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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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hohen Beruf zu haben, den zu erfüllen die Gelegenheit fehlt. Denn
was soll er thun? Ein gleich großer, aber nicht so begünstigter Ge¬
nius erränge sich erst eine Stellung und verwendete dazu seine Kraft;
dieser aber bat seine Stellung und kann Nichts erstreben, als was
gerade sie nicht zugesteht. Nur die Welt der Empfindung ist ihm
noch übrig und offen, auch hat sein ganzes Wesen sich dahin ge¬
worfen, er liebt, liebt leidenschaftlich und unbefriedigt und stellt auch
hierin wieder ein eigenthümliches und reiches Menschengeschick dar.

Der Prinz war aufgestanden und hatte sich die Fremden vor¬
stellen lassen, nämlich die beiden Oesterreicher und mich, die Uebrigen
waren ihm schon bekannt und zum Theil, wie Schack, Brinkmann
und Gentz, völlig vertraut. Seine Leutseligkeit war vornehm und
doch durchaus menschenfreundlich, ohne den Beischmack von Herab¬
lassung, der die Gnade der Großen meistentheils so ungenießbar
macht. Auch wurde der Prinz durchaus nicht schmeichlerisch behan¬
delt, die herkömmlichen Formen der Ehrerbietung fehlten nicht, allein
außer diesen konnte ihn Nichts erinnern, daß er mehr sei als die
Andern. Nach wenigen Augenblicken fand ich mich so unbefangen
und behaglich in seiner Gegenwart, als hätte ich ihn schon Jahre lang
gekannt. Ihn selber schien kein Zwang befallen zu können, er verfuhr
und sprach, als ob er unter geprüften Freunden sei.

Diese Freiheit, sich überall ohne Scheu auszusprechen, war al¬
lerdings ein köstliches Vorrecht seiner hohen Stellung, aber um das¬
selbe auszuüben, war doch wieder er selbst erforderlich. Ihn com-
promittirte Nichts, weil er sich nie für compromittirt ansah. Was
man ihm nachsagte, das kümmerte ihn nicht. In seiner Sphäre
wagte sich Niemand an ihn, und eine fremde Macht, vor der ein
Prinz von Preußen sich gebeugt hätte, gab es nicht. So sprach er
ohne Zurückhaltung seinen Unwillen und Grimm gegen Bonaparte
und gegen die freundschaftlichen Verhältnisse aus, welche die Höfe
mit ihm unterhielten. Eine der Anklagen, die er gegen ihn vor¬
brachte, war in dem Munde eines Prinzen sonderbar; man war
überrascht, jenem vorgeworfen zu sehen, daß er die Freiheit unter¬
grabe!

Merkwürdiger noch, als in diesen Aeußerungen, erschien mir der
Prinz in einigen anderen, welche hinter scheinbarer Zerstreutheit und
Unaufmerksamkeit die feinste Beobachtung und tiefste Menschenkennt-


hohen Beruf zu haben, den zu erfüllen die Gelegenheit fehlt. Denn
was soll er thun? Ein gleich großer, aber nicht so begünstigter Ge¬
nius erränge sich erst eine Stellung und verwendete dazu seine Kraft;
dieser aber bat seine Stellung und kann Nichts erstreben, als was
gerade sie nicht zugesteht. Nur die Welt der Empfindung ist ihm
noch übrig und offen, auch hat sein ganzes Wesen sich dahin ge¬
worfen, er liebt, liebt leidenschaftlich und unbefriedigt und stellt auch
hierin wieder ein eigenthümliches und reiches Menschengeschick dar.

Der Prinz war aufgestanden und hatte sich die Fremden vor¬
stellen lassen, nämlich die beiden Oesterreicher und mich, die Uebrigen
waren ihm schon bekannt und zum Theil, wie Schack, Brinkmann
und Gentz, völlig vertraut. Seine Leutseligkeit war vornehm und
doch durchaus menschenfreundlich, ohne den Beischmack von Herab¬
lassung, der die Gnade der Großen meistentheils so ungenießbar
macht. Auch wurde der Prinz durchaus nicht schmeichlerisch behan¬
delt, die herkömmlichen Formen der Ehrerbietung fehlten nicht, allein
außer diesen konnte ihn Nichts erinnern, daß er mehr sei als die
Andern. Nach wenigen Augenblicken fand ich mich so unbefangen
und behaglich in seiner Gegenwart, als hätte ich ihn schon Jahre lang
gekannt. Ihn selber schien kein Zwang befallen zu können, er verfuhr
und sprach, als ob er unter geprüften Freunden sei.

