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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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chen seines Feindes. Die Rachel spielte die Kaiserin, aber nicht mit
Glück. Katharina ist von dem Dichter in jenem Alter dargestellt, in
welchem ein bewährter Maler sie unter der Gestalt einer Nymphe
zeichnen wollte, welche in der einen Hand Blumenketten hält, indeß
sie mit der andern eine brennende Fackel hinter ihrem Rücken versteckt.
Die brennende Fackel gelang der Rachel, die Blumenkette nicht. Zu¬
dem war sie offenbar ihres Erfolgs in dem neuen Genre nicht sicher;
deswegen sollen, wie ich höre, die folgenden Vorstellungen besser reus-
sirt haben. Zwar und Orloff sind zwei glänzende Rollen, wovon
die letztere jedoch schlecht gespielt wurde. Das Stück wird übrigens
auch, in Prosa übersetzt, auf deutschen Bühnen Glück machen, d. h.
wenn die Censur es zuläßt. Und warum sollte sie nicht? -- --


P.
II.
Notizen.

Kaiser Nikolaus und die Berliner Korrespondenten. -- KrShwinkliaden; Bet¬
tina's neuestes Buch. -- Die Frankfurter Schneidergesellen; Zirndorftr. --
Schiller in Wien.

-- Die Berliner Correspondenten müssen gar fürnehme große
Herren sein. Kaiser Nikolaus war kaum vier und zwanzig Stunden
in Berlin, und schon findet man in allen Zeitungen sichere Anzeichen,
daß er mit jenen Herren den vertrautesten Umgang gepflogen. Woher
wüßten sie sonst so genauen Bescheid über jeden seiner Schritte? Der
Eine meldet, wie viel Glas Wein er getrunken; der Andere, wie lang
er bei Tisch gesessen; der Dritte sagt auf die Minute, wann sich der
Czar zu Bett gelegt und wie das Bett ausgesehen hat; der Vierte
fährt mit ihm nach Potsdam und beobachtet das Gesicht, das die
beiden Monarchen machen; der Fünfte sieht ihn bis Mitternacht ei¬
genhändig Noten schreiben (diplomatische nämlich) und findet ihn dann
noch sehr guter Laune; der Sechste überrascht mit ihm den russischen
Gesandten Graf Meyendors, der in Schlafrock und Unterhosen da-
steht :c. ze. Da man nicht annehmen kann, daß die Berliner Bru-
tusse bei russischen Stallknechten, Kutschern oder Leiblakaien sich devo-
test nach jenen wichtigen Momenten der Zeitgeschichte erkundigt haben,
so steht man deutlich, auf wie freundschaftlichem Fuße sie mit dem
Selbstherrscher aller Reußen stehen, obgleich dies zu ihren sonstigen
Bewußtseinsideen nicht ganz zu passen scheint. Kaiser Nikolaus ist
persönlich jedenfalls eine imponirende Erscheinung; schon die Art sei¬
ner Geschäftsreisen zeigt die große Energie seines Charakters. Es
wäre nur zu wünschen, daß die Andern sich mit ihm messen könnten.
So aber verdirbt er das Metier, um uns populär auszudrücken, und
da Keiner mit ihm concurriren kann, so läßt sich denken, was er
ausrichtet und durchsetzt und wer davon den Schaden hat.


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chen seines Feindes. Die Rachel spielte die Kaiserin, aber nicht mit
Glück. Katharina ist von dem Dichter in jenem Alter dargestellt, in
welchem ein bewährter Maler sie unter der Gestalt einer Nymphe
zeichnen wollte, welche in der einen Hand Blumenketten hält, indeß
sie mit der andern eine brennende Fackel hinter ihrem Rücken versteckt.
Die brennende Fackel gelang der Rachel, die Blumenkette nicht. Zu¬
dem war sie offenbar ihres Erfolgs in dem neuen Genre nicht sicher;
deswegen sollen, wie ich höre, die folgenden Vorstellungen besser reus-
sirt haben. Zwar und Orloff sind zwei glänzende Rollen, wovon
die letztere jedoch schlecht gespielt wurde. Das Stück wird übrigens
auch, in Prosa übersetzt, auf deutschen Bühnen Glück machen, d. h.
wenn die Censur es zuläßt. Und warum sollte sie nicht? — —


P.
II.
Notizen.

Kaiser Nikolaus und die Berliner Korrespondenten. — KrShwinkliaden; Bet¬
tina's neuestes Buch. — Die Frankfurter Schneidergesellen; Zirndorftr. —
Schiller in Wien.

