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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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und seine Lucinde hätten hier etwas lernen können. Gerh sprach
mit Eifer und Wärme, mit Scharfsinn, mit Fülle, und ein solcher
Wohlklang, ein solches Wogen der Worte, eine solche Folge glückli¬
cher Ausdrücke, guter Zusammenfügungen, leichter Uebergänge, ein
solches wirkliches Einnehmen und Bereden ist mir seitdem bei keinem
Menschen wieder vorgekommen. Auch fesselte er jede Aufmerksamkeit
und gewann jeden Beifall. Nur unsere Wirthin, welche die klugen
vergnügten Augen fest auf ihn gerichtet hielt, rief bisweilen ein :
"Recht, Gentz!" ein "Prächtig" oder "Bravo", dann auch wohl ein
"Warum nicht gar!" oder "O nein!" dazwischen. Die Anderen horch¬
ten schweigend. Ich wünschte mir Glück, von dieser so oft gerühm¬
ten und mir bis dahin immer etwas zweifelhaft gebliebenen Vortreff¬
lichkeit ein so glänzendes und in dieser Art vielleicht einziges Beispiel
so zufällig erlebt zu haben.

Noch war Alles gespannt und einzelne Funken sprühten noch,
gleichsam verspätete Nachzügler des wallenden Feuerstroms, als eine
neue Erscheinung auftrat, Prinz Louis Ferdinand. Die ganze Ge¬
sellschaft erhob sich einen Augenblick, aber gleich rückte und setzte sich
Alles wieder zurecht, und der Prinz nahm seinen Platz neben De-
m^iselle Levin, mit der er auch unverzüglich ein abgesondertes Ge¬
spräch begann. Er schien unruhig, verstört, ein schmerzlicher Ernst
umdüsterte sein schönes Gesicht, doch nicht so sehr, um nicht eine lie¬
bevolle Freundlichkeit durchschimmern zu lassen, die bei seiner hohen
herrlichen Gestalt und freien gebieterischen Haltung um so wirksamer
für ihn einnahm. Ich war vom ersten Augenblick bezaubert; einen
so günstig ausgestatteten Menschen hatte ich noch nicht gesehen; ich mußte
mir bekennen, in solcher Person und in solcher Weltstellung durch das
Leben zu gehen, das sei denn doch einmal ein Gang, der der Mühe
werth sei! Solche Heldenfigur gibt in der That eine Vorstellung von
höherem Geschlecht, Beruf und Geschick, und wirft in das, was bis¬
her nur als Dichtung erschienen, ein lebendiges Zeugniß von Wirk¬
lichkeit.

Brinkmann vergötterte den Prinzen und sprach mit Liebe von
seinen menschlichen Eigenschaften, mit Bewunderung von den in ihn
gelegten Kräften, die ihn fähig machten, das Größte zu leisten, jeden
Entschluß zu fassen, jede That zu vollbringen, zu der eine starke Seele
nöthig. Doch leider, fuhr er fort, ist es auch sein Unglück, einen so


und seine Lucinde hätten hier etwas lernen können. Gerh sprach
mit Eifer und Wärme, mit Scharfsinn, mit Fülle, und ein solcher
Wohlklang, ein solches Wogen der Worte, eine solche Folge glückli¬
cher Ausdrücke, guter Zusammenfügungen, leichter Uebergänge, ein
solches wirkliches Einnehmen und Bereden ist mir seitdem bei keinem
Menschen wieder vorgekommen. Auch fesselte er jede Aufmerksamkeit
und gewann jeden Beifall. Nur unsere Wirthin, welche die klugen
vergnügten Augen fest auf ihn gerichtet hielt, rief bisweilen ein :
„Recht, Gentz!" ein „Prächtig" oder „Bravo", dann auch wohl ein
„Warum nicht gar!" oder „O nein!" dazwischen. Die Anderen horch¬
ten schweigend. Ich wünschte mir Glück, von dieser so oft gerühm¬
ten und mir bis dahin immer etwas zweifelhaft gebliebenen Vortreff¬
lichkeit ein so glänzendes und in dieser Art vielleicht einziges Beispiel
so zufällig erlebt zu haben.

