Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

, Die Gesellschaft aber war in Bewegung gerathen, Brinkmann
von seinem Platze verdrängt, und von demselben aus machte nun
der Major von Gualtieri die Unterhaltung der Damen. In dieser
seiner Verstoßung gesellte sich Brinkmann wieder zu mir, zog mich
zum Fenster und wollte mir über die zuletzt Gekommenen nähere
Auskunft geben.

-- Vor Gualtieri, sagte er, nehmen Sie sich in Acht, er ist
streitsüchtig und rechthaberisch, und in seinen Launen gar nicht zu berech¬
nen. Die kleine Levin macht ein großes Wesen von seinem originelle"
Geiste, von seinem eigenthümlichen Verstände, ich aber muß bekennen,
daß ich sie darin nicht begreife; mir gelingt es nicht, mehr in ihm
zu sehen, als einen ungeschulten Sophisten, der sich mit den Leuten
Alles erlaubt, was ihm einfällt. Ein ganz anderer Mann ist der
Major von Schack, man weiß, wie man mit ihm dran ist und kann
sich auf ihn verlassen. Sehen Sie auch nur die prächtige Gestalt,
dieses ruhige und entschlossene und dabei moquante Aussehen! Er
ist ein tapferer Offizier und vollkommener Edelmann, alle Tugenden
und Untugenden dieser doppelten Bezeichnung sind in ihm vereint.
Gelernt hat er Nichts, er spricht nickt einmal richtig deutsch, doch
wer spricht das in Berlin? Aber dafür hat er die reichste Dosis
Mutterwitz.

Hier unterbrach uns Schlegel, indem er sich beklagte, die Unzel-
mann habe von Kunst doch keinen Begriff. Ich bin, sagte er, mit
meinen Bemerkungen über ihre bedeutendsten Rollen ganz bei ihr
durchgefallen, sie hat mich gar nicht verstanden, hat mir die dümm¬
sten Antworten gegeben, sie ist von keiner ihrer Rollen auch nur die
kleinste Rechenschaft abzulegen fähig. Dies Letzte hatte Schack im
zufälligen Annahen noch eben aufgeschnappt und antwortete sogleich:
Ihr Herren Kritiker wollt auch zuviel! Die Unzelmann weiß Alles auf
ihre Art, sie spielt's und bringt's auch leibhaftig vor Augen, und
Ihr selbst bewundert sie darin; warum soll sie dasselbe nun auch auf
Euere Art geben? Von der himmlischen Frau zu fordern, daß sie
-- pfui! -- raisonniren soll, wie Ihr, ist gerade so, wie von Euch
zu verlangen, daß Ihr spielen sollt, wie sie, -- el, das wäre aber
nicht pfui, sondern schön!

-- Brav, brav, lieber Schack! rief eine Stimme hinter ihm; es
war Demoiselle Levin, die aufgestanden und von unserem lebhaft


, Die Gesellschaft aber war in Bewegung gerathen, Brinkmann
von seinem Platze verdrängt, und von demselben aus machte nun
der Major von Gualtieri die Unterhaltung der Damen. In dieser
seiner Verstoßung gesellte sich Brinkmann wieder zu mir, zog mich
zum Fenster und wollte mir über die zuletzt Gekommenen nähere
Auskunft geben.

— Vor Gualtieri, sagte er, nehmen Sie sich in Acht, er ist
streitsüchtig und rechthaberisch, und in seinen Launen gar nicht zu berech¬
nen. Die kleine Levin macht ein großes Wesen von seinem originelle»
Geiste, von seinem eigenthümlichen Verstände, ich aber muß bekennen,
daß ich sie darin nicht begreife; mir gelingt es nicht, mehr in ihm
zu sehen, als einen ungeschulten Sophisten, der sich mit den Leuten
Alles erlaubt, was ihm einfällt. Ein ganz anderer Mann ist der
Major von Schack, man weiß, wie man mit ihm dran ist und kann
sich auf ihn verlassen. Sehen Sie auch nur die prächtige Gestalt,
dieses ruhige und entschlossene und dabei moquante Aussehen! Er
ist ein tapferer Offizier und vollkommener Edelmann, alle Tugenden
und Untugenden dieser doppelten Bezeichnung sind in ihm vereint.
Gelernt hat er Nichts, er spricht nickt einmal richtig deutsch, doch
wer spricht das in Berlin? Aber dafür hat er die reichste Dosis
Mutterwitz.

