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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Rußland und ein Haß gegen Oesterreich übergegangen, der dessen
beklagenswerther Politik gegen die Türkei zuzuschreiben ist. Als die
Pforte nach Joseph's II. Tode alt und kraftlos geworden war, glaubte
Oesterreich, in unzeitiger Großmuth, den früheren Feind, der sich nun
in den ihm gebührenden Schranken hielt, eben so in seinem Recht
schützen zu müssen, wie es gegen ihn sein eigenes gewahrt hatte.
Jenes Recht aber war ein Unrecht gegen die jugendlichen, von der
Pforte geknechteten Christenvölker, an denen nach dem Laufe der Na¬
tur die Reihe war, sich aus den Händen der alterschwachen Despo¬
tie loszureißen. Während nun Oesterreich aus mancherlei Weise den zit¬
ternden und blutbefleckten Händen der Pforte half, diese Völker fest¬
zuhalten, warf sich Nußland zu ihrem Anwalt aus, nicht weil das
Recht, sondern weil die Kraft und der wahrscheinliche Sieg auf ih¬
rer Seite war. Vielleicht handelte Oesterreich nur so, weil es früh¬
zeitig die Sympathie der Süd-Slaven für den nordischen Glaubens¬
genossen erkannte; aber es beförderte eben dadurch nur das, was es
verhindern wollte. Und die Früchte dieser unseligen Politik beginnen
schon zu reifen. Die feindseligste Agitation gegen die Magyaren, die
vom Süden Ungarns ausgeht, hat keine blos slavische Färbung und
ist auch nicht blos gegen das Magyarenthum gerichtet. Dort sind
die Blößen, wo einst Oesterreich des Erbfeindes Klauen in seinen
Weichen fühlen wird; denn bei klug geschürter Zwietracht und
steigender Erbitterung werden einst die protestantischen Slaven
Nordungarns über der nationalen Verwandtschaft den religiösen Un¬
terschied vergessen und sich mit den Kroaten und Jllyriern verbünden,
um das Prinzipal des Slaventhums in Ungarn, umer nor¬
dischem Schutze natürlich, auszurufen. Das wittert der Magyar und
dagegen bäumt er sich in lärmender Wildheit, wie das edle Roß,
das von fern schon den Streit riecht und das lauernde Raubthier,
während sein Reiter noch harmlos in den schönen blauen Himmel
hineinschaut.

Diesem Vorposten gegen den modernen Erbfeind muß der Deut¬
sche Manches nachsehen. Das Hauptinteresse, welches die
Magyaren und Deutschen an einander bindet, ist so groß, daß man
einige untergeordnete Fragen, wie z. B. die der Deutschen in Sie¬
benbürgen jetzt auf sich beruhen lassen sollte, um so mehr, als derlei
Discussionen nur reizen, ohne zu einem Resultat zu führen. Unsere


Rußland und ein Haß gegen Oesterreich übergegangen, der dessen
beklagenswerther Politik gegen die Türkei zuzuschreiben ist. Als die
Pforte nach Joseph's II. Tode alt und kraftlos geworden war, glaubte
Oesterreich, in unzeitiger Großmuth, den früheren Feind, der sich nun
in den ihm gebührenden Schranken hielt, eben so in seinem Recht
schützen zu müssen, wie es gegen ihn sein eigenes gewahrt hatte.
Jenes Recht aber war ein Unrecht gegen die jugendlichen, von der
Pforte geknechteten Christenvölker, an denen nach dem Laufe der Na¬
tur die Reihe war, sich aus den Händen der alterschwachen Despo¬
tie loszureißen. Während nun Oesterreich aus mancherlei Weise den zit¬
ternden und blutbefleckten Händen der Pforte half, diese Völker fest¬
zuhalten, warf sich Nußland zu ihrem Anwalt aus, nicht weil das
Recht, sondern weil die Kraft und der wahrscheinliche Sieg auf ih¬
rer Seite war. Vielleicht handelte Oesterreich nur so, weil es früh¬
zeitig die Sympathie der Süd-Slaven für den nordischen Glaubens¬
genossen erkannte; aber es beförderte eben dadurch nur das, was es
verhindern wollte. Und die Früchte dieser unseligen Politik beginnen
schon zu reifen. Die feindseligste Agitation gegen die Magyaren, die
vom Süden Ungarns ausgeht, hat keine blos slavische Färbung und
ist auch nicht blos gegen das Magyarenthum gerichtet. Dort sind
die Blößen, wo einst Oesterreich des Erbfeindes Klauen in seinen
Weichen fühlen wird; denn bei klug geschürter Zwietracht und
steigender Erbitterung werden einst die protestantischen Slaven
Nordungarns über der nationalen Verwandtschaft den religiösen Un¬
terschied vergessen und sich mit den Kroaten und Jllyriern verbünden,
um das Prinzipal des Slaventhums in Ungarn, umer nor¬
dischem Schutze natürlich, auszurufen. Das wittert der Magyar und
dagegen bäumt er sich in lärmender Wildheit, wie das edle Roß,
das von fern schon den Streit riecht und das lauernde Raubthier,
während sein Reiter noch harmlos in den schönen blauen Himmel
hineinschaut.

