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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Uniform große Ehrenauszeichnung zugezogen hatte, richtete einige
Fragen an Gentz, allein dieser antwortete wenig und schien durch
Schlegel beunruhigt, der ihn stets finsterer ansah und seinen Wider¬
willen deutlich in seinen Zügen ausdrücke; die hingeinurmclten Worte
"feiler Schreiber, nichtswürdiger Freiheitsfeind" und andere solche
Artigkeiten, welche dein damals revolutionär und republikanisch ge¬
sinnten Verfasser der Lucinde gemäß waren, erreichten zwar nicht des
Feindes Ohr, aber die reizbare Seele desselben schien jeden bösen
Hauch schon in der Ferne zu wittern.

Demoiselle Levin zog ihn aus der Verlegenheit, indem sie ihn
nach einen: Frauenzimmer fragte, das ihn lebhaft beschäftigen mußte,
denn mit dem größten Feuer sprach er von dämonischen Reiz und
eben solchem Charakter, die ihn entzückten und in Verzweiflung setz¬
ten; er klagte sich strafbarer Schwäche an, -- aber, fuhr er fort,
was kann ich dafür? Amor ist blind und wirft auch mir die Binde
über die Augen. '

-- Nein, nein! rief Demoiselle Levin; in dem Punkte ändere
ich die Mythologie. Amor ist nicht blind und hat keine Binde;
im Gegentheil er löset jede, und die Liebe sieht klar und scharf; daß
sie trotz Allem, was sie sieht, zu lieben fortfährt, das ist ihr höch¬
stes Kennzeichen!

Gentz wollte den Satz bestreiten, gab ihn aber bald und im¬
mer mehr zu, und rief ihn dann als die wunderbarste Belehrung
aus, die er fortan selbst ausbreiten und vertreten wolle. Wohl ist
dieses Thema unerschöpft und unerschöpflich, sagte er, und Ihnen,
Herzenökundige, kommt es zu, solche Wahrheiten auszusprechen, vor
denen die Irrthümer ganzer Zeitalter, ja der Mythologien selbst, zu¬
sammenbrechen. Er fuhr in dieser Weise fort, sprach von dem Glück
und Unglück der Liebe, von ihren Gründen und Bedingnissen, ihren /
Wirkungen undAusgängen; erst nur in kleineren Sätzen, die er noch '
conversationsartig an seine Nachbarn richtete, fragenweise, problema¬
tisch ; allmälig entwand er sich diesem Bezug und Ton, nahm einen
freieren Schwung, wagte kühnere und festere Behauptungen, und als
er sich der Gesinnung und Beistimmung seiner Zuhörer völlig ver¬
sichert halten durfte, öffnete er gleichsam alle Schleußen seiner Be¬
redsamkeit, deren gewaltiger Fluß nun unwiderstehlich einherströmte
uno uns mit staunender Bewunderung erfüllte. Friedrich Schlegel


Uniform große Ehrenauszeichnung zugezogen hatte, richtete einige
Fragen an Gentz, allein dieser antwortete wenig und schien durch
Schlegel beunruhigt, der ihn stets finsterer ansah und seinen Wider¬
willen deutlich in seinen Zügen ausdrücke; die hingeinurmclten Worte
„feiler Schreiber, nichtswürdiger Freiheitsfeind" und andere solche
Artigkeiten, welche dein damals revolutionär und republikanisch ge¬
sinnten Verfasser der Lucinde gemäß waren, erreichten zwar nicht des
Feindes Ohr, aber die reizbare Seele desselben schien jeden bösen
Hauch schon in der Ferne zu wittern.

Demoiselle Levin zog ihn aus der Verlegenheit, indem sie ihn
nach einen: Frauenzimmer fragte, das ihn lebhaft beschäftigen mußte,
denn mit dem größten Feuer sprach er von dämonischen Reiz und
eben solchem Charakter, die ihn entzückten und in Verzweiflung setz¬
ten; er klagte sich strafbarer Schwäche an, — aber, fuhr er fort,
was kann ich dafür? Amor ist blind und wirft auch mir die Binde
über die Augen. '

— Nein, nein! rief Demoiselle Levin; in dem Punkte ändere
ich die Mythologie. Amor ist nicht blind und hat keine Binde;
im Gegentheil er löset jede, und die Liebe sieht klar und scharf; daß
sie trotz Allem, was sie sieht, zu lieben fortfährt, das ist ihr höch¬
stes Kennzeichen!

