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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Straft, die Daniel treffen könnte. O'Connell reiste im Lande frei
umher und donnerte im Parlament, bis zu seiner Verurtheilung:
Jordan durste nicht einmal sein todtes Kind begraben sehen. O'Con¬
nell wohnt in den prachtvollen und geräumigen Zimmern des Gou¬
verneurs von Richmond Penitentiary, ein großer Garten dient ihm zum
Spaziergang, er betet und speist in Gesellschaft seiner Verwandten
und Mitangeklagten, er erhält theilnehmende Besuche vom Lordmayor
Dublins herab bis zum deutschen Touristen Venedey, Adressen von
allen Corporationen des Landes und in der That leitet er von seinem
Gefängniß aus ungehindert die Angelegenheiten seiner Repealer. Sol¬
len wir noch einen Blick auf Jordan werfen, den kranken, ruinirren
Mann, den die Gensdarmen mit geladenem Gewehr begleiten, wenn
er einmal einen Schritt über die Schwelle des Gefängnisses thun
darf, um Luft zu schöpfen? -- Es ist genug.

-- Die Verhaftung Zirndorfer's wegen Irreligiosität (siehe vo¬
rige Wochenlieferung der Grenzboten) ist, nach der Rhein- und Mo¬
selzeitung, eine reine Erdichtung, die zum Besten des Autors und
Verlegers ausgesprengt worden.

-- Bettina's Brentanobuch ist, wie man jetzt hört, nicht seines
Inhalts wegen confiscire worden, sondern weil, den Gesetzbestimmun¬
gen über Zwanzigbogenschriften zuwider, der Name der Verfasserin
nicht auf dem Titelblatte genannt war. Die Freigebung der Schrift
wird demnach keine Schwierigkeiten haben. Wir berichtigen das mit
Vergnügen. Berlin hat in letzter Zeit Krähwinkeleien genug began¬
gen; man kann ihm diese eine schenken.

-- Nach dem "Ausland" gibt es jetzt ein wirkliches "junges
China", obgleich dieses Wort ein Widerspruch in sich oder eine Sa-
tyre auf unsere altklugen und welkgebornen Völkerfrühlinge scheinen
könnte. Eine Hauptstütze dieses, mit dem Christenthum und dem Un¬
chinesischen gerade so, wie das junge England mit dem Katholizismus,
kokettirenden jungen China ist der Mandarine sehn, der eine Denk¬
schrift über den englisch-chinesischen Krieg und die Austande seines
Vaterlandes verfaßt hat. Gützlaff hat dieses Memoir an Professor
Neumann in München geschickt; es ist namentlich im Anfange noch
ganz in echt chinesischem, naiv hyperbolischem und schlau einfältigen
Style geschrieben, z. B.: "das Mittelreich," so sprechen wir Gelehrte, "ist
über alle Nationen der Erde erhaben, und der große Kaiser, der Sohn
des Himmels, regiert über alle Länder und herrscht über alle vier
Meere . . . Was die Barbaren betrifft, die an den vier Enden der
Erde wohnen, die ihm alle Unterthan sein müssen, diesen erlaubt er,


Straft, die Daniel treffen könnte. O'Connell reiste im Lande frei
umher und donnerte im Parlament, bis zu seiner Verurtheilung:
Jordan durste nicht einmal sein todtes Kind begraben sehen. O'Con¬
nell wohnt in den prachtvollen und geräumigen Zimmern des Gou¬
verneurs von Richmond Penitentiary, ein großer Garten dient ihm zum
Spaziergang, er betet und speist in Gesellschaft seiner Verwandten
und Mitangeklagten, er erhält theilnehmende Besuche vom Lordmayor
Dublins herab bis zum deutschen Touristen Venedey, Adressen von
allen Corporationen des Landes und in der That leitet er von seinem
Gefängniß aus ungehindert die Angelegenheiten seiner Repealer. Sol¬
len wir noch einen Blick auf Jordan werfen, den kranken, ruinirren
Mann, den die Gensdarmen mit geladenem Gewehr begleiten, wenn
er einmal einen Schritt über die Schwelle des Gefängnisses thun
darf, um Luft zu schöpfen? — Es ist genug.

— Die Verhaftung Zirndorfer's wegen Irreligiosität (siehe vo¬
rige Wochenlieferung der Grenzboten) ist, nach der Rhein- und Mo¬
selzeitung, eine reine Erdichtung, die zum Besten des Autors und
Verlegers ausgesprengt worden.

— Bettina's Brentanobuch ist, wie man jetzt hört, nicht seines
Inhalts wegen confiscire worden, sondern weil, den Gesetzbestimmun¬
gen über Zwanzigbogenschriften zuwider, der Name der Verfasserin
nicht auf dem Titelblatte genannt war. Die Freigebung der Schrift
wird demnach keine Schwierigkeiten haben. Wir berichtigen das mit
Vergnügen. Berlin hat in letzter Zeit Krähwinkeleien genug began¬
gen; man kann ihm diese eine schenken.

— Nach dem „Ausland" gibt es jetzt ein wirkliches „junges
China", obgleich dieses Wort ein Widerspruch in sich oder eine Sa-
tyre auf unsere altklugen und welkgebornen Völkerfrühlinge scheinen
könnte. Eine Hauptstütze dieses, mit dem Christenthum und dem Un¬
chinesischen gerade so, wie das junge England mit dem Katholizismus,
kokettirenden jungen China ist der Mandarine sehn, der eine Denk¬
schrift über den englisch-chinesischen Krieg und die Austande seines
Vaterlandes verfaßt hat. Gützlaff hat dieses Memoir an Professor
Neumann in München geschickt; es ist namentlich im Anfange noch
ganz in echt chinesischem, naiv hyperbolischem und schlau einfältigen
Style geschrieben, z. B.: „das Mittelreich," so sprechen wir Gelehrte, „ist
über alle Nationen der Erde erhaben, und der große Kaiser, der Sohn
des Himmels, regiert über alle Länder und herrscht über alle vier
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/807>, abgerufen am 29.06.2024.