Diese Freiheit, sich überall ohne Scheu auszusprechen, war al¬
lerdings ein köstliches Vorrecht seiner hohen Stellung, aber um das¬
selbe auszuüben, war doch wieder er selbst erforderlich. Ihn com-
promittirte Nichts, weil er sich nie für compromittirt ansah. Was
man ihm nachsagte, das kümmerte ihn nicht. In seiner Sphäre
wagte sich Niemand an ihn, und eine fremde Macht, vor der ein
Prinz von Preußen sich gebeugt hätte, gab es nicht. So sprach er
ohne Zurückhaltung seinen Unwillen und Grimm gegen Bonaparte
und gegen die freundschaftlichen Verhältnisse aus, welche die Höfe
mit ihm unterhielten. Eine der Anklagen, die er gegen ihn vor¬
brachte, war in dem Munde eines Prinzen sonderbar; man war
überrascht, jenem vorgeworfen zu sehen, daß er die Freiheit unter¬
grabe!

Merkwürdiger noch, als in diesen Aeußerungen, erschien mir der
Prinz in einigen anderen, welche hinter scheinbarer Zerstreutheit und
Unaufmerksamkeit die feinste Beobachtung und tiefste Menschenkennt-


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[0746] hohen Beruf zu haben, den zu erfüllen die Gelegenheit fehlt. Denn was soll er thun? Ein gleich großer, aber nicht so begünstigter Ge¬ nius erränge sich erst eine Stellung und verwendete dazu seine Kraft; dieser aber bat seine Stellung und kann Nichts erstreben, als was gerade sie nicht zugesteht. Nur die Welt der Empfindung ist ihm noch übrig und offen, auch hat sein ganzes Wesen sich dahin ge¬ worfen, er liebt, liebt leidenschaftlich und unbefriedigt und stellt auch hierin wieder ein eigenthümliches und reiches Menschengeschick dar. Der Prinz war aufgestanden und hatte sich die Fremden vor¬ stellen lassen, nämlich die beiden Oesterreicher und mich, die Uebrigen waren ihm schon bekannt und zum Theil, wie Schack, Brinkmann und Gentz, völlig vertraut. Seine Leutseligkeit war vornehm und doch durchaus menschenfreundlich, ohne den Beischmack von Herab¬ lassung, der die Gnade der Großen meistentheils so ungenießbar macht. Auch wurde der Prinz durchaus nicht schmeichlerisch behan¬ delt, die herkömmlichen Formen der Ehrerbietung fehlten nicht, allein außer diesen konnte ihn Nichts erinnern, daß er mehr sei als die Andern. Nach wenigen Augenblicken fand ich mich so unbefangen und behaglich in seiner Gegenwart, als hätte ich ihn schon Jahre lang gekannt. Ihn selber schien kein Zwang befallen zu können, er verfuhr und sprach, als ob er unter geprüften Freunden sei. Diese Freiheit, sich überall ohne Scheu auszusprechen, war al¬ lerdings ein köstliches Vorrecht seiner hohen Stellung, aber um das¬ selbe auszuüben, war doch wieder er selbst erforderlich. Ihn com- promittirte Nichts, weil er sich nie für compromittirt ansah. Was man ihm nachsagte, das kümmerte ihn nicht. In seiner Sphäre wagte sich Niemand an ihn, und eine fremde Macht, vor der ein Prinz von Preußen sich gebeugt hätte, gab es nicht. So sprach er ohne Zurückhaltung seinen Unwillen und Grimm gegen Bonaparte und gegen die freundschaftlichen Verhältnisse aus, welche die Höfe mit ihm unterhielten. Eine der Anklagen, die er gegen ihn vor¬ brachte, war in dem Munde eines Prinzen sonderbar; man war überrascht, jenem vorgeworfen zu sehen, daß er die Freiheit unter¬ grabe! Merkwürdiger noch, als in diesen Aeußerungen, erschien mir der Prinz in einigen anderen, welche hinter scheinbarer Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit die feinste Beobachtung und tiefste Menschenkennt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/746>, abgerufen am 01.07.2024.