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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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dieses deutlich. Unter allen Vorschlägen zur Reform österreichischer
Zustände ist die Schrift "Oesterreich und seine Zukunft", wenn auch
nicht die annehmbarste, wenn auch in ihrem Prinzip .verfehlt, doch
immerhin diejenige, welche mit dem meisten praktischen Geiste, mit
der meisten Kenntniß der Zustände geschrieben ist. Daß das Bür-
gerthum hinter dem Adel zurückbleiben wird, ist wohl nicht zu be¬
fürchten. Möge Jener immerhin die Initiative ergreifen, ist nur das
politische Leben einmal in warmer Regung, so wird das Bürgerthum
seinen Standpunkt bald zu finden wissen. Die Regierung selbst wird
in ihm seine Hauptstütze suchen, wie dieses ja gerade der Fall in Ungarn
ist, wo die Städte in ihren Anforderungen um eine größere Repräsentation
beim Reichstage von der Negierung gefördert werden. Und jene Oe¬
sterreicher, die sonst blos in verbotenen Schriften über heimische Zu¬
stände eine Anregung suchten, die nur zu oft in unfruchtbaren Spöt¬
teleien, in wohlfeiler Verachtung, in Theilnahmlosigkeit und Entmu-
thigung bestand, blicken jetzt unverwandt und in frischer Hoffnung
nach Ungarn. Das Resultat hiervon ist nicht schwer vorauszusehen.
Wie die Negierung einerseits ihre Rechnung dabei finden wird, das
Bürgerthum allmälig zu stärken, um den Adel nicht eine gefährliche
Uebermacht gewinnen zu lassen, so wird sie andererseits dem zuneh¬
menden Uebergewicht des Magyaren- und Slaventhums nichts na¬
türlicheres und Kräftigeres entgegenstellen können, als die Emancipa¬
tion und die organische Belebung der deutschen Elemente im Kaiser¬
staat. Ein fruchtbarer Wetteifer wird dann in Oesterreich, Steyermark,
Tyrol und unter den Deutschen von Böhmen und Mähren entbren¬
nen, denn diese Völker sind im tiefsten Herzen heil und gesund, von
unentweihter jugendlicher Kraft und Frische. Kommt das deutsche
Leben auf diese Art in freier Entwickelung zu Ehren, dann hat Oester¬
reich' eine ganz andere Stellung zu Deutschland erhalten, als die es
bisher einnahm. Und wer kann die Folgen eines Umschwungs berech¬
nen, den Oesterreich, wenn es diese Bahn eingeschlagen, in die poli¬
tischen Verhältnisse Deutschlands bringt?

So wichtig nun Ungarn, durch seinen politischen Einfluß auf
Oesterreich, für Deutschland überhaupt ist, eben so wichtig ist es an sich
selbst als eine unserer festesten Vormauern gegen Rußland. Wir haben Po¬
len umwerfen und langsam zerbröckeln lassen -- sollen wir auch dieses treue


dieses deutlich. Unter allen Vorschlägen zur Reform österreichischer
Zustände ist die Schrift „Oesterreich und seine Zukunft", wenn auch
nicht die annehmbarste, wenn auch in ihrem Prinzip .verfehlt, doch
immerhin diejenige, welche mit dem meisten praktischen Geiste, mit
der meisten Kenntniß der Zustände geschrieben ist. Daß das Bür-
gerthum hinter dem Adel zurückbleiben wird, ist wohl nicht zu be¬
fürchten. Möge Jener immerhin die Initiative ergreifen, ist nur das
politische Leben einmal in warmer Regung, so wird das Bürgerthum
seinen Standpunkt bald zu finden wissen. Die Regierung selbst wird
in ihm seine Hauptstütze suchen, wie dieses ja gerade der Fall in Ungarn
ist, wo die Städte in ihren Anforderungen um eine größere Repräsentation
beim Reichstage von der Negierung gefördert werden. Und jene Oe¬
sterreicher, die sonst blos in verbotenen Schriften über heimische Zu¬
stände eine Anregung suchten, die nur zu oft in unfruchtbaren Spöt¬
teleien, in wohlfeiler Verachtung, in Theilnahmlosigkeit und Entmu-
thigung bestand, blicken jetzt unverwandt und in frischer Hoffnung
nach Ungarn. Das Resultat hiervon ist nicht schwer vorauszusehen.
Wie die Negierung einerseits ihre Rechnung dabei finden wird, das
Bürgerthum allmälig zu stärken, um den Adel nicht eine gefährliche
Uebermacht gewinnen zu lassen, so wird sie andererseits dem zuneh¬
menden Uebergewicht des Magyaren- und Slaventhums nichts na¬
türlicheres und Kräftigeres entgegenstellen können, als die Emancipa¬
tion und die organische Belebung der deutschen Elemente im Kaiser¬
staat. Ein fruchtbarer Wetteifer wird dann in Oesterreich, Steyermark,
Tyrol und unter den Deutschen von Böhmen und Mähren entbren¬
nen, denn diese Völker sind im tiefsten Herzen heil und gesund, von
unentweihter jugendlicher Kraft und Frische. Kommt das deutsche
Leben auf diese Art in freier Entwickelung zu Ehren, dann hat Oester¬
reich' eine ganz andere Stellung zu Deutschland erhalten, als die es
bisher einnahm. Und wer kann die Folgen eines Umschwungs berech¬
nen, den Oesterreich, wenn es diese Bahn eingeschlagen, in die poli¬
tischen Verhältnisse Deutschlands bringt?

