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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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III
Ans Dresden.

Theater. -- Anbau'pieler- -- Künstler. -- Maria von Weber.

Eine nachtheilige, obschon nicht abzuändernde Einrichtung unse¬
res Theaters ist, daß seine vorzüglichsten Künstler ihren Urlaub gerade
zu einer Zeit haben, nämlich vom Monat Mai bis August, wo
Dresden am meisten von Fremden besucht wird, so daß diesen die
beste Gelegenheit entzogen wird, die hiesige Bühne in ihrem wirklichen
Glanz und ihren besonderen Vorzügen zu sehen. So ist uns jetzt
Emil Devrient, der in Wien auf dem Burgtheater und in einigen
anderen österreichischen Städten gastiren wird, aus drei Monate entzo¬
gen; Tichatschek ist in Köln auf Gastrollen engagirt; der Bassist Dett-
mer macht ebenfalls eine Kunstreise; von den Damen werden Madame
Schröder-Devrient, welche seit ihrem neuen Engagement erst einige
Mal gespielt, und Madame Bayer noch ihren Urlaub benutzen. Die
Direktion bemüht sich, dem Mangel dadurch einigermaßen abzuhelfen,
daß sie Gäste herzieht. So sahen wir in den letzten Wochen Fräulein
Lebrun, eine reichbegabte jugendliche Schauspielerin; sie soll an der
Stelle der Bühne und Bräutigam zu gleicher Zeit verlassenden Karo¬
line Bauer hier engagirt werden; ferner Fräulein Wagner vom Bern¬
burger Theater, welche jn mehreren Gesangpartien mit so großem Er¬
folg aufgetreten, daß sie engagirt worden ist; diese Sängerin ist erst
17 Jahr alt und berechtigt zu großen Hoffnungen. Eduard Devrient
wird in diesen Tagen als Oberregisseur an unserer Bühne eintreten;
seine Stellung wird eine weit schwierigere werden, als er wohl erwar¬
tet, und nicht lange wird es dauern, wo er es bereuen wird, Berlin
verlassen zu haben. Er, ein Mann, bei welchem der Verstand sonst
weit über die Phantasie vorherrschend ist, träumt von einer Regene¬
ration des Theaters, die er in seiner neuen Stellung herbeiführen
werde; wie sehr verkennt er sich und unsere Verhältnisse! Er will
gern spielen und zwar immer in den ausgesuchtesten Rollen; mit wie
vielen seiner College" wird er in Conflict und Zerwürfnis) kommen;
seine Stellung wird ihm und Anderen, gerade wo er die besten Be¬
strebungen zu zeigen glaubt, unerträglich werden. Dazu kommt noch,
daß er namentlich bei seinem letzten Gastspiel hier dem Publikum we¬
nig gefallen hat. Durch das Lob einiger sentimentalen Blaustrümpfe,
die er durch sein moralisches Leben und durch seine "treue Liebe"
gewonnen hat, hätte er sich nicht irre führen lassen sollen. Der so
verständige Mann hat einen Wendepunkt seines Lebens, in argen
Illusionen befangen, herbeigeführt. -- Dresden hat in den letzten
Jahren viele seiner ausgezeichnetsten Männer verloren, ohne nur einen
einigermaßen entschädigenden Ersatz dafür zu bekommen, und dieses


III
Ans Dresden.

Theater. — Anbau'pieler- — Künstler. — Maria von Weber.

