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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Namen einen kurzen Abend ohne Gefahr seine Rolle übernehmen!
Aber, liebe Kleine, fuhr sie fort, wo haben Sie denn heute Ihre
Klugheit, daß Sie mich auf solche Leute verweisen? Denn sehen Sie
nur, auch Ihr Bruder will sich schon entschuldigen! Nicht nöthig,
nicht nöthig, lieber Robert, ich weiß, daß Sie für eine Louise bren¬
nen, -- da wird Ihnen schon werden, was Sie verdienen; nehmen
Sie sich nur in Acht, daß, wenn das Feuer aus Mangel an Nah¬
rung plötzlich erlischt, Sie nicht rathlos im Dunkeln stehen!

Brinkmann glaubte nun Raum für sich gewonnen zu haben und
suchte ihn eifrigst auszufüllen. Er richtete seine Worte bald an De-
moiselle Levin/bald an Madame Unzelmann, bald an beide zugleich.
Er sprach mit seltener Fertigkeit, flocht Ernst und Scherz durcheinan¬
der, witzelte mit guter Lärme; nur dünkte mir Alles, was er sagte,
etwas zu redselig, er schien es selbst zu fühlen und wurde nur im¬
mer redseliger. Demoiselle Levin schien resignirt, ihn anzuhören, ich
hörte ebenfalls zu, während Madame Unzelmann mit Schlegel nebenan
ein halblautes Gespräch führte.

Ludwig Robert näherte sich und machte seiner Schwester leise
Vorwürfe, daß der Abbe, der unleidliche Mensch, wieder da sei. Du
bist einzig! sagte sie mit rascher Aufwallung, als wenn er meine
Liebhaberei wäre! Will ich nicht verzweifeln, wenn er eintritt? Weine
ich nicht, wenn er ewig dableibt? Hast Du vergessen, wie ich zittere,
wenn man ihn nur nennt? Aber was soll ich machen? Wegweiser
kann ich ihn nicht und auch soll ihn bei mir Niemand mißhandeln
und verspotten, so wenig wie den Baron, der auch meiner ganzen
Bekanntschaft verhaßt, mir selbst ein Gräuel ist lind doch ewig
kommt.

Warum rufst Du ihn aber auch? sagte Robert lachend, indem
er nach der Thüre zeigte; und es trat wirklich in dem Augenblicke
ein Herr herein, dessen Ordensstern auf einen höheren Rang deutete;
ihm folgten unmittelbar zwei Offiziere, die ich als Herrn von Schack
und Herrn von Gualtieri begrüßen hörte. Der besternte Baron fetzte
die Wirthin offenbar in üble Laune, sie blickte die Gräfin neben ihr
mit tragischen Blicken an; was sagen Sie zu dem Unglück? lag
deutlich darin. Doch faßte sie sich gleich und sprach mit dem Un¬
willkommenen ohne Widrigkeit, noch Gleißnerei, ganz einfach und
ut.


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Namen einen kurzen Abend ohne Gefahr seine Rolle übernehmen!
Aber, liebe Kleine, fuhr sie fort, wo haben Sie denn heute Ihre
Klugheit, daß Sie mich auf solche Leute verweisen? Denn sehen Sie
nur, auch Ihr Bruder will sich schon entschuldigen! Nicht nöthig,
nicht nöthig, lieber Robert, ich weiß, daß Sie für eine Louise bren¬
nen, — da wird Ihnen schon werden, was Sie verdienen; nehmen
Sie sich nur in Acht, daß, wenn das Feuer aus Mangel an Nah¬
rung plötzlich erlischt, Sie nicht rathlos im Dunkeln stehen!

Brinkmann glaubte nun Raum für sich gewonnen zu haben und
suchte ihn eifrigst auszufüllen. Er richtete seine Worte bald an De-
moiselle Levin/bald an Madame Unzelmann, bald an beide zugleich.
Er sprach mit seltener Fertigkeit, flocht Ernst und Scherz durcheinan¬
der, witzelte mit guter Lärme; nur dünkte mir Alles, was er sagte,
etwas zu redselig, er schien es selbst zu fühlen und wurde nur im¬
mer redseliger. Demoiselle Levin schien resignirt, ihn anzuhören, ich
hörte ebenfalls zu, während Madame Unzelmann mit Schlegel nebenan
ein halblautes Gespräch führte.

