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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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i.
Aus Wi e n.

Die Kunst und ihr Verfall. -- Gräfin Hahn. -- Motesens' Tantieme.

Wie ich erfuhr, hat einer Ihrer Wiener Correspondenten bereits
das traurige Amt übernommen, die diesjährige Kunstausstellung zu
besprechen, und ich meide ihm diese herkulische Säuberung nicht. Wei¬
terer Bemerkungen will ich mich gern begeben, nur die eine Frage
kann ich nicht unterdrücken: wie ist es möglich, daß die Kunst bei
uns in solchen Verfall gerathen konnte? Die Maler haben hierauf
immer die bequeme Antwort bereit: weil keine Bestellungen gemacht
werden, an denen wir unsere Kräfte üben könnten. Das ist wohl
leider Thatsache, aber darum noch immer keine Rechtfertigung für die
Künstler, sondern nur eine Ausflucht für ihre Ohnmacht. Um Gro߬
artiges hervorzubringen, bedarf das Talent nicht erst der Anregung-
von Außen; um sich selbst zu genügen, muß es das Beste leisten,
was es vermag, und gewiß ist noch nie ein Meisterwerk unerschaffen
geblieben, weil es nicht bestellt ward. Der Grund jener Lahmheit
und Schlaffheit, die so weit geht, daß sich nicht einmal im Schlech¬
ten mehr eine bestimmte Individualität zeigt, ist theils in der be¬
ständig um sich greifenden sinnlichen Verflachung des österreichischen
Nationalcharakters, theils in der verrückten Einrichtung unserer Akade¬
mie und außerdem wohl auch in der Unwissenheit der Mehrzahl un¬
serer Maler zu suchen*). Bei diesen ist es eine der Bequemlichkeit
wegen angenommene Maxime, daß vieles Lernen dem Genie Eintrag
thue; die Herren thäten nicht so übel daran, sich zu besinnen, daß



*) Das ists! Schulen, Universitäten, allgemeine Bildung, hervorgerufen
durch freie Aeußerung der Presse, ungehemmte Kritik -- das wird bald
Künstler schaffen. --
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Aus Wi e n.

Die Kunst und ihr Verfall. — Gräfin Hahn. — Motesens' Tantieme.

Wie ich erfuhr, hat einer Ihrer Wiener Correspondenten bereits
das traurige Amt übernommen, die diesjährige Kunstausstellung zu
besprechen, und ich meide ihm diese herkulische Säuberung nicht. Wei¬
terer Bemerkungen will ich mich gern begeben, nur die eine Frage
kann ich nicht unterdrücken: wie ist es möglich, daß die Kunst bei
uns in solchen Verfall gerathen konnte? Die Maler haben hierauf
immer die bequeme Antwort bereit: weil keine Bestellungen gemacht
werden, an denen wir unsere Kräfte üben könnten. Das ist wohl
leider Thatsache, aber darum noch immer keine Rechtfertigung für die
Künstler, sondern nur eine Ausflucht für ihre Ohnmacht. Um Gro߬
artiges hervorzubringen, bedarf das Talent nicht erst der Anregung-
von Außen; um sich selbst zu genügen, muß es das Beste leisten,
was es vermag, und gewiß ist noch nie ein Meisterwerk unerschaffen
geblieben, weil es nicht bestellt ward. Der Grund jener Lahmheit
und Schlaffheit, die so weit geht, daß sich nicht einmal im Schlech¬
ten mehr eine bestimmte Individualität zeigt, ist theils in der be¬
ständig um sich greifenden sinnlichen Verflachung des österreichischen
Nationalcharakters, theils in der verrückten Einrichtung unserer Akade¬
mie und außerdem wohl auch in der Unwissenheit der Mehrzahl un¬
serer Maler zu suchen*). Bei diesen ist es eine der Bequemlichkeit
wegen angenommene Maxime, daß vieles Lernen dem Genie Eintrag
thue; die Herren thäten nicht so übel daran, sich zu besinnen, daß



*) Das ists! Schulen, Universitäten, allgemeine Bildung, hervorgerufen
durch freie Aeußerung der Presse, ungehemmte Kritik — das wird bald
Künstler schaffen. —
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[0727] T a g e b u es. i. Aus Wi e n. Die Kunst und ihr Verfall. — Gräfin Hahn. — Motesens' Tantieme. Wie ich erfuhr, hat einer Ihrer Wiener Correspondenten bereits das traurige Amt übernommen, die diesjährige Kunstausstellung zu besprechen, und ich meide ihm diese herkulische Säuberung nicht. Wei¬ terer Bemerkungen will ich mich gern begeben, nur die eine Frage kann ich nicht unterdrücken: wie ist es möglich, daß die Kunst bei uns in solchen Verfall gerathen konnte? Die Maler haben hierauf immer die bequeme Antwort bereit: weil keine Bestellungen gemacht werden, an denen wir unsere Kräfte üben könnten. Das ist wohl leider Thatsache, aber darum noch immer keine Rechtfertigung für die Künstler, sondern nur eine Ausflucht für ihre Ohnmacht. Um Gro߬ artiges hervorzubringen, bedarf das Talent nicht erst der Anregung- von Außen; um sich selbst zu genügen, muß es das Beste leisten, was es vermag, und gewiß ist noch nie ein Meisterwerk unerschaffen geblieben, weil es nicht bestellt ward. Der Grund jener Lahmheit und Schlaffheit, die so weit geht, daß sich nicht einmal im Schlech¬ ten mehr eine bestimmte Individualität zeigt, ist theils in der be¬ ständig um sich greifenden sinnlichen Verflachung des österreichischen Nationalcharakters, theils in der verrückten Einrichtung unserer Akade¬ mie und außerdem wohl auch in der Unwissenheit der Mehrzahl un¬ serer Maler zu suchen*). Bei diesen ist es eine der Bequemlichkeit wegen angenommene Maxime, daß vieles Lernen dem Genie Eintrag thue; die Herren thäten nicht so übel daran, sich zu besinnen, daß *) Das ists! Schulen, Universitäten, allgemeine Bildung, hervorgerufen durch freie Aeußerung der Presse, ungehemmte Kritik — das wird bald Künstler schaffen. — 93 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/727>, abgerufen am 01.07.2024.