Eine nachtheilige, obschon nicht abzuändernde Einrichtung unse¬
res Theaters ist, daß seine vorzüglichsten Künstler ihren Urlaub gerade
zu einer Zeit haben, nämlich vom Monat Mai bis August, wo
Dresden am meisten von Fremden besucht wird, so daß diesen die
beste Gelegenheit entzogen wird, die hiesige Bühne in ihrem wirklichen
Glanz und ihren besonderen Vorzügen zu sehen. So ist uns jetzt
Emil Devrient, der in Wien auf dem Burgtheater und in einigen
anderen österreichischen Städten gastiren wird, aus drei Monate entzo¬
gen; Tichatschek ist in Köln auf Gastrollen engagirt; der Bassist Dett-
mer macht ebenfalls eine Kunstreise; von den Damen werden Madame
Schröder-Devrient, welche seit ihrem neuen Engagement erst einige
Mal gespielt, und Madame Bayer noch ihren Urlaub benutzen. Die
Direktion bemüht sich, dem Mangel dadurch einigermaßen abzuhelfen,
daß sie Gäste herzieht. So sahen wir in den letzten Wochen Fräulein
Lebrun, eine reichbegabte jugendliche Schauspielerin; sie soll an der
Stelle der Bühne und Bräutigam zu gleicher Zeit verlassenden Karo¬
line Bauer hier engagirt werden; ferner Fräulein Wagner vom Bern¬
burger Theater, welche jn mehreren Gesangpartien mit so großem Er¬
folg aufgetreten, daß sie engagirt worden ist; diese Sängerin ist erst
17 Jahr alt und berechtigt zu großen Hoffnungen. Eduard Devrient
wird in diesen Tagen als Oberregisseur an unserer Bühne eintreten;
seine Stellung wird eine weit schwierigere werden, als er wohl erwar¬
tet, und nicht lange wird es dauern, wo er es bereuen wird, Berlin
verlassen zu haben. Er, ein Mann, bei welchem der Verstand sonst
weit über die Phantasie vorherrschend ist, träumt von einer Regene¬
ration des Theaters, die er in seiner neuen Stellung herbeiführen
werde; wie sehr verkennt er sich und unsere Verhältnisse! Er will
gern spielen und zwar immer in den ausgesuchtesten Rollen; mit wie
vielen seiner College» wird er in Conflict und Zerwürfnis) kommen;
seine Stellung wird ihm und Anderen, gerade wo er die besten Be¬
strebungen zu zeigen glaubt, unerträglich werden. Dazu kommt noch,
daß er namentlich bei seinem letzten Gastspiel hier dem Publikum we¬
nig gefallen hat. Durch das Lob einiger sentimentalen Blaustrümpfe,
die er durch sein moralisches Leben und durch seine „treue Liebe"
gewonnen hat, hätte er sich nicht irre führen lassen sollen. Der so
verständige Mann hat einen Wendepunkt seines Lebens, in argen
Illusionen befangen, herbeigeführt. — Dresden hat in den letzten
Jahren viele seiner ausgezeichnetsten Männer verloren, ohne nur einen
einigermaßen entschädigenden Ersatz dafür zu bekommen, und dieses


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[0731] III Ans Dresden. Theater. — Anbau'pieler- — Künstler. — Maria von Weber. Eine nachtheilige, obschon nicht abzuändernde Einrichtung unse¬ res Theaters ist, daß seine vorzüglichsten Künstler ihren Urlaub gerade zu einer Zeit haben, nämlich vom Monat Mai bis August, wo Dresden am meisten von Fremden besucht wird, so daß diesen die beste Gelegenheit entzogen wird, die hiesige Bühne in ihrem wirklichen Glanz und ihren besonderen Vorzügen zu sehen. So ist uns jetzt Emil Devrient, der in Wien auf dem Burgtheater und in einigen anderen österreichischen Städten gastiren wird, aus drei Monate entzo¬ gen; Tichatschek ist in Köln auf Gastrollen engagirt; der Bassist Dett- mer macht ebenfalls eine Kunstreise; von den Damen werden Madame Schröder-Devrient, welche seit ihrem neuen Engagement erst einige Mal gespielt, und Madame Bayer noch ihren Urlaub benutzen. Die Direktion bemüht sich, dem Mangel dadurch einigermaßen abzuhelfen, daß sie Gäste herzieht. So sahen wir in den letzten Wochen Fräulein Lebrun, eine reichbegabte jugendliche Schauspielerin; sie soll an der Stelle der Bühne und Bräutigam zu gleicher Zeit verlassenden Karo¬ line Bauer hier engagirt werden; ferner Fräulein Wagner vom Bern¬ burger Theater, welche jn mehreren Gesangpartien mit so großem Er¬ folg aufgetreten, daß sie engagirt worden ist; diese Sängerin ist erst 17 Jahr alt und berechtigt zu großen Hoffnungen. Eduard Devrient wird in diesen Tagen als Oberregisseur an unserer Bühne eintreten; seine Stellung wird eine weit schwierigere werden, als er wohl erwar¬ tet, und nicht lange wird es dauern, wo er es bereuen wird, Berlin verlassen zu haben. Er, ein Mann, bei welchem der Verstand sonst weit über die Phantasie vorherrschend ist, träumt von einer Regene¬ ration des Theaters, die er in seiner neuen Stellung herbeiführen werde; wie sehr verkennt er sich und unsere Verhältnisse! Er will gern spielen und zwar immer in den ausgesuchtesten Rollen; mit wie vielen seiner College» wird er in Conflict und Zerwürfnis) kommen; seine Stellung wird ihm und Anderen, gerade wo er die besten Be¬ strebungen zu zeigen glaubt, unerträglich werden. Dazu kommt noch, daß er namentlich bei seinem letzten Gastspiel hier dem Publikum we¬ nig gefallen hat. Durch das Lob einiger sentimentalen Blaustrümpfe, die er durch sein moralisches Leben und durch seine „treue Liebe" gewonnen hat, hätte er sich nicht irre führen lassen sollen. Der so verständige Mann hat einen Wendepunkt seines Lebens, in argen Illusionen befangen, herbeigeführt. — Dresden hat in den letzten Jahren viele seiner ausgezeichnetsten Männer verloren, ohne nur einen einigermaßen entschädigenden Ersatz dafür zu bekommen, und dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/731>, abgerufen am 01.07.2024.