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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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die Kunde von der Verurteilung verbreitete, stockten an vielen Orten
die Geschäfte, die Repealblätter erschienen mit schwarzem Rande, in
den Kirchen wurde für O'Connell's Wohl gebetet, das Volk von Dub¬
lin schlich stumm einher und lagerte sich um die schwarzen Mauern
des Richmond Penitentiary, wohin der Agitator sogleich abgeführt
worden war, wie die Juden am Tage der Zerstörung Jerusalems im
Thale Josaphat. O'Connell hat das Volk von seinem Gefängniß aus
aufgefordert, sich ruhig und gesetzlich zu verhalten; seine Gegner sehen
dies als eine überflüssige Koketterie mit dem Gesetze an und meinen,
Daniel O'Connell wolle sich nur den Anschein der Macht geben, als
sei er es, der die Ruhe Irlands aufrechthalte; in der That aber
mag der Agitator fürchten, das Volk könnte in ohnmächtigen Exces¬
sen unnütz sein Blut verspritzen, da die Insel von englischen Besaz-
zungen überfüllt ist. Selbst Mer große Theil des englischen Volkes,
der gegen O'Connell ist, rechtfertigt die Verurtheilung weniger als
eine gesetzlich gerechte, wie als eine politisch nothwendige Maßregel,
um den Einfluß eines Mannes zu brechen, der jedem Ministerium
das Regieren erschwerte, oft unmöglich machte. Man denke jedoch in
uristischer Hinsicht über das Urtheil, wie man wolle: man wird im¬
mer noch Grund haben, bei einem Seitenblick auf andere politische
Prozesse die großartige und großmüthige Haltung Englands zu be¬
wundern. So sehr Daniel die Tyrannei Englands anklagen mag:
dieses war doch das einzige Land der Welt, dessen Verfassung ihm so
lange zu agitiren, ja überhaupt seine Klagen über Tyrannei auszu¬
sprechen erlaubte. O'Connell agitirte in gesetzlicher Form, aber sein
Wunsch, England zu demüthigen, Irland nicht blos zu fördern, son¬
dern zu rächen, war unverkennbar. Man halte seinen Prozeß für
einen Tendenz- oder Gesinnungöprozeß und sehe sich bei uns um; wie
kleinlich und elend stehen wir da neben unseren germanischen Vettern
jenseits des Canals! Vergleiche sind hier allerdings nicht möglich, doch
denken wir an Jordan. Der friedliche Rechtslehrer ist freilich als
Mann der That nicht so bedeutend, aber auch nicht so gefährlich wie
Daniel. Jordan war ein reformliebender Deputirter von großer Be¬
redsamkeit; das Verbrechen, das man ihm zur Last legen will, ist,
daß er vor zehn Jahren um die Vorbereitung einer Emeute gewußt
und sie nicht denunzirt habe; Jordan war ferner allgemein geliebt,
und die Zeugen gegen ihn sind felle Spione: O'Connell dagegen hat
vor noch wenig Monaten den Nationalhaß zwischen Celten und Sas¬
senachs geschürt, er ist des Versuchs angeklagt, Großbritanien zu
zerstückeln, seine Drohungen gegen England standen in allen Jour¬
nalen Europas, und er wird von der Regierung bitter, zum Theil
persönlich gehaßt. Seine Strafe wird von Vielen für hart angesehen,
und doch ist des armen Jordan Untersuchung schlimmer, als die ärgste


die Kunde von der Verurteilung verbreitete, stockten an vielen Orten
die Geschäfte, die Repealblätter erschienen mit schwarzem Rande, in
den Kirchen wurde für O'Connell's Wohl gebetet, das Volk von Dub¬
lin schlich stumm einher und lagerte sich um die schwarzen Mauern
des Richmond Penitentiary, wohin der Agitator sogleich abgeführt
worden war, wie die Juden am Tage der Zerstörung Jerusalems im
Thale Josaphat. O'Connell hat das Volk von seinem Gefängniß aus
aufgefordert, sich ruhig und gesetzlich zu verhalten; seine Gegner sehen
dies als eine überflüssige Koketterie mit dem Gesetze an und meinen,
Daniel O'Connell wolle sich nur den Anschein der Macht geben, als
sei er es, der die Ruhe Irlands aufrechthalte; in der That aber
mag der Agitator fürchten, das Volk könnte in ohnmächtigen Exces¬
sen unnütz sein Blut verspritzen, da die Insel von englischen Besaz-
zungen überfüllt ist. Selbst Mer große Theil des englischen Volkes,
der gegen O'Connell ist, rechtfertigt die Verurtheilung weniger als
eine gesetzlich gerechte, wie als eine politisch nothwendige Maßregel,
um den Einfluß eines Mannes zu brechen, der jedem Ministerium
das Regieren erschwerte, oft unmöglich machte. Man denke jedoch in
uristischer Hinsicht über das Urtheil, wie man wolle: man wird im¬
mer noch Grund haben, bei einem Seitenblick auf andere politische
Prozesse die großartige und großmüthige Haltung Englands zu be¬
wundern. So sehr Daniel die Tyrannei Englands anklagen mag:
dieses war doch das einzige Land der Welt, dessen Verfassung ihm so
lange zu agitiren, ja überhaupt seine Klagen über Tyrannei auszu¬
sprechen erlaubte. O'Connell agitirte in gesetzlicher Form, aber sein
Wunsch, England zu demüthigen, Irland nicht blos zu fördern, son¬
dern zu rächen, war unverkennbar. Man halte seinen Prozeß für
einen Tendenz- oder Gesinnungöprozeß und sehe sich bei uns um; wie
kleinlich und elend stehen wir da neben unseren germanischen Vettern
jenseits des Canals! Vergleiche sind hier allerdings nicht möglich, doch
denken wir an Jordan. Der friedliche Rechtslehrer ist freilich als
Mann der That nicht so bedeutend, aber auch nicht so gefährlich wie
Daniel. Jordan war ein reformliebender Deputirter von großer Be¬
redsamkeit; das Verbrechen, das man ihm zur Last legen will, ist,
daß er vor zehn Jahren um die Vorbereitung einer Emeute gewußt
und sie nicht denunzirt habe; Jordan war ferner allgemein geliebt,
und die Zeugen gegen ihn sind felle Spione: O'Connell dagegen hat
vor noch wenig Monaten den Nationalhaß zwischen Celten und Sas¬
senachs geschürt, er ist des Versuchs angeklagt, Großbritanien zu
zerstückeln, seine Drohungen gegen England standen in allen Jour¬
nalen Europas, und er wird von der Regierung bitter, zum Theil
persönlich gehaßt. Seine Strafe wird von Vielen für hart angesehen,
und doch ist des armen Jordan Untersuchung schlimmer, als die ärgste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/806>, abgerufen am 29.06.2024.