Noch war Alles gespannt und einzelne Funken sprühten noch,
gleichsam verspätete Nachzügler des wallenden Feuerstroms, als eine
neue Erscheinung auftrat, Prinz Louis Ferdinand. Die ganze Ge¬
sellschaft erhob sich einen Augenblick, aber gleich rückte und setzte sich
Alles wieder zurecht, und der Prinz nahm seinen Platz neben De-
m^iselle Levin, mit der er auch unverzüglich ein abgesondertes Ge¬
spräch begann. Er schien unruhig, verstört, ein schmerzlicher Ernst
umdüsterte sein schönes Gesicht, doch nicht so sehr, um nicht eine lie¬
bevolle Freundlichkeit durchschimmern zu lassen, die bei seiner hohen
herrlichen Gestalt und freien gebieterischen Haltung um so wirksamer
für ihn einnahm. Ich war vom ersten Augenblick bezaubert; einen
so günstig ausgestatteten Menschen hatte ich noch nicht gesehen; ich mußte
mir bekennen, in solcher Person und in solcher Weltstellung durch das
Leben zu gehen, das sei denn doch einmal ein Gang, der der Mühe
werth sei! Solche Heldenfigur gibt in der That eine Vorstellung von
höherem Geschlecht, Beruf und Geschick, und wirft in das, was bis¬
her nur als Dichtung erschienen, ein lebendiges Zeugniß von Wirk¬
lichkeit.

Brinkmann vergötterte den Prinzen und sprach mit Liebe von
seinen menschlichen Eigenschaften, mit Bewunderung von den in ihn
gelegten Kräften, die ihn fähig machten, das Größte zu leisten, jeden
Entschluß zu fassen, jede That zu vollbringen, zu der eine starke Seele
nöthig. Doch leider, fuhr er fort, ist es auch sein Unglück, einen so


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[0745] und seine Lucinde hätten hier etwas lernen können. Gerh sprach mit Eifer und Wärme, mit Scharfsinn, mit Fülle, und ein solcher Wohlklang, ein solches Wogen der Worte, eine solche Folge glückli¬ cher Ausdrücke, guter Zusammenfügungen, leichter Uebergänge, ein solches wirkliches Einnehmen und Bereden ist mir seitdem bei keinem Menschen wieder vorgekommen. Auch fesselte er jede Aufmerksamkeit und gewann jeden Beifall. Nur unsere Wirthin, welche die klugen vergnügten Augen fest auf ihn gerichtet hielt, rief bisweilen ein : „Recht, Gentz!" ein „Prächtig" oder „Bravo", dann auch wohl ein „Warum nicht gar!" oder „O nein!" dazwischen. Die Anderen horch¬ ten schweigend. Ich wünschte mir Glück, von dieser so oft gerühm¬ ten und mir bis dahin immer etwas zweifelhaft gebliebenen Vortreff¬ lichkeit ein so glänzendes und in dieser Art vielleicht einziges Beispiel so zufällig erlebt zu haben. Noch war Alles gespannt und einzelne Funken sprühten noch, gleichsam verspätete Nachzügler des wallenden Feuerstroms, als eine neue Erscheinung auftrat, Prinz Louis Ferdinand. Die ganze Ge¬ sellschaft erhob sich einen Augenblick, aber gleich rückte und setzte sich Alles wieder zurecht, und der Prinz nahm seinen Platz neben De- m^iselle Levin, mit der er auch unverzüglich ein abgesondertes Ge¬ spräch begann. Er schien unruhig, verstört, ein schmerzlicher Ernst umdüsterte sein schönes Gesicht, doch nicht so sehr, um nicht eine lie¬ bevolle Freundlichkeit durchschimmern zu lassen, die bei seiner hohen herrlichen Gestalt und freien gebieterischen Haltung um so wirksamer für ihn einnahm. Ich war vom ersten Augenblick bezaubert; einen so günstig ausgestatteten Menschen hatte ich noch nicht gesehen; ich mußte mir bekennen, in solcher Person und in solcher Weltstellung durch das Leben zu gehen, das sei denn doch einmal ein Gang, der der Mühe werth sei! Solche Heldenfigur gibt in der That eine Vorstellung von höherem Geschlecht, Beruf und Geschick, und wirft in das, was bis¬ her nur als Dichtung erschienen, ein lebendiges Zeugniß von Wirk¬ lichkeit. Brinkmann vergötterte den Prinzen und sprach mit Liebe von seinen menschlichen Eigenschaften, mit Bewunderung von den in ihn gelegten Kräften, die ihn fähig machten, das Größte zu leisten, jeden Entschluß zu fassen, jede That zu vollbringen, zu der eine starke Seele nöthig. Doch leider, fuhr er fort, ist es auch sein Unglück, einen so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/745>, abgerufen am 28.09.2024.