— Die Berliner Correspondenten müssen gar fürnehme große
Herren sein. Kaiser Nikolaus war kaum vier und zwanzig Stunden
in Berlin, und schon findet man in allen Zeitungen sichere Anzeichen,
daß er mit jenen Herren den vertrautesten Umgang gepflogen. Woher
wüßten sie sonst so genauen Bescheid über jeden seiner Schritte? Der
Eine meldet, wie viel Glas Wein er getrunken; der Andere, wie lang
er bei Tisch gesessen; der Dritte sagt auf die Minute, wann sich der
Czar zu Bett gelegt und wie das Bett ausgesehen hat; der Vierte
fährt mit ihm nach Potsdam und beobachtet das Gesicht, das die
beiden Monarchen machen; der Fünfte sieht ihn bis Mitternacht ei¬
genhändig Noten schreiben (diplomatische nämlich) und findet ihn dann
noch sehr guter Laune; der Sechste überrascht mit ihm den russischen
Gesandten Graf Meyendors, der in Schlafrock und Unterhosen da-
steht :c. ze. Da man nicht annehmen kann, daß die Berliner Bru-
tusse bei russischen Stallknechten, Kutschern oder Leiblakaien sich devo-
test nach jenen wichtigen Momenten der Zeitgeschichte erkundigt haben,
so steht man deutlich, auf wie freundschaftlichem Fuße sie mit dem
Selbstherrscher aller Reußen stehen, obgleich dies zu ihren sonstigen
Bewußtseinsideen nicht ganz zu passen scheint. Kaiser Nikolaus ist
persönlich jedenfalls eine imponirende Erscheinung; schon die Art sei¬
ner Geschäftsreisen zeigt die große Energie seines Charakters. Es
wäre nur zu wünschen, daß die Andern sich mit ihm messen könnten.
So aber verdirbt er das Metier, um uns populär auszudrücken, und
da Keiner mit ihm concurriren kann, so läßt sich denken, was er
ausrichtet und durchsetzt und wer davon den Schaden hat.


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[0775] chen seines Feindes. Die Rachel spielte die Kaiserin, aber nicht mit Glück. Katharina ist von dem Dichter in jenem Alter dargestellt, in welchem ein bewährter Maler sie unter der Gestalt einer Nymphe zeichnen wollte, welche in der einen Hand Blumenketten hält, indeß sie mit der andern eine brennende Fackel hinter ihrem Rücken versteckt. Die brennende Fackel gelang der Rachel, die Blumenkette nicht. Zu¬ dem war sie offenbar ihres Erfolgs in dem neuen Genre nicht sicher; deswegen sollen, wie ich höre, die folgenden Vorstellungen besser reus- sirt haben. Zwar und Orloff sind zwei glänzende Rollen, wovon die letztere jedoch schlecht gespielt wurde. Das Stück wird übrigens auch, in Prosa übersetzt, auf deutschen Bühnen Glück machen, d. h. wenn die Censur es zuläßt. Und warum sollte sie nicht? — — P. II. Notizen. Kaiser Nikolaus und die Berliner Korrespondenten. — KrShwinkliaden; Bet¬ tina's neuestes Buch. — Die Frankfurter Schneidergesellen; Zirndorftr. — Schiller in Wien. — Die Berliner Correspondenten müssen gar fürnehme große Herren sein. Kaiser Nikolaus war kaum vier und zwanzig Stunden in Berlin, und schon findet man in allen Zeitungen sichere Anzeichen, daß er mit jenen Herren den vertrautesten Umgang gepflogen. Woher wüßten sie sonst so genauen Bescheid über jeden seiner Schritte? Der Eine meldet, wie viel Glas Wein er getrunken; der Andere, wie lang er bei Tisch gesessen; der Dritte sagt auf die Minute, wann sich der Czar zu Bett gelegt und wie das Bett ausgesehen hat; der Vierte fährt mit ihm nach Potsdam und beobachtet das Gesicht, das die beiden Monarchen machen; der Fünfte sieht ihn bis Mitternacht ei¬ genhändig Noten schreiben (diplomatische nämlich) und findet ihn dann noch sehr guter Laune; der Sechste überrascht mit ihm den russischen Gesandten Graf Meyendors, der in Schlafrock und Unterhosen da- steht :c. ze. Da man nicht annehmen kann, daß die Berliner Bru- tusse bei russischen Stallknechten, Kutschern oder Leiblakaien sich devo- test nach jenen wichtigen Momenten der Zeitgeschichte erkundigt haben, so steht man deutlich, auf wie freundschaftlichem Fuße sie mit dem Selbstherrscher aller Reußen stehen, obgleich dies zu ihren sonstigen Bewußtseinsideen nicht ganz zu passen scheint. Kaiser Nikolaus ist persönlich jedenfalls eine imponirende Erscheinung; schon die Art sei¬ ner Geschäftsreisen zeigt die große Energie seines Charakters. Es wäre nur zu wünschen, daß die Andern sich mit ihm messen könnten. So aber verdirbt er das Metier, um uns populär auszudrücken, und da Keiner mit ihm concurriren kann, so läßt sich denken, was er ausrichtet und durchsetzt und wer davon den Schaden hat. 99*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/775>, abgerufen am 01.07.2024.