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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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und auch oft genug dieses Ruhmes sich würdig gezeigt hat.
Als Frankreich die Abschaffung der Censur decretirte, hat es
die Blätter deutscher Zunge, die im Elsaß erscheinen, nicht bei Seite
gelassen, obgleich in mehreren derselben für Deutschland gesprochen
wird. In England ist die irische Presse, die Nepeal und Haß der
Sassenachs predigt, unter demselben Gesetzschutz wie alle übrigen
Blätter. Der Standesunterschied, der in Ungarn zwischen magyarischer
und deutscher Presse herrscht, ist wie eine Rückkehr zu jener Tendenz,
welche den Magyar, den Adeligen, als den alleinigen Herrn
des Landes anerkennt. Die Magyaren protestiren gegen die Aus¬
legung ihres jüngsten Sprachgesetzes, sie behaupten, daß das Vor¬
recht, welches sie der ungarischen Sprache eroberten, nur ein diplo¬
matisches sei, keineswegs aber in einen Sprachzwang ausarten solle.
Der Nothstand, in dem sie die deutsche und die slavische Presse be¬
lassen, ist, wenn auch ein indirekter, aber darum nicht minder offener
und schreiender Sprachzwang. Selbst das Verfahren der Regierung, in
Bezug auf die ungarisch-deutsche Presse, ist weit eher zu motiviren
und in gewisser Art sogar eher zu entschuldigen, als das der Ma¬
gyaren. Oesterreich sieht sich in der Verlegenheit, durch Gleichstellung
der deutschen mit der magyarischen Presse in Ungarn, in der einen
Ecke der Monarchie Meinungsäußerungen sich erheben zu sehen, die in
allen übrigen proscribirt sind. Die größere Freiheit, welche die ma¬
gyarische Presse genießt, ist in den übrigen Provinzen nicht gefährlich,
da die ungarische Sprache außerhalb Ungarns nicht verstanden wird.
Bei einer freieren Bewegung der deutschen Journale in Ungarn wür¬
den die dort geäußerten Prinzipien sich mit reißender Schnelligkeit
durch die Monarchie verbreiten, wo das Deutsche überall gelesen und
verstanden wird. Die ungarischen Blatter könnten allerdings für das
übrige Oesterreich verboten werden, dies wäre jedoch bei der dichten
Nachbarschaft nicht gut durchzuführen und wäre zugleich eine Ma߬
regel, der Oesterreich in seiner Scheu vor allem Aufregenden und
Aufsehenmachenden gerne ausweicht. Viel leichter ist es, Alles beim
Alten zu lassen, bequem und vorsichtig zugleich. -- Leider ist dies
eine Consequenz jenes Irrthums, den Oesterreich nicht etwa blos in
Bezug auf Preßfreiheit, sondern in Bezug auf die Presse überhaupt
hegt. Oesterreich wird noch lange nicht glauben, daß die Presse die
Wunden heilt, die sie schlägt. Und doch hat es gerade in Ungarn


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und auch oft genug dieses Ruhmes sich würdig gezeigt hat.
Als Frankreich die Abschaffung der Censur decretirte, hat es
die Blätter deutscher Zunge, die im Elsaß erscheinen, nicht bei Seite
gelassen, obgleich in mehreren derselben für Deutschland gesprochen
wird. In England ist die irische Presse, die Nepeal und Haß der
Sassenachs predigt, unter demselben Gesetzschutz wie alle übrigen
Blätter. Der Standesunterschied, der in Ungarn zwischen magyarischer
und deutscher Presse herrscht, ist wie eine Rückkehr zu jener Tendenz,
welche den Magyar, den Adeligen, als den alleinigen Herrn
des Landes anerkennt. Die Magyaren protestiren gegen die Aus¬
legung ihres jüngsten Sprachgesetzes, sie behaupten, daß das Vor¬
recht, welches sie der ungarischen Sprache eroberten, nur ein diplo¬
matisches sei, keineswegs aber in einen Sprachzwang ausarten solle.
Der Nothstand, in dem sie die deutsche und die slavische Presse be¬
lassen, ist, wenn auch ein indirekter, aber darum nicht minder offener
und schreiender Sprachzwang. Selbst das Verfahren der Regierung, in
Bezug auf die ungarisch-deutsche Presse, ist weit eher zu motiviren
und in gewisser Art sogar eher zu entschuldigen, als das der Ma¬
gyaren. Oesterreich sieht sich in der Verlegenheit, durch Gleichstellung
der deutschen mit der magyarischen Presse in Ungarn, in der einen
Ecke der Monarchie Meinungsäußerungen sich erheben zu sehen, die in
allen übrigen proscribirt sind. Die größere Freiheit, welche die ma¬
gyarische Presse genießt, ist in den übrigen Provinzen nicht gefährlich,
da die ungarische Sprache außerhalb Ungarns nicht verstanden wird.