Gentz wollte den Satz bestreiten, gab ihn aber bald und im¬
mer mehr zu, und rief ihn dann als die wunderbarste Belehrung
aus, die er fortan selbst ausbreiten und vertreten wolle. Wohl ist
dieses Thema unerschöpft und unerschöpflich, sagte er, und Ihnen,
Herzenökundige, kommt es zu, solche Wahrheiten auszusprechen, vor
denen die Irrthümer ganzer Zeitalter, ja der Mythologien selbst, zu¬
sammenbrechen. Er fuhr in dieser Weise fort, sprach von dem Glück
und Unglück der Liebe, von ihren Gründen und Bedingnissen, ihren /
Wirkungen undAusgängen; erst nur in kleineren Sätzen, die er noch '
conversationsartig an seine Nachbarn richtete, fragenweise, problema¬
tisch ; allmälig entwand er sich diesem Bezug und Ton, nahm einen
freieren Schwung, wagte kühnere und festere Behauptungen, und als
er sich der Gesinnung und Beistimmung seiner Zuhörer völlig ver¬
sichert halten durfte, öffnete er gleichsam alle Schleußen seiner Be¬
redsamkeit, deren gewaltiger Fluß nun unwiderstehlich einherströmte
uno uns mit staunender Bewunderung erfüllte. Friedrich Schlegel


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[0744] Uniform große Ehrenauszeichnung zugezogen hatte, richtete einige Fragen an Gentz, allein dieser antwortete wenig und schien durch Schlegel beunruhigt, der ihn stets finsterer ansah und seinen Wider¬ willen deutlich in seinen Zügen ausdrücke; die hingeinurmclten Worte „feiler Schreiber, nichtswürdiger Freiheitsfeind" und andere solche Artigkeiten, welche dein damals revolutionär und republikanisch ge¬ sinnten Verfasser der Lucinde gemäß waren, erreichten zwar nicht des Feindes Ohr, aber die reizbare Seele desselben schien jeden bösen Hauch schon in der Ferne zu wittern. Demoiselle Levin zog ihn aus der Verlegenheit, indem sie ihn nach einen: Frauenzimmer fragte, das ihn lebhaft beschäftigen mußte, denn mit dem größten Feuer sprach er von dämonischen Reiz und eben solchem Charakter, die ihn entzückten und in Verzweiflung setz¬ ten; er klagte sich strafbarer Schwäche an, — aber, fuhr er fort, was kann ich dafür? Amor ist blind und wirft auch mir die Binde über die Augen. ' — Nein, nein! rief Demoiselle Levin; in dem Punkte ändere ich die Mythologie. Amor ist nicht blind und hat keine Binde; im Gegentheil er löset jede, und die Liebe sieht klar und scharf; daß sie trotz Allem, was sie sieht, zu lieben fortfährt, das ist ihr höch¬ stes Kennzeichen! Gentz wollte den Satz bestreiten, gab ihn aber bald und im¬ mer mehr zu, und rief ihn dann als die wunderbarste Belehrung aus, die er fortan selbst ausbreiten und vertreten wolle. Wohl ist dieses Thema unerschöpft und unerschöpflich, sagte er, und Ihnen, Herzenökundige, kommt es zu, solche Wahrheiten auszusprechen, vor denen die Irrthümer ganzer Zeitalter, ja der Mythologien selbst, zu¬ sammenbrechen. Er fuhr in dieser Weise fort, sprach von dem Glück und Unglück der Liebe, von ihren Gründen und Bedingnissen, ihren / Wirkungen undAusgängen; erst nur in kleineren Sätzen, die er noch ' conversationsartig an seine Nachbarn richtete, fragenweise, problema¬ tisch ; allmälig entwand er sich diesem Bezug und Ton, nahm einen freieren Schwung, wagte kühnere und festere Behauptungen, und als er sich der Gesinnung und Beistimmung seiner Zuhörer völlig ver¬ sichert halten durfte, öffnete er gleichsam alle Schleußen seiner Be¬ redsamkeit, deren gewaltiger Fluß nun unwiderstehlich einherströmte uno uns mit staunender Bewunderung erfüllte. Friedrich Schlegel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/744>, abgerufen am 26.06.2024.