Diesem Vorposten gegen den modernen Erbfeind muß der Deut¬
sche Manches nachsehen. Das Hauptinteresse, welches die
Magyaren und Deutschen an einander bindet, ist so groß, daß man
einige untergeordnete Fragen, wie z. B. die der Deutschen in Sie¬
benbürgen jetzt auf sich beruhen lassen sollte, um so mehr, als derlei
Discussionen nur reizen, ohne zu einem Resultat zu führen. Unsere


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[0816] Rußland und ein Haß gegen Oesterreich übergegangen, der dessen beklagenswerther Politik gegen die Türkei zuzuschreiben ist. Als die Pforte nach Joseph's II. Tode alt und kraftlos geworden war, glaubte Oesterreich, in unzeitiger Großmuth, den früheren Feind, der sich nun in den ihm gebührenden Schranken hielt, eben so in seinem Recht schützen zu müssen, wie es gegen ihn sein eigenes gewahrt hatte. Jenes Recht aber war ein Unrecht gegen die jugendlichen, von der Pforte geknechteten Christenvölker, an denen nach dem Laufe der Na¬ tur die Reihe war, sich aus den Händen der alterschwachen Despo¬ tie loszureißen. Während nun Oesterreich aus mancherlei Weise den zit¬ ternden und blutbefleckten Händen der Pforte half, diese Völker fest¬ zuhalten, warf sich Nußland zu ihrem Anwalt aus, nicht weil das Recht, sondern weil die Kraft und der wahrscheinliche Sieg auf ih¬ rer Seite war. Vielleicht handelte Oesterreich nur so, weil es früh¬ zeitig die Sympathie der Süd-Slaven für den nordischen Glaubens¬ genossen erkannte; aber es beförderte eben dadurch nur das, was es verhindern wollte. Und die Früchte dieser unseligen Politik beginnen schon zu reifen. Die feindseligste Agitation gegen die Magyaren, die vom Süden Ungarns ausgeht, hat keine blos slavische Färbung und ist auch nicht blos gegen das Magyarenthum gerichtet. Dort sind die Blößen, wo einst Oesterreich des Erbfeindes Klauen in seinen Weichen fühlen wird; denn bei klug geschürter Zwietracht und steigender Erbitterung werden einst die protestantischen Slaven Nordungarns über der nationalen Verwandtschaft den religiösen Un¬ terschied vergessen und sich mit den Kroaten und Jllyriern verbünden, um das Prinzipal des Slaventhums in Ungarn, umer nor¬ dischem Schutze natürlich, auszurufen. Das wittert der Magyar und dagegen bäumt er sich in lärmender Wildheit, wie das edle Roß, das von fern schon den Streit riecht und das lauernde Raubthier, während sein Reiter noch harmlos in den schönen blauen Himmel hineinschaut. Diesem Vorposten gegen den modernen Erbfeind muß der Deut¬ sche Manches nachsehen. Das Hauptinteresse, welches die Magyaren und Deutschen an einander bindet, ist so groß, daß man einige untergeordnete Fragen, wie z. B. die der Deutschen in Sie¬ benbürgen jetzt auf sich beruhen lassen sollte, um so mehr, als derlei Discussionen nur reizen, ohne zu einem Resultat zu führen. Unsere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/816>, abgerufen am 28.09.2024.