So wichtig nun Ungarn, durch seinen politischen Einfluß auf
Oesterreich, für Deutschland überhaupt ist, eben so wichtig ist es an sich
selbst als eine unserer festesten Vormauern gegen Rußland. Wir haben Po¬
len umwerfen und langsam zerbröckeln lassen — sollen wir auch dieses treue


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[0813] dieses deutlich. Unter allen Vorschlägen zur Reform österreichischer Zustände ist die Schrift „Oesterreich und seine Zukunft", wenn auch nicht die annehmbarste, wenn auch in ihrem Prinzip .verfehlt, doch immerhin diejenige, welche mit dem meisten praktischen Geiste, mit der meisten Kenntniß der Zustände geschrieben ist. Daß das Bür- gerthum hinter dem Adel zurückbleiben wird, ist wohl nicht zu be¬ fürchten. Möge Jener immerhin die Initiative ergreifen, ist nur das politische Leben einmal in warmer Regung, so wird das Bürgerthum seinen Standpunkt bald zu finden wissen. Die Regierung selbst wird in ihm seine Hauptstütze suchen, wie dieses ja gerade der Fall in Ungarn ist, wo die Städte in ihren Anforderungen um eine größere Repräsentation beim Reichstage von der Negierung gefördert werden. Und jene Oe¬ sterreicher, die sonst blos in verbotenen Schriften über heimische Zu¬ stände eine Anregung suchten, die nur zu oft in unfruchtbaren Spöt¬ teleien, in wohlfeiler Verachtung, in Theilnahmlosigkeit und Entmu- thigung bestand, blicken jetzt unverwandt und in frischer Hoffnung nach Ungarn. Das Resultat hiervon ist nicht schwer vorauszusehen. Wie die Negierung einerseits ihre Rechnung dabei finden wird, das Bürgerthum allmälig zu stärken, um den Adel nicht eine gefährliche Uebermacht gewinnen zu lassen, so wird sie andererseits dem zuneh¬ menden Uebergewicht des Magyaren- und Slaventhums nichts na¬ türlicheres und Kräftigeres entgegenstellen können, als die Emancipa¬ tion und die organische Belebung der deutschen Elemente im Kaiser¬ staat. Ein fruchtbarer Wetteifer wird dann in Oesterreich, Steyermark, Tyrol und unter den Deutschen von Böhmen und Mähren entbren¬ nen, denn diese Völker sind im tiefsten Herzen heil und gesund, von unentweihter jugendlicher Kraft und Frische. Kommt das deutsche Leben auf diese Art in freier Entwickelung zu Ehren, dann hat Oester¬ reich' eine ganz andere Stellung zu Deutschland erhalten, als die es bisher einnahm. Und wer kann die Folgen eines Umschwungs berech¬ nen, den Oesterreich, wenn es diese Bahn eingeschlagen, in die poli¬ tischen Verhältnisse Deutschlands bringt? So wichtig nun Ungarn, durch seinen politischen Einfluß auf Oesterreich, für Deutschland überhaupt ist, eben so wichtig ist es an sich selbst als eine unserer festesten Vormauern gegen Rußland. Wir haben Po¬ len umwerfen und langsam zerbröckeln lassen — sollen wir auch dieses treue

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/813>, abgerufen am 29.06.2024.