Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

eigen Materials eine größere Aufmerksamkeit von Seiten des deut¬
schen Publicums. Daß ihr diese nicht nach dem Maße ihres Ver¬
dienstes gezollt wird, liegt vielleicht in der bisweilen leidenschaftlichen Fas¬
sung ihrer leitenden Artikel; eine Leidenschaftlichkeit, die sich sogleich im An¬
fange auch gegen Deutschland richtete".) Es ist natürlich, daß man von
einer Nationalität, die heißeres Blut besitzt, nicht fordern kann, daß sie sich
nach unserer Weise ausdrücke. Das leidenschaftliche Feuer, mit wel¬
chem ein Publizist zu seiner eigenen Nation spricht, ist hoch in Ehren
zu halten. Der Volkstribun, und ein solcher sei der Journalist, kann
nur durch Feuer die Massen hinreißen; es wäre kleinlich, um eines
zu heftigen Ausdrucks willen mit ihm zu rechten. Aber der Publi¬
zist, der zu einer fremden Nation spricht, die nicht mitwirkend, sondern
nur Zuschauerin ist, von dem erwartet man, daß er. zum Heile sei¬
nes eigenen Zweckes, auf die Natur und Richtung dieses Publicums
Rücksicht nehme. Was kann die Absicht der Vierteljahrsschrift für
Ungarn sein? An wen wendet sie sich? Nicht an die Magyaren, sonst
würde sie ihrer Sprache sich bedienen; also an Deutschland. Sie
will die Deutschen offenbar über die Rechte und Bestrebungen Un¬
garns aufklären, sie will den Magyaren Sympathien bei ihren deut¬
schen Nachbarn erobern. Ist Leidenschaftlichkeit, Ironie (wie z. B. in
dem erwähnten Artikel), das rechte Mittel hiezu? Es ist nicht anzu¬
nehmen, daß Herr or. Henßelmann deshalb die deutsche Sprache
für seine Publication wählt, um den Deutschen Bitterkeiten sagen zu
können; ich habe vielmehr die Ueberzeugung, daß nur die Entfernung
von Deutschland und das fortgesetzte Leben unter den aufregenden
magyarischen Debatten inmitten der betheiligten Landsleute, dem Re¬
dacteur und seinen Mitarbeitern ihren ursprünglichen Gesichtspunkt bis¬
weilen entrücken und ihren Artikeln eine Färbung geben, die mit ihrer
primitiven, beifallswürdigen Absicht im Widerspruche steht. Mögen
diese Herren den wohlgemeinten Rath und Tadel beachten, der aus
der Theilnahme entspringt für ein Organ, das viel dazu beitragen
könnte, Deutsche und Magyaren über ihr gemeinsames Interesse auf¬





.
*) Siehe "Stimme eines Weisen aus dem Auslande" Biertcliahrsschrifi
üUnarn 1843. ' " " >

