die größten Maler (ich nenne nur Leonardo da Vinci, Buonarotti, Poussin) Männer von den umfassendsten Kenntnissen waren, deren Leben in ernsten, strengen Studien verfloß. Uebrigens glauben auch manche unserer Literaten allen Ernstes, daß sie an ihrer Originalität verlören, wenn sie etwas Rechtes lernten. Das ist eine schöne Ori¬ ginalität, die darin besteht, sich auf den Isolirschemel hinzuhocken, statt die weite Welt in sich aufzunehmen, um sie mit dem Licht des eigenen Geistes, den Flammen des eigenen Herzens zu verklären? -- Gedankenlosigkeit und Nichtigkeit nehmen bei uns mit jedem Tage zu, der Ernst des Strebens, die Fähigkeit, seines Lebens Mühe begeistert an ein schönes Ziel zu setzen, verschwindet immer mehr, und wenn man so zum Beispiel die Chronik des alten Florentiners Ghiberti lies't, möchte man sich schämen, dieser Zeit und diesem Geschlecht an¬ zugehören. Gott bessere es! sage ich mit dem alten Comthur.
Daß Gräfin Jda Hahn einige Tage in Wien verweilte, werden Sie wohl wissen. Sie fand in den Salons des Adels und der Fi- nance die ausgezeichnetste Aufnahme und brachte auch ihrerseits einen sehr günstigen Eindruck hervor. Man fand sie stiller, weicher, ange¬ nehmer, als man sie nach dem Charakter ihrer Schriften sich vorgestellt hatte, in denen allerdings, bei ungemein viel Geist, ein gewisses ab¬ sprechendes, schroffes, hochmüthiges Wesen auf mitunter sehr verletzende Weise hervortritt. In ihrem persönlichen Umgange ist dies nicht der Fall und,darum gefiel sie. Welchen Eindruck die Gräfin selbst von hier fortgenommen, wäre wohl schwer zu entscheiden; einerseits mochte es ihr Vergnügen machen, sich so viele Huldigungen dargebracht zu sehen, andererseits mußten die Persönlichkeiten, von denen jene Hul¬ digungen ausgingen, denselben ein gutes Theil ihres Werthes beneh¬ men. Der scharfblickender Frau konnte es unmöglich entgehen, daß hier weit weniger von wahrhafter Anerkennung eines superiorer Ta¬ lentes, als von einem der Mode und einem Namen gezählten Tribut die Rede sei. Eine kleine Anekdote muß ich Ihnen doch mittheilen: Gräfin Hahn erzählte in dem Salon einer hiesigen Finanzgröße, daß sie auf ihrer Reise in den Orient in Constantinopel einen Dragoman aufgenommen habe. "Wird ein Dragoman von Pferden oder von Eseln gezogen?" fragte die schwarzlockige Baronin E., die, naiver Weise, einen Dragoman für ein Fuhrwerk hielt. An einem solchen Irrthum wäre nun freilich nicht sehr viel gelegen, eine Frau braucht nicht jeden fremdländischen Ausdruck zu verstehen, aber immerhin bleibt es abgeschmackt und läppisch, ein Interesse für Dinge zu heucheln, von denen man so ganz und gar keinen Begriff hat, daß es auch unmöglich ist, sich für sie zu interessiren.
Unsere Hoftheaterdirection hat auf ihre eigene Kosten erfahren, was für ein herrlich Ding es um die Tantieme sei. Wie Sie wisi
die größten Maler (ich nenne nur Leonardo da Vinci, Buonarotti, Poussin) Männer von den umfassendsten Kenntnissen waren, deren Leben in ernsten, strengen Studien verfloß. Uebrigens glauben auch manche unserer Literaten allen Ernstes, daß sie an ihrer Originalität verlören, wenn sie etwas Rechtes lernten. Das ist eine schöne Ori¬ ginalität, die darin besteht, sich auf den Isolirschemel hinzuhocken, statt die weite Welt in sich aufzunehmen, um sie mit dem Licht des eigenen Geistes, den Flammen des eigenen Herzens zu verklären? — Gedankenlosigkeit und Nichtigkeit nehmen bei uns mit jedem Tage zu, der Ernst des Strebens, die Fähigkeit, seines Lebens Mühe begeistert an ein schönes Ziel zu setzen, verschwindet immer mehr, und wenn man so zum Beispiel die Chronik des alten Florentiners Ghiberti lies't, möchte man sich schämen, dieser Zeit und diesem Geschlecht an¬ zugehören. Gott bessere es! sage ich mit dem alten Comthur.
