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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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hen in der Hitze dieses Jdeenkampfes tausend dem Kampfe fern lie¬
gende Gegenstande, deren Erörterung Deutschland höchlich interessiren
müßte, verloren, weil nur das hervorgezogen wird, was dem Kampfe
zur Nahrung dient. Wie viel Gutes, Lehrreiches und Interessantes
könnte ein deutsches Journal wie die Preßburger Zeitung nicht bie¬
ten, wenn sie ferne von Leidenschaft nur das Interesse der Wahrheit
im Auge behielte.

Um nicht ungerecht zu sein, muß vor Allem gesagt werden, daß
Herr Neustadt, der mit vielem Talente einen redlichen Willen und
einen ungewöhnlichen Rechtssinn verbindet, unzählige Versuche ge¬
macht hat, um die hier angedeutete Bahn einzuschlagen, aber immer
daran scheiterte, woran so Vieles in Oesterreich scheitern muß -- an
der Censur. Denn wohlgemerkt, die deutschen Blätter in Ungarn
stehen nicht unter ungarischer, sondern unter österreichischer Censur
und bilden so ein jämmerliches Gegenbild zu den freiern Bewegungen
der magyarischen Blätter. Welch ein schreiendes Mißverhältniß! In
welchem Staate der Welt findet sich ein ähnlicher Widerspruch? In
einem und demselben Lande, unter der Herrschaft derselben Gesetze
erscheinen Blätter in verschiedenen Sprachen, und während man den
einen ihre volle Mannbarkeit zugesteht, setzt man die anderen, die
obendrein noch die Sprache der Centralregierung, des Kaiserhauses
sprechen, unter die schärfste, kleinlichste Vormundschaft.

Die Ursache dieses unerhörten Widerspruchs dürfte Manchem
unbegreiflich sein. Schützen die Landesgesetze nicht Einen wie den
Andern in diesem Ungarn? höre ich fragen, und andererseits, wenn
die Negierung die Macht hat, die Presse zu beherrschen und wenn
sie in einer strengen Censur ihren Vortheil zu sehen glaubt, warum
dehnt sie dieselbe nicht auch auf vie magyarischen Blätter aus? Hier¬
auf muß ich eine Antwort geben, die mir schwer fällt in einem Auf¬
satze, dessen Zweck es ist, zu einem freundlicheren Verständniß zwischen
Magyaren und Deutschen etwas beizutragen und den Ersteren das
Wort zu reden bei den Letzteren. Denn frei herausgesagt, in Bezug
auf die ungarisch-deutsche Presse haben die Magyaren einen unver¬
zeihlicher Egoismus an den Tag gelegt, den Blättern ihrer Zunge
haben sie Schutz und eine liberale Censur erwirkt; die deutschen
Blätter in ihrem Lande haben sie schmählich im Stich gelassen. Dies
ist keineswegs würdig einer Nation, die so gerne ihreGroßmuth rühmt,


hen in der Hitze dieses Jdeenkampfes tausend dem Kampfe fern lie¬
gende Gegenstande, deren Erörterung Deutschland höchlich interessiren
müßte, verloren, weil nur das hervorgezogen wird, was dem Kampfe
zur Nahrung dient. Wie viel Gutes, Lehrreiches und Interessantes
könnte ein deutsches Journal wie die Preßburger Zeitung nicht bie¬
ten, wenn sie ferne von Leidenschaft nur das Interesse der Wahrheit
im Auge behielte.

Um nicht ungerecht zu sein, muß vor Allem gesagt werden, daß
Herr Neustadt, der mit vielem Talente einen redlichen Willen und
einen ungewöhnlichen Rechtssinn verbindet, unzählige Versuche ge¬
macht hat, um die hier angedeutete Bahn einzuschlagen, aber immer
daran scheiterte, woran so Vieles in Oesterreich scheitern muß — an
der Censur. Denn wohlgemerkt, die deutschen Blätter in Ungarn
stehen nicht unter ungarischer, sondern unter österreichischer Censur
und bilden so ein jämmerliches Gegenbild zu den freiern Bewegungen
der magyarischen Blätter. Welch ein schreiendes Mißverhältniß! In
welchem Staate der Welt findet sich ein ähnlicher Widerspruch? In
einem und demselben Lande, unter der Herrschaft derselben Gesetze
erscheinen Blätter in verschiedenen Sprachen, und während man den
einen ihre volle Mannbarkeit zugesteht, setzt man die anderen, die
obendrein noch die Sprache der Centralregierung, des Kaiserhauses
sprechen, unter die schärfste, kleinlichste Vormundschaft.