eigen Materials eine größere Aufmerksamkeit von Seiten des deut¬
schen Publicums. Daß ihr diese nicht nach dem Maße ihres Ver¬
dienstes gezollt wird, liegt vielleicht in der bisweilen leidenschaftlichen Fas¬
sung ihrer leitenden Artikel; eine Leidenschaftlichkeit, die sich sogleich im An¬
fange auch gegen Deutschland richtete».) Es ist natürlich, daß man von
einer Nationalität, die heißeres Blut besitzt, nicht fordern kann, daß sie sich
nach unserer Weise ausdrücke. Das leidenschaftliche Feuer, mit wel¬
chem ein Publizist zu seiner eigenen Nation spricht, ist hoch in Ehren
zu halten. Der Volkstribun, und ein solcher sei der Journalist, kann
nur durch Feuer die Massen hinreißen; es wäre kleinlich, um eines
zu heftigen Ausdrucks willen mit ihm zu rechten. Aber der Publi¬
zist, der zu einer fremden Nation spricht, die nicht mitwirkend, sondern
nur Zuschauerin ist, von dem erwartet man, daß er. zum Heile sei¬
nes eigenen Zweckes, auf die Natur und Richtung dieses Publicums
Rücksicht nehme. Was kann die Absicht der Vierteljahrsschrift für
Ungarn sein? An wen wendet sie sich? Nicht an die Magyaren, sonst
würde sie ihrer Sprache sich bedienen; also an Deutschland. Sie
will die Deutschen offenbar über die Rechte und Bestrebungen Un¬
garns aufklären, sie will den Magyaren Sympathien bei ihren deut¬
schen Nachbarn erobern. Ist Leidenschaftlichkeit, Ironie (wie z. B. in
dem erwähnten Artikel), das rechte Mittel hiezu? Es ist nicht anzu¬
nehmen, daß Herr or. Henßelmann deshalb die deutsche Sprache
für seine Publication wählt, um den Deutschen Bitterkeiten sagen zu
können; ich habe vielmehr die Ueberzeugung, daß nur die Entfernung
von Deutschland und das fortgesetzte Leben unter den aufregenden
magyarischen Debatten inmitten der betheiligten Landsleute, dem Re¬
dacteur und seinen Mitarbeitern ihren ursprünglichen Gesichtspunkt bis¬
weilen entrücken und ihren Artikeln eine Färbung geben, die mit ihrer
primitiven, beifallswürdigen Absicht im Widerspruche steht. Mögen
diese Herren den wohlgemeinten Rath und Tadel beachten, der aus
der Theilnahme entspringt für ein Organ, das viel dazu beitragen
könnte, Deutsche und Magyaren über ihr gemeinsames Interesse auf¬