Daß Gräfin Jda Hahn einige Tage in Wien verweilte, werden Sie wohl wissen. Sie fand in den Salons des Adels und der Fi- nance die ausgezeichnetste Aufnahme und brachte auch ihrerseits einen sehr günstigen Eindruck hervor. Man fand sie stiller, weicher, ange¬ nehmer, als man sie nach dem Charakter ihrer Schriften sich vorgestellt hatte, in denen allerdings, bei ungemein viel Geist, ein gewisses ab¬ sprechendes, schroffes, hochmüthiges Wesen auf mitunter sehr verletzende Weise hervortritt. In ihrem persönlichen Umgange ist dies nicht der Fall und,darum gefiel sie. Welchen Eindruck die Gräfin selbst von hier fortgenommen, wäre wohl schwer zu entscheiden; einerseits mochte es ihr Vergnügen machen, sich so viele Huldigungen dargebracht zu sehen, andererseits mußten die Persönlichkeiten, von denen jene Hul¬ digungen ausgingen, denselben ein gutes Theil ihres Werthes beneh¬ men. Der scharfblickender Frau konnte es unmöglich entgehen, daß hier weit weniger von wahrhafter Anerkennung eines superiorer Ta¬ lentes, als von einem der Mode und einem Namen gezählten Tribut die Rede sei. Eine kleine Anekdote muß ich Ihnen doch mittheilen: Gräfin Hahn erzählte in dem Salon einer hiesigen Finanzgröße, daß sie auf ihrer Reise in den Orient in Constantinopel einen Dragoman aufgenommen habe. „Wird ein Dragoman von Pferden oder von Eseln gezogen?" fragte die schwarzlockige Baronin E., die, naiver Weise, einen Dragoman für ein Fuhrwerk hielt. An einem solchen Irrthum wäre nun freilich nicht sehr viel gelegen, eine Frau braucht nicht jeden fremdländischen Ausdruck zu verstehen, aber immerhin bleibt es abgeschmackt und läppisch, ein Interesse für Dinge zu heucheln, von denen man so ganz und gar keinen Begriff hat, daß es auch unmöglich ist, sich für sie zu interessiren.
Unsere Hoftheaterdirection hat auf ihre eigene Kosten erfahren, was für ein herrlich Ding es um die Tantieme sei. Wie Sie wisi
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0728"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180441"/><pxml:id="ID_1889"prev="#ID_1888"> die größten Maler (ich nenne nur Leonardo da Vinci, Buonarotti,<lb/>
Poussin) Männer von den umfassendsten Kenntnissen waren, deren<lb/>
Leben in ernsten, strengen Studien verfloß. Uebrigens glauben auch<lb/>
manche unserer Literaten allen Ernstes, daß sie an ihrer Originalität<lb/>
verlören, wenn sie etwas Rechtes lernten. Das ist eine schöne Ori¬<lb/>
ginalität, die darin besteht, sich auf den Isolirschemel hinzuhocken,<lb/>
statt die weite Welt in sich aufzunehmen, um sie mit dem Licht des<lb/>
eigenen Geistes, den Flammen des eigenen Herzens zu verklären? —<lb/>
Gedankenlosigkeit und Nichtigkeit nehmen bei uns mit jedem Tage zu,<lb/>
der Ernst des Strebens, die Fähigkeit, seines Lebens Mühe begeistert<lb/>
an ein schönes Ziel zu setzen, verschwindet immer mehr, und wenn<lb/>
man so zum Beispiel die Chronik des alten Florentiners Ghiberti<lb/>
lies't, möchte man sich schämen, dieser Zeit und diesem Geschlecht an¬<lb/>
zugehören. Gott bessere es! sage ich mit dem alten Comthur.</p><lb/><pxml:id="ID_1890"> Daß Gräfin Jda Hahn einige Tage in Wien verweilte, werden<lb/>
Sie wohl wissen. Sie fand in den Salons des Adels und der Fi-<lb/>
nance die ausgezeichnetste Aufnahme und brachte auch ihrerseits einen<lb/>
sehr günstigen Eindruck hervor. Man fand sie stiller, weicher, ange¬<lb/>
nehmer, als man sie nach dem Charakter ihrer Schriften sich vorgestellt<lb/>
hatte, in denen allerdings, bei ungemein viel Geist, ein gewisses ab¬<lb/>
sprechendes, schroffes, hochmüthiges Wesen auf mitunter sehr verletzende<lb/>
Weise hervortritt. In ihrem persönlichen Umgange ist dies nicht der<lb/>
Fall und,darum gefiel sie. Welchen Eindruck die Gräfin selbst von<lb/>
hier fortgenommen, wäre wohl schwer zu entscheiden; einerseits mochte<lb/>
es ihr Vergnügen machen, sich so viele Huldigungen dargebracht zu<lb/>
sehen, andererseits mußten die Persönlichkeiten, von denen jene Hul¬<lb/>
digungen ausgingen, denselben ein gutes Theil ihres Werthes beneh¬<lb/>
men. Der scharfblickender Frau konnte es unmöglich entgehen, daß<lb/>