Bei einer freieren Bewegung der deutschen Journale in Ungarn wür¬
den die dort geäußerten Prinzipien sich mit reißender Schnelligkeit
durch die Monarchie verbreiten, wo das Deutsche überall gelesen und
verstanden wird. Die ungarischen Blatter könnten allerdings für das
übrige Oesterreich verboten werden, dies wäre jedoch bei der dichten
Nachbarschaft nicht gut durchzuführen und wäre zugleich eine Ma߬
regel, der Oesterreich in seiner Scheu vor allem Aufregenden und
Aufsehenmachenden gerne ausweicht. Viel leichter ist es, Alles beim
Alten zu lassen, bequem und vorsichtig zugleich. — Leider ist dies
eine Consequenz jenes Irrthums, den Oesterreich nicht etwa blos in
Bezug auf Preßfreiheit, sondern in Bezug auf die Presse überhaupt
hegt. Oesterreich wird noch lange nicht glauben, daß die Presse die
Wunden heilt, die sie schlägt. Und doch hat es gerade in Ungarn


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[0819] und auch oft genug dieses Ruhmes sich würdig gezeigt hat. Als Frankreich die Abschaffung der Censur decretirte, hat es die Blätter deutscher Zunge, die im Elsaß erscheinen, nicht bei Seite gelassen, obgleich in mehreren derselben für Deutschland gesprochen wird. In England ist die irische Presse, die Nepeal und Haß der Sassenachs predigt, unter demselben Gesetzschutz wie alle übrigen Blätter. Der Standesunterschied, der in Ungarn zwischen magyarischer und deutscher Presse herrscht, ist wie eine Rückkehr zu jener Tendenz, welche den Magyar, den Adeligen, als den alleinigen Herrn des Landes anerkennt. Die Magyaren protestiren gegen die Aus¬ legung ihres jüngsten Sprachgesetzes, sie behaupten, daß das Vor¬ recht, welches sie der ungarischen Sprache eroberten, nur ein diplo¬ matisches sei, keineswegs aber in einen Sprachzwang ausarten solle. Der Nothstand, in dem sie die deutsche und die slavische Presse be¬ lassen, ist, wenn auch ein indirekter, aber darum nicht minder offener und schreiender Sprachzwang. Selbst das Verfahren der Regierung, in Bezug auf die ungarisch-deutsche Presse, ist weit eher zu motiviren und in gewisser Art sogar eher zu entschuldigen, als das der Ma¬ gyaren. Oesterreich sieht sich in der Verlegenheit, durch Gleichstellung der deutschen mit der magyarischen Presse in Ungarn, in der einen Ecke der Monarchie Meinungsäußerungen sich erheben zu sehen, die in allen übrigen proscribirt sind. Die größere Freiheit, welche die ma¬ gyarische Presse genießt, ist in den übrigen Provinzen nicht gefährlich, da die ungarische Sprache außerhalb Ungarns nicht verstanden wird. Bei einer freieren Bewegung der deutschen Journale in Ungarn wür¬ den die dort geäußerten Prinzipien sich mit reißender Schnelligkeit durch die Monarchie verbreiten, wo das Deutsche überall gelesen und verstanden wird. Die ungarischen Blatter könnten allerdings für das übrige Oesterreich verboten werden, dies wäre jedoch bei der dichten Nachbarschaft nicht gut durchzuführen und wäre zugleich eine Ma߬ regel, der Oesterreich in seiner Scheu vor allem Aufregenden und Aufsehenmachenden gerne ausweicht. Viel leichter ist es, Alles beim Alten zu lassen, bequem und vorsichtig zugleich. — Leider ist dies eine Consequenz jenes Irrthums, den Oesterreich nicht etwa blos in Bezug auf Preßfreiheit, sondern in Bezug auf die Presse überhaupt hegt. Oesterreich wird noch lange nicht glauben, daß die Presse die Wunden heilt, die sie schlägt. Und doch hat es gerade in Ungarn 105»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/819>, abgerufen am 29.06.2024.