.
*) Siehe „Stimme eines Weisen aus dem Auslande" Biertcliahrsschrifi
üUnarn 1843. ' " " >
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0821" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180534"/>
            <p xml:id="ID_2095" prev="#ID_2094"> eigen Materials eine größere Aufmerksamkeit von Seiten des deut¬<lb/>
schen Publicums. Daß ihr diese nicht nach dem Maße ihres Ver¬<lb/>
dienstes gezollt wird, liegt vielleicht in der bisweilen leidenschaftlichen Fas¬<lb/>
sung ihrer leitenden Artikel; eine Leidenschaftlichkeit, die sich sogleich im An¬<lb/>
fange auch gegen Deutschland richtete».) Es ist natürlich, daß man von<lb/>
einer Nationalität, die heißeres Blut besitzt, nicht fordern kann, daß sie sich<lb/>
nach unserer Weise ausdrücke. Das leidenschaftliche Feuer, mit wel¬<lb/>
chem ein Publizist zu seiner eigenen Nation spricht, ist hoch in Ehren<lb/>
zu halten. Der Volkstribun, und ein solcher sei der Journalist, kann<lb/>
nur durch Feuer die Massen hinreißen; es wäre kleinlich, um eines<lb/>
zu heftigen Ausdrucks willen mit ihm zu rechten. Aber der Publi¬<lb/>
zist, der zu einer fremden Nation spricht, die nicht mitwirkend, sondern<lb/>
nur Zuschauerin ist, von dem erwartet man, daß er. zum Heile sei¬<lb/>
nes eigenen Zweckes, auf die Natur und Richtung dieses Publicums<lb/>
Rücksicht nehme.  Was kann die Absicht der Vierteljahrsschrift für<lb/>
Ungarn sein? An wen wendet sie sich? Nicht an die Magyaren, sonst<lb/>
würde sie ihrer Sprache sich bedienen; also an Deutschland. Sie<lb/>
will die Deutschen offenbar über die Rechte und Bestrebungen Un¬<lb/>
garns aufklären, sie will den Magyaren Sympathien bei ihren deut¬<lb/>
schen Nachbarn erobern. Ist Leidenschaftlichkeit, Ironie (wie z. B. in<lb/>
dem erwähnten Artikel), das rechte Mittel hiezu? Es ist nicht anzu¬<lb/>
nehmen, daß Herr or. Henßelmann deshalb die deutsche Sprache<lb/>
für seine Publication wählt, um den Deutschen Bitterkeiten sagen zu<lb/>
können; ich habe vielmehr die Ueberzeugung, daß nur die Entfernung<lb/>
von Deutschland und das fortgesetzte Leben unter den aufregenden<lb/>
magyarischen Debatten inmitten der betheiligten Landsleute, dem Re¬<lb/>
dacteur und seinen Mitarbeitern ihren ursprünglichen Gesichtspunkt bis¬<lb/>
weilen entrücken und ihren Artikeln eine Färbung geben, die mit ihrer<lb/>
primitiven, beifallswürdigen Absicht im Widerspruche steht. Mögen<lb/>
diese Herren den wohlgemeinten Rath und Tadel beachten, der aus<lb/>
der Theilnahme entspringt für ein Organ, das viel dazu beitragen<lb/>
könnte, Deutsche und Magyaren über ihr gemeinsames Interesse auf¬</p><lb/>
            <note xml:id="FID_66" place="foot"> .<lb/>
*) Siehe &#x201E;Stimme eines Weisen aus dem Auslande" Biertcliahrsschrifi<lb/>
üUnarn 1843. '    " " &gt;</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0821] eigen Materials eine größere Aufmerksamkeit von Seiten des deut¬ schen Publicums. Daß ihr diese nicht nach dem Maße ihres Ver¬ dienstes gezollt wird, liegt vielleicht in der bisweilen leidenschaftlichen Fas¬ sung ihrer leitenden Artikel; eine Leidenschaftlichkeit, die sich sogleich im An¬ fange auch gegen Deutschland richtete».) Es ist natürlich, daß man von einer Nationalität, die heißeres Blut besitzt, nicht fordern kann, daß sie sich nach unserer Weise ausdrücke. Das leidenschaftliche Feuer, mit wel¬ chem ein Publizist zu seiner eigenen Nation spricht, ist hoch in Ehren zu halten. Der Volkstribun, und ein solcher sei der Journalist, kann nur durch Feuer die Massen hinreißen; es wäre kleinlich, um eines zu heftigen Ausdrucks willen mit ihm zu rechten. Aber der Publi¬ zist, der zu einer fremden Nation spricht, die nicht mitwirkend, sondern nur Zuschauerin ist, von dem erwartet man, daß er. zum Heile sei¬ nes eigenen Zweckes, auf die Natur und Richtung dieses Publicums Rücksicht nehme. Was kann die Absicht der Vierteljahrsschrift für Ungarn sein? An wen wendet sie sich? Nicht an die Magyaren, sonst würde sie ihrer Sprache sich bedienen; also an Deutschland. Sie will die Deutschen offenbar über die Rechte und Bestrebungen Un¬ garns aufklären, sie will den Magyaren Sympathien bei ihren deut¬ schen Nachbarn erobern. Ist Leidenschaftlichkeit, Ironie (wie z. B. in dem erwähnten Artikel), das rechte Mittel hiezu? Es ist nicht anzu¬ nehmen, daß Herr or. Henßelmann deshalb die deutsche Sprache für seine Publication wählt, um den Deutschen Bitterkeiten sagen zu können; ich habe vielmehr die Ueberzeugung, daß nur die Entfernung von Deutschland und das fortgesetzte Leben unter den aufregenden magyarischen Debatten inmitten der betheiligten Landsleute, dem Re¬ dacteur und seinen Mitarbeitern ihren ursprünglichen Gesichtspunkt bis¬ weilen entrücken und ihren Artikeln eine Färbung geben, die mit ihrer primitiven, beifallswürdigen Absicht im Widerspruche steht. Mögen diese Herren den wohlgemeinten Rath und Tadel beachten, der aus der Theilnahme entspringt für ein Organ, das viel dazu beitragen könnte, Deutsche und Magyaren über ihr gemeinsames Interesse auf¬ . *) Siehe „Stimme eines Weisen aus dem Auslande" Biertcliahrsschrifi üUnarn 1843. ' " " >

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/821
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/821>, abgerufen am 29.06.2024.