Hier unterbrach uns Schlegel, indem er sich beklagte, die Unzel-
mann habe von Kunst doch keinen Begriff. Ich bin, sagte er, mit
meinen Bemerkungen über ihre bedeutendsten Rollen ganz bei ihr
durchgefallen, sie hat mich gar nicht verstanden, hat mir die dümm¬
sten Antworten gegeben, sie ist von keiner ihrer Rollen auch nur die
kleinste Rechenschaft abzulegen fähig. Dies Letzte hatte Schack im
zufälligen Annahen noch eben aufgeschnappt und antwortete sogleich:
Ihr Herren Kritiker wollt auch zuviel! Die Unzelmann weiß Alles auf
ihre Art, sie spielt's und bringt's auch leibhaftig vor Augen, und
Ihr selbst bewundert sie darin; warum soll sie dasselbe nun auch auf
Euere Art geben? Von der himmlischen Frau zu fordern, daß sie
— pfui! — raisonniren soll, wie Ihr, ist gerade so, wie von Euch
zu verlangen, daß Ihr spielen sollt, wie sie, — el, das wäre aber
nicht pfui, sondern schön!

— Brav, brav, lieber Schack! rief eine Stimme hinter ihm; es
war Demoiselle Levin, die aufgestanden und von unserem lebhaft


