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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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warten sollte. Im Bewußtsein, daß das Terrain einer diplomatischen
und viel gelesenen deutschen Zeitung ihnen gesichert ist; im Bewußt¬
sein, daß in Preßburg wenige Concurrenten ihres Geschäftes sich
vorfinden, haben sie eine eigenthümliche Taktik eingeschlagen. Sie füh¬
ren in ihren Berichten die Conduitenliste des Reichstags. Die gute
oder schlechte Aufführung desselben wird stets als Hauptsache in den Vor¬
dergrund geschoben. Ein Bischen Juratenlärm oder die rednerische Hitze ei¬
nes feurigen Landedelmannes (als ob es in London,Paris oder Washing¬
ton an solchen Episoden fehlte!) bringt sie zu dem Minimum, daß
man nunmehr an der politischen Befähigung der Magyaren verzwei¬
feln müsse. Bringt ein Redner die Freiheit der Presse, die Oeffent-
lichkeit der Gerichte aufs Tapet, so schreien sie, daß man den Bau
des Hauses mit dem Schornstein beginne. Sie haben genau aus¬
gerechnet, wie viel Jahrhunderte noch verstreichen müssen, ehe die
Erörterung solcher Fragen an der Zeit sei, denn es wäre eine himmel¬
schreiende Unnatur, wollte ein Volk so aus heiler Haut in die Frei¬
heit springen, ohne erst die heilsame Schule der Erschlaffung und
Gedrücktheit durchgemacht zu haben. Jene Fragen aber, deren Lösung
über Leben und Tod der Nation entscheidet, werden, weil sie aller¬
dings besser schon erledigt wären, als unnütze Grillenfänger", als
Steckenpferdreiterei, als lächerliche Monomanie geschildert; und wenn,
wie erst unlängst der Fall war, nach Durchkämpfung einer solchen
Lebensfrage, worin alle großen und edlen Leidenschaften der Nation
in voller Gluth aufloderten, die Gemüther abgespannt und für irgend
ein materielles Interesse stumpf geworden sind, so heißt es: Seht,
wie sie die reellsten Angelegenheiten vernachlässigen und nur für
schwülstige Donquiroterien und fanatisches Gepränge mit großen
Redensarten Sinn haben.

Diese schlaue Taktik trifft richtig ihr Ziel. Die deutsche Gründ¬
lichkeit, welche bald mit wohlwollendem Herablassen, bald mit vor¬
nehmem Nasenrümpfen der ungarischen Bewegung einige Theilnahme
schenkt, findet in der That, daß man nicht durch den Schornstein
steigen dürfe. Diese gründlichen Herren versündigen sich an der
Eigenthümli edlen eines fremden Nationalcharakters durch ähnliche ober¬
flächliche Ab mtheilung, wie man sie sonst nur den Franzosen vorzu¬
werfen beliebt.


warten sollte. Im Bewußtsein, daß das Terrain einer diplomatischen
und viel gelesenen deutschen Zeitung ihnen gesichert ist; im Bewußt¬
sein, daß in Preßburg wenige Concurrenten ihres Geschäftes sich
vorfinden, haben sie eine eigenthümliche Taktik eingeschlagen. Sie füh¬
ren in ihren Berichten die Conduitenliste des Reichstags. Die gute
oder schlechte Aufführung desselben wird stets als Hauptsache in den Vor¬
dergrund geschoben. Ein Bischen Juratenlärm oder die rednerische Hitze ei¬
nes feurigen Landedelmannes (als ob es in London,Paris oder Washing¬
ton an solchen Episoden fehlte!) bringt sie zu dem Minimum, daß
man nunmehr an der politischen Befähigung der Magyaren verzwei¬
feln müsse. Bringt ein Redner die Freiheit der Presse, die Oeffent-
lichkeit der Gerichte aufs Tapet, so schreien sie, daß man den Bau
des Hauses mit dem Schornstein beginne. Sie haben genau aus¬
gerechnet, wie viel Jahrhunderte noch verstreichen müssen, ehe die
Erörterung solcher Fragen an der Zeit sei, denn es wäre eine himmel¬
schreiende Unnatur, wollte ein Volk so aus heiler Haut in die Frei¬
heit springen, ohne erst die heilsame Schule der Erschlaffung und
Gedrücktheit durchgemacht zu haben. Jene Fragen aber, deren Lösung
über Leben und Tod der Nation entscheidet, werden, weil sie aller¬
dings besser schon erledigt wären, als unnütze Grillenfänger«, als
Steckenpferdreiterei, als lächerliche Monomanie geschildert; und wenn,
wie erst unlängst der Fall war, nach Durchkämpfung einer solchen
Lebensfrage, worin alle großen und edlen Leidenschaften der Nation
in voller Gluth aufloderten, die Gemüther abgespannt und für irgend
ein materielles Interesse stumpf geworden sind, so heißt es: Seht,
wie sie die reellsten Angelegenheiten vernachlässigen und nur für
schwülstige Donquiroterien und fanatisches Gepränge mit großen
Redensarten Sinn haben.

