eiserne Thor dem Erbfeinde gutwillig öffnen? Man täuscht sich wohl nicht mehr über unsere Stellung zu dem Moskowitenreich, das seit einem Jahrhundert wie eine Lawine wachsend, asiatische Volksstämme, entwurzelte Slavcngeschlechter, Finnen, Tataren und Armenier sich nssimilirend, mit dem doppelten Gewicht raffinirter List und ungebro¬ chener Naturkraft auf die schwachen Dämme unserer (an jenen Gren¬ zen) nur zu unfertigen Cultur und Germanisation losrückt. Man dachte nicht an's Germanisiren, als Ungarn der verlorene Posten gegen den Halbmond war. Auch jetzt, bei dem Kampf gegen den Türken un¬ serer Zeit, wird man einsehen, daß ein heldenmüthiges, freies und uns befreundetes Volk ein besserer Kampfgenosse ist, als eine ver¬ waschene, äußerlich verdeutschte, innerlich grollende oder gleichgiltige Bevölkerung. Sobald es zum physischen Kampfe kommt, wird allen Anzeichen nach wieder Ungarn die Wahlstatt sein, wo die Geschicke Deutschlands und der Civilisation entschieden werden. Die Magya¬ ren aber, die Hüter der Donau, kraft ihres Nationalstolzcs und ihres ritterlichen Wesens natürliche Feinde des Russenthums, sind unwill¬ kürlich unsere Vorhut und durch die gefährliche Isolirtheit ihrer Lage auf die innigste Allianz mit Deutschland angewiesen.
Von diesem Gesichtspunkte aus war es eine kluge und sehr zu billigende Maßregel Oesterreichs, daß es dem Reichstagsbeschluß in Bezug auf die ungarische Sprache sich nicht länger entgegenstellte. Was auch die Slaven dagegen einwenden mögen, so viel muß Jedermann ge¬ stehen, daß ein Primat der slavischen Ungarn eher dem Magyaren¬ volk, als dessen Hegemonie dem Slaventhum Ungarns den Unter¬ gang drohen würde. Was die Magyaren anstreben und behaupten wollen, die Geltung ihrer Sprache als Staatssprache, ist nur berech¬ net, Einheit in die politische Repräsentation des Reichs zu bringen, ohne daß es im Stande wäre, die Nationalität der verschiedenen Volksstämme Ungarns anzutasten. -- Umgekehrt wäre es schlimmer. -- Es ist nicht zu läugnen, daß Rohheit oder Mißverstand von Seiten der Magyaren oft zu weit gegangen ist. Aber die grausen¬ haften Sprachzwangshistorien, wie sie durch alle deutschen Zeitungen liefen, waren meist Karrikatur. Wer in der Augsburger Allgemeinen zu Anfang dieses Jahres die Erklärung Mailath's und die nicht widerlegten Enthüllungen von Luk-lcz las, wird einen Begriff bekom¬ men von den gewissenlosen Mystifikationen, die oft von der eigenen
eiserne Thor dem Erbfeinde gutwillig öffnen? Man täuscht sich wohl nicht mehr über unsere Stellung zu dem Moskowitenreich, das seit einem Jahrhundert wie eine Lawine wachsend, asiatische Volksstämme, entwurzelte Slavcngeschlechter, Finnen, Tataren und Armenier sich nssimilirend, mit dem doppelten Gewicht raffinirter List und ungebro¬ chener Naturkraft auf die schwachen Dämme unserer (an jenen Gren¬ zen) nur zu unfertigen Cultur und Germanisation losrückt. Man dachte nicht an's Germanisiren, als Ungarn der verlorene Posten gegen den Halbmond war. Auch jetzt, bei dem Kampf gegen den Türken un¬ serer Zeit, wird man einsehen, daß ein heldenmüthiges, freies und uns befreundetes Volk ein besserer Kampfgenosse ist, als eine ver¬ waschene, äußerlich verdeutschte, innerlich grollende oder gleichgiltige Bevölkerung. Sobald es zum physischen Kampfe kommt, wird allen Anzeichen nach wieder Ungarn die Wahlstatt sein, wo die Geschicke Deutschlands und der Civilisation entschieden werden. Die Magya¬ ren aber, die Hüter der Donau, kraft ihres Nationalstolzcs und ihres ritterlichen Wesens natürliche Feinde des Russenthums, sind unwill¬ kürlich unsere Vorhut und durch die gefährliche Isolirtheit ihrer Lage auf die innigste Allianz mit Deutschland angewiesen.
