Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

vermehrten; in Paris zählte man allein während der furchtbarsten
Jahre der Revolution nicht weniger als vierzig. Diese absolute Un¬
abhängigkeit war indessen der Kunst eben so wenig günstig, als der
Industrie mit derselben; trotz der Erfolge einiger schätzenswerthen
dramatischen Erzeugnisse sank die Bühnenliteratur bis zur Erniedrig¬
ung herab. Die Schauspieler, welche damals glänzten, gehörten durch
ihre Bildung noch der vorhergehenden Periode an; die Concurrenz
zwischen den Unternehmern eröffnete einen Abgrund, welcher man¬
ches Vermögen verschlang. In Beziehung auf öffentliche Moral und
Polizei schien das Uebel noch größer zu sein. Man steht, sagte der
Minister des Innern in einem Bericht vom 5. März I8V6, man
sieht jeden Tag in der Hauptstadt eine Menge von kleinen Theatern
sich um eine schwache Einnahme streiten, und um den traurigen Er¬
folg, die unterste Klasse des Volkes durch rohe Darstellungen anzu¬
ziehen, oder die Jugend zu verderben durch angebliche Schulen, welche
der Gesellschaft nützliche Individuen entziehen, ohne der Kunst nütz¬
liche Ausüber zu verschaffen. Man sieht unbekannte Menschen in
den Provinzen Theater eröffnen, Abonnementsgelder einnehmen, An¬
leihen und ungestraft Bankerotte machen, und sich auf Kosten des
Publicums und der Gläubiger bereichern.

Ueber diese Mißbräuche empört, wollte der Kaiser ihnen ein
Ziel setzen; es war dies indeß eine sehr kitzliche Sache, da es sich
um nichts Geringeres handelte, als um die Unterdrückung von Un¬
ternehmungen, welche zufolge eines Gesetzes und unter dem Schutze
desselben gebildet worden waren. Ein energischer Entschluß wurde
dem Kaiser niemals schwer, sobald er die Nothwendigkeit desselben
eingesehen hatte. Am 29. Juli 1807 decretirte er die Reduction der
Theater in Paris auf acht, vier große und vier Theater zweiten
Ranges. Die anderen sollten bis zum 25. August geschlossen werden;
zwei von diesen zu schließenden wurden gleich darauf wieder herge¬
stellt und so besaß denn Paris nur noch zehn Theater -i-).

Die vorhergängige Autorisation der Negierung, die Trennung
der verschiedenen Genres, die Beschränkung der Anzahl der mit einan-



*) Das Odcon und die italienische Oper waren dabei für eine Bühne ge¬
rechnet, bei der die beiden Truppen abwechseln, sollten. Man dehnte die Dul¬
dung auch noch auf einige Volkstheater bei festlichen Gelegenheiten aus und
auf Theater für Schüler.

vermehrten; in Paris zählte man allein während der furchtbarsten
Jahre der Revolution nicht weniger als vierzig. Diese absolute Un¬
abhängigkeit war indessen der Kunst eben so wenig günstig, als der
Industrie mit derselben; trotz der Erfolge einiger schätzenswerthen
dramatischen Erzeugnisse sank die Bühnenliteratur bis zur Erniedrig¬
ung herab. Die Schauspieler, welche damals glänzten, gehörten durch
ihre Bildung noch der vorhergehenden Periode an; die Concurrenz
zwischen den Unternehmern eröffnete einen Abgrund, welcher man¬
ches Vermögen verschlang. In Beziehung auf öffentliche Moral und
Polizei schien das Uebel noch größer zu sein. Man steht, sagte der
Minister des Innern in einem Bericht vom 5. März I8V6, man
sieht jeden Tag in der Hauptstadt eine Menge von kleinen Theatern
sich um eine schwache Einnahme streiten, und um den traurigen Er¬
folg, die unterste Klasse des Volkes durch rohe Darstellungen anzu¬
ziehen, oder die Jugend zu verderben durch angebliche Schulen, welche
der Gesellschaft nützliche Individuen entziehen, ohne der Kunst nütz¬
liche Ausüber zu verschaffen. Man sieht unbekannte Menschen in
den Provinzen Theater eröffnen, Abonnementsgelder einnehmen, An¬
leihen und ungestraft Bankerotte machen, und sich auf Kosten des
Publicums und der Gläubiger bereichern.