Diese schlaue Taktik trifft richtig ihr Ziel. Die deutsche Gründ¬
lichkeit, welche bald mit wohlwollendem Herablassen, bald mit vor¬
nehmem Nasenrümpfen der ungarischen Bewegung einige Theilnahme
schenkt, findet in der That, daß man nicht durch den Schornstein
steigen dürfe. Diese gründlichen Herren versündigen sich an der
Eigenthümli edlen eines fremden Nationalcharakters durch ähnliche ober¬
flächliche Ab mtheilung, wie man sie sonst nur den Franzosen vorzu¬
werfen beliebt.


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[0810] warten sollte. Im Bewußtsein, daß das Terrain einer diplomatischen und viel gelesenen deutschen Zeitung ihnen gesichert ist; im Bewußt¬ sein, daß in Preßburg wenige Concurrenten ihres Geschäftes sich vorfinden, haben sie eine eigenthümliche Taktik eingeschlagen. Sie füh¬ ren in ihren Berichten die Conduitenliste des Reichstags. Die gute oder schlechte Aufführung desselben wird stets als Hauptsache in den Vor¬ dergrund geschoben. Ein Bischen Juratenlärm oder die rednerische Hitze ei¬ nes feurigen Landedelmannes (als ob es in London,Paris oder Washing¬ ton an solchen Episoden fehlte!) bringt sie zu dem Minimum, daß man nunmehr an der politischen Befähigung der Magyaren verzwei¬ feln müsse. Bringt ein Redner die Freiheit der Presse, die Oeffent- lichkeit der Gerichte aufs Tapet, so schreien sie, daß man den Bau des Hauses mit dem Schornstein beginne. Sie haben genau aus¬ gerechnet, wie viel Jahrhunderte noch verstreichen müssen, ehe die Erörterung solcher Fragen an der Zeit sei, denn es wäre eine himmel¬ schreiende Unnatur, wollte ein Volk so aus heiler Haut in die Frei¬ heit springen, ohne erst die heilsame Schule der Erschlaffung und Gedrücktheit durchgemacht zu haben. Jene Fragen aber, deren Lösung über Leben und Tod der Nation entscheidet, werden, weil sie aller¬ dings besser schon erledigt wären, als unnütze Grillenfänger«, als Steckenpferdreiterei, als lächerliche Monomanie geschildert; und wenn, wie erst unlängst der Fall war, nach Durchkämpfung einer solchen Lebensfrage, worin alle großen und edlen Leidenschaften der Nation in voller Gluth aufloderten, die Gemüther abgespannt und für irgend ein materielles Interesse stumpf geworden sind, so heißt es: Seht, wie sie die reellsten Angelegenheiten vernachlässigen und nur für schwülstige Donquiroterien und fanatisches Gepränge mit großen Redensarten Sinn haben. Diese schlaue Taktik trifft richtig ihr Ziel. Die deutsche Gründ¬ lichkeit, welche bald mit wohlwollendem Herablassen, bald mit vor¬ nehmem Nasenrümpfen der ungarischen Bewegung einige Theilnahme schenkt, findet in der That, daß man nicht durch den Schornstein steigen dürfe. Diese gründlichen Herren versündigen sich an der Eigenthümli edlen eines fremden Nationalcharakters durch ähnliche ober¬ flächliche Ab mtheilung, wie man sie sonst nur den Franzosen vorzu¬ werfen beliebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/810>, abgerufen am 28.09.2024.