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0720" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/180433"/>
            <p xml:id="ID_1864"> , Die Gesellschaft aber war in Bewegung gerathen, Brinkmann<lb/>
von seinem Platze verdrängt, und von demselben aus machte nun<lb/>
der Major von Gualtieri die Unterhaltung der Damen. In dieser<lb/>
seiner Verstoßung gesellte sich Brinkmann wieder zu mir, zog mich<lb/>
zum Fenster und wollte mir über die zuletzt Gekommenen nähere<lb/>
Auskunft geben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1865"> &#x2014; Vor Gualtieri, sagte er, nehmen Sie sich in Acht, er ist<lb/>
streitsüchtig und rechthaberisch, und in seinen Launen gar nicht zu berech¬<lb/>
nen. Die kleine Levin macht ein großes Wesen von seinem originelle»<lb/>
Geiste, von seinem eigenthümlichen Verstände, ich aber muß bekennen,<lb/>
daß ich sie darin nicht begreife; mir gelingt es nicht, mehr in ihm<lb/>
zu sehen, als einen ungeschulten Sophisten, der sich mit den Leuten<lb/>
Alles erlaubt, was ihm einfällt. Ein ganz anderer Mann ist der<lb/>
Major von Schack, man weiß, wie man mit ihm dran ist und kann<lb/>
sich auf ihn verlassen. Sehen Sie auch nur die prächtige Gestalt,<lb/>
dieses ruhige und entschlossene und dabei moquante Aussehen! Er<lb/>
ist ein tapferer Offizier und vollkommener Edelmann, alle Tugenden<lb/>
und Untugenden dieser doppelten Bezeichnung sind in ihm vereint.<lb/>
Gelernt hat er Nichts, er spricht nickt einmal richtig deutsch, doch<lb/>
wer spricht das in Berlin? Aber dafür hat er die reichste Dosis<lb/>
Mutterwitz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1866"> Hier unterbrach uns Schlegel, indem er sich beklagte, die Unzel-<lb/>
mann habe von Kunst doch keinen Begriff. Ich bin, sagte er, mit<lb/>
meinen Bemerkungen über ihre bedeutendsten Rollen ganz bei ihr<lb/>
durchgefallen, sie hat mich gar nicht verstanden, hat mir die dümm¬<lb/>
sten Antworten gegeben, sie ist von keiner ihrer Rollen auch nur die<lb/>
kleinste Rechenschaft abzulegen fähig. Dies Letzte hatte Schack im<lb/>
zufälligen Annahen noch eben aufgeschnappt und antwortete sogleich:<lb/>
Ihr Herren Kritiker wollt auch zuviel! Die Unzelmann weiß Alles auf<lb/>
ihre Art, sie spielt's und bringt's auch leibhaftig vor Augen, und<lb/>
Ihr selbst bewundert sie darin; warum soll sie dasselbe nun auch auf<lb/>
Euere Art geben? Von der himmlischen Frau zu fordern, daß sie<lb/>
&#x2014; pfui! &#x2014; raisonniren soll, wie Ihr, ist gerade so, wie von Euch<lb/>
zu verlangen, daß Ihr spielen sollt, wie sie, &#x2014; el, das wäre aber<lb/>
nicht pfui, sondern schön!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1867" next="#ID_1868"> &#x2014; Brav, brav, lieber Schack! rief eine Stimme hinter ihm; es<lb/>
war Demoiselle Levin, die aufgestanden und von unserem lebhaft</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0720] , Die Gesellschaft aber war in Bewegung gerathen, Brinkmann von seinem Platze verdrängt, und von demselben aus machte nun der Major von Gualtieri die Unterhaltung der Damen. In dieser seiner Verstoßung gesellte sich Brinkmann wieder zu mir, zog mich zum Fenster und wollte mir über die zuletzt Gekommenen nähere Auskunft geben. — Vor Gualtieri, sagte er, nehmen Sie sich in Acht, er ist streitsüchtig und rechthaberisch, und in seinen Launen gar nicht zu berech¬ nen. Die kleine Levin macht ein großes Wesen von seinem originelle» Geiste, von seinem eigenthümlichen Verstände, ich aber muß bekennen, daß ich sie darin nicht begreife; mir gelingt es nicht, mehr in ihm zu sehen, als einen ungeschulten Sophisten, der sich mit den Leuten Alles erlaubt, was ihm einfällt. Ein ganz anderer Mann ist der Major von Schack, man weiß, wie man mit ihm dran ist und kann sich auf ihn verlassen. Sehen Sie auch nur die prächtige Gestalt, dieses ruhige und entschlossene und dabei moquante Aussehen! Er ist ein tapferer Offizier und vollkommener Edelmann, alle Tugenden und Untugenden dieser doppelten Bezeichnung sind in ihm vereint. Gelernt hat er Nichts, er spricht nickt einmal richtig deutsch, doch wer spricht das in Berlin? Aber dafür hat er die reichste Dosis Mutterwitz. Hier unterbrach uns Schlegel, indem er sich beklagte, die Unzel- mann habe von Kunst doch keinen Begriff. Ich bin, sagte er, mit meinen Bemerkungen über ihre bedeutendsten Rollen ganz bei ihr durchgefallen, sie hat mich gar nicht verstanden, hat mir die dümm¬ sten Antworten gegeben, sie ist von keiner ihrer Rollen auch nur die kleinste Rechenschaft abzulegen fähig. Dies Letzte hatte Schack im zufälligen Annahen noch eben aufgeschnappt und antwortete sogleich: Ihr Herren Kritiker wollt auch zuviel! Die Unzelmann weiß Alles auf ihre Art, sie spielt's und bringt's auch leibhaftig vor Augen, und Ihr selbst bewundert sie darin; warum soll sie dasselbe nun auch auf Euere Art geben? Von der himmlischen Frau zu fordern, daß sie — pfui! — raisonniren soll, wie Ihr, ist gerade so, wie von Euch zu verlangen, daß Ihr spielen sollt, wie sie, — el, das wäre aber nicht pfui, sondern schön! — Brav, brav, lieber Schack! rief eine Stimme hinter ihm; es war Demoiselle Levin, die aufgestanden und von unserem lebhaft

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/720
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/720>, abgerufen am 01.07.2024.