hier weit weniger von wahrhafter Anerkennung eines superiorer Ta¬<lb/>
lentes, als von einem der Mode und einem Namen gezählten Tribut<lb/>
die Rede sei. Eine kleine Anekdote muß ich Ihnen doch mittheilen:<lb/>
Gräfin Hahn erzählte in dem Salon einer hiesigen Finanzgröße, daß<lb/>
sie auf ihrer Reise in den Orient in Constantinopel einen Dragoman<lb/>
aufgenommen habe. „Wird ein Dragoman von Pferden oder von<lb/>
Eseln gezogen?" fragte die schwarzlockige Baronin E., die, naiver<lb/>
Weise, einen Dragoman für ein Fuhrwerk hielt. An einem solchen<lb/>
Irrthum wäre nun freilich nicht sehr viel gelegen, eine Frau braucht<lb/>
nicht jeden fremdländischen Ausdruck zu verstehen, aber immerhin bleibt<lb/>
es abgeschmackt und läppisch, ein Interesse für Dinge zu heucheln,<lb/>
von denen man so ganz und gar keinen Begriff hat, daß es auch<lb/>
unmöglich ist, sich für sie zu interessiren.</p><lb/><pxml:id="ID_1891"next="#ID_1892"> Unsere Hoftheaterdirection hat auf ihre eigene Kosten erfahren,<lb/>
was für ein herrlich Ding es um die Tantieme sei. Wie Sie wisi</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0728]
die größten Maler (ich nenne nur Leonardo da Vinci, Buonarotti,
Poussin) Männer von den umfassendsten Kenntnissen waren, deren
Leben in ernsten, strengen Studien verfloß. Uebrigens glauben auch
manche unserer Literaten allen Ernstes, daß sie an ihrer Originalität
verlören, wenn sie etwas Rechtes lernten. Das ist eine schöne Ori¬
ginalität, die darin besteht, sich auf den Isolirschemel hinzuhocken,
statt die weite Welt in sich aufzunehmen, um sie mit dem Licht des
eigenen Geistes, den Flammen des eigenen Herzens zu verklären? —
Gedankenlosigkeit und Nichtigkeit nehmen bei uns mit jedem Tage zu,
der Ernst des Strebens, die Fähigkeit, seines Lebens Mühe begeistert
an ein schönes Ziel zu setzen, verschwindet immer mehr, und wenn
man so zum Beispiel die Chronik des alten Florentiners Ghiberti
lies't, möchte man sich schämen, dieser Zeit und diesem Geschlecht an¬
zugehören. Gott bessere es! sage ich mit dem alten Comthur.
Daß Gräfin Jda Hahn einige Tage in Wien verweilte, werden
Sie wohl wissen. Sie fand in den Salons des Adels und der Fi-
nance die ausgezeichnetste Aufnahme und brachte auch ihrerseits einen
sehr günstigen Eindruck hervor. Man fand sie stiller, weicher, ange¬
nehmer, als man sie nach dem Charakter ihrer Schriften sich vorgestellt
hatte, in denen allerdings, bei ungemein viel Geist, ein gewisses ab¬
sprechendes, schroffes, hochmüthiges Wesen auf mitunter sehr verletzende
Weise hervortritt. In ihrem persönlichen Umgange ist dies nicht der
Fall und,darum gefiel sie. Welchen Eindruck die Gräfin selbst von
hier fortgenommen, wäre wohl schwer zu entscheiden; einerseits mochte
es ihr Vergnügen machen, sich so viele Huldigungen dargebracht zu
sehen, andererseits mußten die Persönlichkeiten, von denen jene Hul¬
digungen ausgingen, denselben ein gutes Theil ihres Werthes beneh¬
men. Der scharfblickender Frau konnte es unmöglich entgehen, daß
hier weit weniger von wahrhafter Anerkennung eines superiorer Ta¬
lentes, als von einem der Mode und einem Namen gezählten Tribut
die Rede sei. Eine kleine Anekdote muß ich Ihnen doch mittheilen:
Gräfin Hahn erzählte in dem Salon einer hiesigen Finanzgröße, daß
sie auf ihrer Reise in den Orient in Constantinopel einen Dragoman
aufgenommen habe. „Wird ein Dragoman von Pferden oder von
Eseln gezogen?" fragte die schwarzlockige Baronin E., die, naiver
Weise, einen Dragoman für ein Fuhrwerk hielt. An einem solchen
Irrthum wäre nun freilich nicht sehr viel gelegen, eine Frau braucht
nicht jeden fremdländischen Ausdruck zu verstehen, aber immerhin bleibt
es abgeschmackt und läppisch, ein Interesse für Dinge zu heucheln,
von denen man so ganz und gar keinen Begriff hat, daß es auch
unmöglich ist, sich für sie zu interessiren.
Unsere Hoftheaterdirection hat auf ihre eigene Kosten erfahren,
was für ein herrlich Ding es um die Tantieme sei. Wie Sie wisi
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/728>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.