Ueber diese Mißbräuche empört, wollte der Kaiser ihnen ein
Ziel setzen; es war dies indeß eine sehr kitzliche Sache, da es sich
um nichts Geringeres handelte, als um die Unterdrückung von Un¬
ternehmungen, welche zufolge eines Gesetzes und unter dem Schutze
desselben gebildet worden waren. Ein energischer Entschluß wurde
dem Kaiser niemals schwer, sobald er die Nothwendigkeit desselben
eingesehen hatte. Am 29. Juli 1807 decretirte er die Reduction der
Theater in Paris auf acht, vier große und vier Theater zweiten
Ranges. Die anderen sollten bis zum 25. August geschlossen werden;
zwei von diesen zu schließenden wurden gleich darauf wieder herge¬
stellt und so besaß denn Paris nur noch zehn Theater -i-).

Die vorhergängige Autorisation der Negierung, die Trennung
der verschiedenen Genres, die Beschränkung der Anzahl der mit einan-



*) Das Odcon und die italienische Oper waren dabei für eine Bühne ge¬
rechnet, bei der die beiden Truppen abwechseln, sollten. Man dehnte die Dul¬
dung auch noch auf einige Volkstheater bei festlichen Gelegenheiten aus und
auf Theater für Schüler.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0778" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180491"/>
            <p xml:id="ID_2008" prev="#ID_2007"> vermehrten; in Paris zählte man allein während der furchtbarsten<lb/>
Jahre der Revolution nicht weniger als vierzig. Diese absolute Un¬<lb/>
abhängigkeit war indessen der Kunst eben so wenig günstig, als der<lb/>
Industrie mit derselben; trotz der Erfolge einiger schätzenswerthen<lb/>
dramatischen Erzeugnisse sank die Bühnenliteratur bis zur Erniedrig¬<lb/>
ung herab. Die Schauspieler, welche damals glänzten, gehörten durch<lb/>
ihre Bildung noch der vorhergehenden Periode an; die Concurrenz<lb/>
zwischen den Unternehmern eröffnete einen Abgrund, welcher man¬<lb/>
ches Vermögen verschlang. In Beziehung auf öffentliche Moral und<lb/>
Polizei schien das Uebel noch größer zu sein. Man steht, sagte der<lb/>
Minister des Innern in einem Bericht vom 5. März I8V6, man<lb/>
sieht jeden Tag in der Hauptstadt eine Menge von kleinen Theatern<lb/>
sich um eine schwache Einnahme streiten, und um den traurigen Er¬<lb/>
folg, die unterste Klasse des Volkes durch rohe Darstellungen anzu¬<lb/>
ziehen, oder die Jugend zu verderben durch angebliche Schulen, welche<lb/>
der Gesellschaft nützliche Individuen entziehen, ohne der Kunst nütz¬<lb/>
liche Ausüber zu verschaffen. Man sieht unbekannte Menschen in<lb/>
den Provinzen Theater eröffnen, Abonnementsgelder einnehmen, An¬<lb/>
leihen und ungestraft Bankerotte machen, und sich auf Kosten des<lb/>
Publicums und der Gläubiger bereichern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2009"> Ueber diese Mißbräuche empört, wollte der Kaiser ihnen ein<lb/>
Ziel setzen; es war dies indeß eine sehr kitzliche Sache, da es sich<lb/>
um nichts Geringeres handelte, als um die Unterdrückung von Un¬<lb/>
ternehmungen, welche zufolge eines Gesetzes und unter dem Schutze<lb/>
desselben gebildet worden waren. Ein energischer Entschluß wurde<lb/>
dem Kaiser niemals schwer, sobald er die Nothwendigkeit desselben<lb/>
eingesehen hatte. Am 29. Juli 1807 decretirte er die Reduction der<lb/>
Theater in Paris auf acht, vier große und vier Theater zweiten<lb/>