Von diesem Gesichtspunkte aus war es eine kluge und sehr zu billigende Maßregel Oesterreichs, daß es dem Reichstagsbeschluß in Bezug auf die ungarische Sprache sich nicht länger entgegenstellte. Was auch die Slaven dagegen einwenden mögen, so viel muß Jedermann ge¬ stehen, daß ein Primat der slavischen Ungarn eher dem Magyaren¬ volk, als dessen Hegemonie dem Slaventhum Ungarns den Unter¬ gang drohen würde. Was die Magyaren anstreben und behaupten wollen, die Geltung ihrer Sprache als Staatssprache, ist nur berech¬ net, Einheit in die politische Repräsentation des Reichs zu bringen, ohne daß es im Stande wäre, die Nationalität der verschiedenen Volksstämme Ungarns anzutasten. — Umgekehrt wäre es schlimmer. — Es ist nicht zu läugnen, daß Rohheit oder Mißverstand von Seiten der Magyaren oft zu weit gegangen ist. Aber die grausen¬ haften Sprachzwangshistorien, wie sie durch alle deutschen Zeitungen liefen, waren meist Karrikatur. Wer in der Augsburger Allgemeinen zu Anfang dieses Jahres die Erklärung Mailath's und die nicht widerlegten Enthüllungen von Luk-lcz las, wird einen Begriff bekom¬ men von den gewissenlosen Mystifikationen, die oft von der eigenen
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[0814]
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nicht mehr über unsere Stellung zu dem Moskowitenreich, das seit
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entwurzelte Slavcngeschlechter, Finnen, Tataren und Armenier sich
nssimilirend, mit dem doppelten Gewicht raffinirter List und ungebro¬
chener Naturkraft auf die schwachen Dämme unserer (an jenen Gren¬
zen) nur zu unfertigen Cultur und Germanisation losrückt. Man dachte
nicht an's Germanisiren, als Ungarn der verlorene Posten gegen den
Halbmond war. Auch jetzt, bei dem Kampf gegen den Türken un¬
serer Zeit, wird man einsehen, daß ein heldenmüthiges, freies und
uns befreundetes Volk ein besserer Kampfgenosse ist, als eine ver¬
waschene, äußerlich verdeutschte, innerlich grollende oder gleichgiltige
Bevölkerung. Sobald es zum physischen Kampfe kommt, wird allen
Anzeichen nach wieder Ungarn die Wahlstatt sein, wo die Geschicke
Deutschlands und der Civilisation entschieden werden. Die Magya¬
ren aber, die Hüter der Donau, kraft ihres Nationalstolzcs und ihres
ritterlichen Wesens natürliche Feinde des Russenthums, sind unwill¬
kürlich unsere Vorhut und durch die gefährliche Isolirtheit ihrer Lage
auf die innigste Allianz mit Deutschland angewiesen.
Von diesem Gesichtspunkte aus war es eine kluge und sehr zu
billigende Maßregel Oesterreichs, daß es dem Reichstagsbeschluß in
Bezug auf die ungarische Sprache sich nicht länger entgegenstellte. Was
auch die Slaven dagegen einwenden mögen, so viel muß Jedermann ge¬
stehen, daß ein Primat der slavischen Ungarn eher dem Magyaren¬
volk, als dessen Hegemonie dem Slaventhum Ungarns den Unter¬
gang drohen würde. Was die Magyaren anstreben und behaupten
wollen, die Geltung ihrer Sprache als Staatssprache, ist nur berech¬
net, Einheit in die politische Repräsentation des Reichs zu bringen,
ohne daß es im Stande wäre, die Nationalität der verschiedenen
Volksstämme Ungarns anzutasten. — Umgekehrt wäre es schlimmer.
— Es ist nicht zu läugnen, daß Rohheit oder Mißverstand von
Seiten der Magyaren oft zu weit gegangen ist. Aber die grausen¬
haften Sprachzwangshistorien, wie sie durch alle deutschen Zeitungen
liefen, waren meist Karrikatur. Wer in der Augsburger Allgemeinen
zu Anfang dieses Jahres die Erklärung Mailath's und die nicht
widerlegten Enthüllungen von Luk-lcz las, wird einen Begriff bekom¬
men von den gewissenlosen Mystifikationen, die oft von der eigenen
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/814>, abgerufen am 23.12.2024.
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