Ludwig Robert näherte sich und machte seiner Schwester leise
Vorwürfe, daß der Abbe, der unleidliche Mensch, wieder da sei. Du
bist einzig! sagte sie mit rascher Aufwallung, als wenn er meine
Liebhaberei wäre! Will ich nicht verzweifeln, wenn er eintritt? Weine
ich nicht, wenn er ewig dableibt? Hast Du vergessen, wie ich zittere,
wenn man ihn nur nennt? Aber was soll ich machen? Wegweiser
kann ich ihn nicht und auch soll ihn bei mir Niemand mißhandeln
und verspotten, so wenig wie den Baron, der auch meiner ganzen
Bekanntschaft verhaßt, mir selbst ein Gräuel ist lind doch ewig
kommt.

Warum rufst Du ihn aber auch? sagte Robert lachend, indem
er nach der Thüre zeigte; und es trat wirklich in dem Augenblicke
ein Herr herein, dessen Ordensstern auf einen höheren Rang deutete;
ihm folgten unmittelbar zwei Offiziere, die ich als Herrn von Schack
und Herrn von Gualtieri begrüßen hörte. Der besternte Baron fetzte
die Wirthin offenbar in üble Laune, sie blickte die Gräfin neben ihr
mit tragischen Blicken an; was sagen Sie zu dem Unglück? lag
deutlich darin. Doch faßte sie sich gleich und sprach mit dem Un¬
willkommenen ohne Widrigkeit, noch Gleißnerei, ganz einfach und
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[0719] Namen einen kurzen Abend ohne Gefahr seine Rolle übernehmen! Aber, liebe Kleine, fuhr sie fort, wo haben Sie denn heute Ihre Klugheit, daß Sie mich auf solche Leute verweisen? Denn sehen Sie nur, auch Ihr Bruder will sich schon entschuldigen! Nicht nöthig, nicht nöthig, lieber Robert, ich weiß, daß Sie für eine Louise bren¬ nen, — da wird Ihnen schon werden, was Sie verdienen; nehmen Sie sich nur in Acht, daß, wenn das Feuer aus Mangel an Nah¬ rung plötzlich erlischt, Sie nicht rathlos im Dunkeln stehen! Brinkmann glaubte nun Raum für sich gewonnen zu haben und suchte ihn eifrigst auszufüllen. Er richtete seine Worte bald an De- moiselle Levin/bald an Madame Unzelmann, bald an beide zugleich. Er sprach mit seltener Fertigkeit, flocht Ernst und Scherz durcheinan¬ der, witzelte mit guter Lärme; nur dünkte mir Alles, was er sagte, etwas zu redselig, er schien es selbst zu fühlen und wurde nur im¬ mer redseliger. Demoiselle Levin schien resignirt, ihn anzuhören, ich hörte ebenfalls zu, während Madame Unzelmann mit Schlegel nebenan ein halblautes Gespräch führte. Ludwig Robert näherte sich und machte seiner Schwester leise Vorwürfe, daß der Abbe, der unleidliche Mensch, wieder da sei. Du bist einzig! sagte sie mit rascher Aufwallung, als wenn er meine Liebhaberei wäre! Will ich nicht verzweifeln, wenn er eintritt? Weine ich nicht, wenn er ewig dableibt? Hast Du vergessen, wie ich zittere, wenn man ihn nur nennt? Aber was soll ich machen? Wegweiser kann ich ihn nicht und auch soll ihn bei mir Niemand mißhandeln und verspotten, so wenig wie den Baron, der auch meiner ganzen Bekanntschaft verhaßt, mir selbst ein Gräuel ist lind doch ewig kommt. Warum rufst Du ihn aber auch? sagte Robert lachend, indem er nach der Thüre zeigte; und es trat wirklich in dem Augenblicke ein Herr herein, dessen Ordensstern auf einen höheren Rang deutete; ihm folgten unmittelbar zwei Offiziere, die ich als Herrn von Schack und Herrn von Gualtieri begrüßen hörte. Der besternte Baron fetzte die Wirthin offenbar in üble Laune, sie blickte die Gräfin neben ihr mit tragischen Blicken an; was sagen Sie zu dem Unglück? lag deutlich darin. Doch faßte sie sich gleich und sprach mit dem Un¬ willkommenen ohne Widrigkeit, noch Gleißnerei, ganz einfach und ut. 92»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/719>, abgerufen am 23.12.2024.