Ranges. Die anderen sollten bis zum 25. August geschlossen werden;<lb/>
zwei von diesen zu schließenden wurden gleich darauf wieder herge¬<lb/>
stellt und so besaß denn Paris nur noch zehn Theater -i-).</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2010" next="#ID_2011"> Die vorhergängige Autorisation der Negierung, die Trennung<lb/>
der verschiedenen Genres, die Beschränkung der Anzahl der mit einan-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_62" place="foot"> *) Das Odcon und die italienische Oper waren dabei für eine Bühne ge¬<lb/>
rechnet, bei der die beiden Truppen abwechseln, sollten. Man dehnte die Dul¬<lb/>
dung auch noch auf einige Volkstheater bei festlichen Gelegenheiten aus und<lb/>
auf Theater für Schüler.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0778] vermehrten; in Paris zählte man allein während der furchtbarsten Jahre der Revolution nicht weniger als vierzig. Diese absolute Un¬ abhängigkeit war indessen der Kunst eben so wenig günstig, als der Industrie mit derselben; trotz der Erfolge einiger schätzenswerthen dramatischen Erzeugnisse sank die Bühnenliteratur bis zur Erniedrig¬ ung herab. Die Schauspieler, welche damals glänzten, gehörten durch ihre Bildung noch der vorhergehenden Periode an; die Concurrenz zwischen den Unternehmern eröffnete einen Abgrund, welcher man¬ ches Vermögen verschlang. In Beziehung auf öffentliche Moral und Polizei schien das Uebel noch größer zu sein. Man steht, sagte der Minister des Innern in einem Bericht vom 5. März I8V6, man sieht jeden Tag in der Hauptstadt eine Menge von kleinen Theatern sich um eine schwache Einnahme streiten, und um den traurigen Er¬ folg, die unterste Klasse des Volkes durch rohe Darstellungen anzu¬ ziehen, oder die Jugend zu verderben durch angebliche Schulen, welche der Gesellschaft nützliche Individuen entziehen, ohne der Kunst nütz¬ liche Ausüber zu verschaffen. Man sieht unbekannte Menschen in den Provinzen Theater eröffnen, Abonnementsgelder einnehmen, An¬ leihen und ungestraft Bankerotte machen, und sich auf Kosten des Publicums und der Gläubiger bereichern. Ueber diese Mißbräuche empört, wollte der Kaiser ihnen ein Ziel setzen; es war dies indeß eine sehr kitzliche Sache, da es sich um nichts Geringeres handelte, als um die Unterdrückung von Un¬ ternehmungen, welche zufolge eines Gesetzes und unter dem Schutze desselben gebildet worden waren. Ein energischer Entschluß wurde dem Kaiser niemals schwer, sobald er die Nothwendigkeit desselben eingesehen hatte. Am 29. Juli 1807 decretirte er die Reduction der Theater in Paris auf acht, vier große und vier Theater zweiten Ranges. Die anderen sollten bis zum 25. August geschlossen werden; zwei von diesen zu schließenden wurden gleich darauf wieder herge¬ stellt und so besaß denn Paris nur noch zehn Theater -i-). Die vorhergängige Autorisation der Negierung, die Trennung der verschiedenen Genres, die Beschränkung der Anzahl der mit einan- *) Das Odcon und die italienische Oper waren dabei für eine Bühne ge¬ rechnet, bei der die beiden Truppen abwechseln, sollten. Man dehnte die Dul¬ dung auch noch auf einige Volkstheater bei festlichen Gelegenheiten aus und auf Theater für Schüler.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/778
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/778>, abgerufen am 22.12.2024.