Die Ursache dieses unerhörten Widerspruchs dürfte Manchem
unbegreiflich sein. Schützen die Landesgesetze nicht Einen wie den
Andern in diesem Ungarn? höre ich fragen, und andererseits, wenn
die Negierung die Macht hat, die Presse zu beherrschen und wenn
sie in einer strengen Censur ihren Vortheil zu sehen glaubt, warum
dehnt sie dieselbe nicht auch auf vie magyarischen Blätter aus? Hier¬
auf muß ich eine Antwort geben, die mir schwer fällt in einem Auf¬
satze, dessen Zweck es ist, zu einem freundlicheren Verständniß zwischen
Magyaren und Deutschen etwas beizutragen und den Ersteren das
Wort zu reden bei den Letzteren. Denn frei herausgesagt, in Bezug
auf die ungarisch-deutsche Presse haben die Magyaren einen unver¬
zeihlicher Egoismus an den Tag gelegt, den Blättern ihrer Zunge
haben sie Schutz und eine liberale Censur erwirkt; die deutschen
Blätter in ihrem Lande haben sie schmählich im Stich gelassen. Dies
ist keineswegs würdig einer Nation, die so gerne ihreGroßmuth rühmt,


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[0818] hen in der Hitze dieses Jdeenkampfes tausend dem Kampfe fern lie¬ gende Gegenstande, deren Erörterung Deutschland höchlich interessiren müßte, verloren, weil nur das hervorgezogen wird, was dem Kampfe zur Nahrung dient. Wie viel Gutes, Lehrreiches und Interessantes könnte ein deutsches Journal wie die Preßburger Zeitung nicht bie¬ ten, wenn sie ferne von Leidenschaft nur das Interesse der Wahrheit im Auge behielte. Um nicht ungerecht zu sein, muß vor Allem gesagt werden, daß Herr Neustadt, der mit vielem Talente einen redlichen Willen und einen ungewöhnlichen Rechtssinn verbindet, unzählige Versuche ge¬ macht hat, um die hier angedeutete Bahn einzuschlagen, aber immer daran scheiterte, woran so Vieles in Oesterreich scheitern muß — an der Censur. Denn wohlgemerkt, die deutschen Blätter in Ungarn stehen nicht unter ungarischer, sondern unter österreichischer Censur und bilden so ein jämmerliches Gegenbild zu den freiern Bewegungen der magyarischen Blätter. Welch ein schreiendes Mißverhältniß! In welchem Staate der Welt findet sich ein ähnlicher Widerspruch? In einem und demselben Lande, unter der Herrschaft derselben Gesetze erscheinen Blätter in verschiedenen Sprachen, und während man den einen ihre volle Mannbarkeit zugesteht, setzt man die anderen, die obendrein noch die Sprache der Centralregierung, des Kaiserhauses sprechen, unter die schärfste, kleinlichste Vormundschaft. Die Ursache dieses unerhörten Widerspruchs dürfte Manchem unbegreiflich sein. Schützen die Landesgesetze nicht Einen wie den Andern in diesem Ungarn? höre ich fragen, und andererseits, wenn die Negierung die Macht hat, die Presse zu beherrschen und wenn sie in einer strengen Censur ihren Vortheil zu sehen glaubt, warum dehnt sie dieselbe nicht auch auf vie magyarischen Blätter aus? Hier¬ auf muß ich eine Antwort geben, die mir schwer fällt in einem Auf¬ satze, dessen Zweck es ist, zu einem freundlicheren Verständniß zwischen Magyaren und Deutschen etwas beizutragen und den Ersteren das Wort zu reden bei den Letzteren. Denn frei herausgesagt, in Bezug auf die ungarisch-deutsche Presse haben die Magyaren einen unver¬ zeihlicher Egoismus an den Tag gelegt, den Blättern ihrer Zunge haben sie Schutz und eine liberale Censur erwirkt; die deutschen Blätter in ihrem Lande haben sie schmählich im Stich gelassen. Dies ist keineswegs würdig einer Nation, die so gerne ihreGroßmuth rühmt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/818>, abgerufen am 29.06.2024.