner mit Liebe, mit Verehrung, ja mit Begeisterung. Der kleinliche Neid hatte ihm in der Regel gewöhnlich recht enge, kleine Hörsäle angewie¬ sen, aber schon in der ersten Vorlesung konnte gewöhnlich der be¬ schränkte Raum die herbeiströmende Menge nicht fassen, man drängte sich, man rang um die Plätze, man stellte sich auf die Fenstergesimse, auf die Ofenabsätze, man mußte endlich, da der Zudrang immer größer wurde, nach dem größten Auditorium auswandern. Ein weh¬ müthiges Gefühl ergreift mich jedesmal, wenn ich in diesen Hörsaal trete. Hier hielt Gans seine berühmten historischen Vorlesungen und regte eine Lebendigkeit und eine Begeisterung unter seinen Zuhörern an, wie sie wohl nie, weder vor noch nach ihm, ein deutscher Pro¬ fessor angeregt hat. Gans's Katheder war auch kein Lehrstuhl, es war eine parlamentarische Tribune, sein Wort nicht das gedrech¬ selt, aufgeschriebene und abgelesene eines Professors sondern der feurige wnrmc Hauch des Lebens. Da saß er mit dem männlich schonen Kopf und dem imperatorischen Blick, in stolzem Selbstgefühl auf die zusammengeschichteten Massen herabschauend und ihnen die Fülle seines Geistes in großartigen Worten entaegendonnernd; ein Sr«»zlwte» I»^,> >-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/825>, abgerufen am 29.06.2024.