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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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(wirklich peripatctischen) dialogischen Reibung, eher in die Klemme
geriethe, als der scharfe dialektische Hegel. Darum setzt man auch be¬
sonders bei den jüngeren Professoren und Privatdocenten einigen Wi¬
derwillen gegen die neue Methode voraus; denn es dürfte unter den
dialogisirenden Hörern zuweilen eine ganz andere Wißbegier, als die
studentische, die Ohren spitzen. -- Die neue Methode wird von Oben
als eine den Docenten und Studirenden freigestellte bezeichnet; doch
sollen Jene, welche an den Nepetitorien nicht Theil nehmen, weder
Stipendien genießen, noch zum Examen zugelassen werden. Nach
welcher Logik? --

-- Man scheint überhaupt im Staate der Intelligenz damit um¬
zugehen, nicht nur eine neue Lehrmethode, sondern auch eine neue
christlich-germanische Logik einzuführen. Wir sprachen unlängst von
den zahlreichen Studentenauswcisungen in Preußen. Darunter ist ein
komischer Fall. Ein Student, der aus Breslau gebürtig und in
Königsberg, wo jetzt seine Eltern leben, erzogen ist, wurde aus Königs¬
berg verwiesen und in Breslau nicht geduldet. Er darf auch in kei¬
ner anderen Universitätsstadt, so lange er conciliirt ist, verweilen und
ist zum Vagabundiren angewiesen. Er wandte sich, mit Auseinan¬
dersetzung dieser Verhältnisse, an's Ministerium und erhielt den Be¬
scheid: man werde ihm nicht eher eine Universität zu besuchen er¬
lauben, bis er bewiesen habe, daß er sich auf der Universität gebüh¬
rend zu verhalten wisse. -- ! --

-- Ein Paar interessante Episoden ^sind in der Umgegend von
Paderborn vorgefallen. In Gehecke wurden nämlich die Wohnungen
der Juden gestürmt und demolirt, weil ein Geistlicher einen religions¬
lästerlichen Schmähbrief erhalten haben soll, der ohne Weiteres den
Juden zugeschrieben wurde. In dem benachbarten Orte Störmede
wurde dies schöne Beispiel nachgeahmt und dieselbe Tragikomödie auf¬
geführt. Die Juden leisteten natürlich keinen Widerstand, sondern
flüchteten und verbargen sich, fo daß wenigstens kein Menschenleben
verloren ging. Man erzählt, ein Gensdarm habe zugesehen, und als
Alles vorüber war, seien die Behörden erschienen, um das Schlacht¬
feld zu besehen und Vorbereitungen zu einer Untersuchung zu treffen.

-- Vom "verabschiedeten Lanzknecht" (Fürst Schwarzenberg) er¬
scheint wieder ein Band interessanter Memoiren, aus denen Villareal
(in diesem Hefte) eine kleine Probe bildet.




Verlag von Fr. Lndw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.

(wirklich peripatctischen) dialogischen Reibung, eher in die Klemme
geriethe, als der scharfe dialektische Hegel. Darum setzt man auch be¬
sonders bei den jüngeren Professoren und Privatdocenten einigen Wi¬
derwillen gegen die neue Methode voraus; denn es dürfte unter den
dialogisirenden Hörern zuweilen eine ganz andere Wißbegier, als die
studentische, die Ohren spitzen. — Die neue Methode wird von Oben
als eine den Docenten und Studirenden freigestellte bezeichnet; doch
sollen Jene, welche an den Nepetitorien nicht Theil nehmen, weder
Stipendien genießen, noch zum Examen zugelassen werden. Nach
welcher Logik? —

— Man scheint überhaupt im Staate der Intelligenz damit um¬
zugehen, nicht nur eine neue Lehrmethode, sondern auch eine neue
christlich-germanische Logik einzuführen. Wir sprachen unlängst von
den zahlreichen Studentenauswcisungen in Preußen. Darunter ist ein
komischer Fall. Ein Student, der aus Breslau gebürtig und in
Königsberg, wo jetzt seine Eltern leben, erzogen ist, wurde aus Königs¬
berg verwiesen und in Breslau nicht geduldet. Er darf auch in kei¬
ner anderen Universitätsstadt, so lange er conciliirt ist, verweilen und
ist zum Vagabundiren angewiesen. Er wandte sich, mit Auseinan¬
dersetzung dieser Verhältnisse, an's Ministerium und erhielt den Be¬
scheid: man werde ihm nicht eher eine Universität zu besuchen er¬
lauben, bis er bewiesen habe, daß er sich auf der Universität gebüh¬
rend zu verhalten wisse. — ! —

— Ein Paar interessante Episoden ^sind in der Umgegend von
Paderborn vorgefallen. In Gehecke wurden nämlich die Wohnungen
der Juden gestürmt und demolirt, weil ein Geistlicher einen religions¬
lästerlichen Schmähbrief erhalten haben soll, der ohne Weiteres den
Juden zugeschrieben wurde. In dem benachbarten Orte Störmede
wurde dies schöne Beispiel nachgeahmt und dieselbe Tragikomödie auf¬
geführt. Die Juden leisteten natürlich keinen Widerstand, sondern
flüchteten und verbargen sich, fo daß wenigstens kein Menschenleben
verloren ging. Man erzählt, ein Gensdarm habe zugesehen, und als
Alles vorüber war, seien die Behörden erschienen, um das Schlacht¬
feld zu besehen und Vorbereitungen zu einer Untersuchung zu treffen.

— Vom „verabschiedeten Lanzknecht" (Fürst Schwarzenberg) er¬
scheint wieder ein Band interessanter Memoiren, aus denen Villareal
(in diesem Hefte) eine kleine Probe bildet.




Verlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.
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[0708] (wirklich peripatctischen) dialogischen Reibung, eher in die Klemme geriethe, als der scharfe dialektische Hegel. Darum setzt man auch be¬ sonders bei den jüngeren Professoren und Privatdocenten einigen Wi¬ derwillen gegen die neue Methode voraus; denn es dürfte unter den dialogisirenden Hörern zuweilen eine ganz andere Wißbegier, als die studentische, die Ohren spitzen. — Die neue Methode wird von Oben als eine den Docenten und Studirenden freigestellte bezeichnet; doch sollen Jene, welche an den Nepetitorien nicht Theil nehmen, weder Stipendien genießen, noch zum Examen zugelassen werden. Nach welcher Logik? — — Man scheint überhaupt im Staate der Intelligenz damit um¬ zugehen, nicht nur eine neue Lehrmethode, sondern auch eine neue christlich-germanische Logik einzuführen. Wir sprachen unlängst von den zahlreichen Studentenauswcisungen in Preußen. Darunter ist ein komischer Fall. Ein Student, der aus Breslau gebürtig und in Königsberg, wo jetzt seine Eltern leben, erzogen ist, wurde aus Königs¬ berg verwiesen und in Breslau nicht geduldet. Er darf auch in kei¬ ner anderen Universitätsstadt, so lange er conciliirt ist, verweilen und ist zum Vagabundiren angewiesen. Er wandte sich, mit Auseinan¬ dersetzung dieser Verhältnisse, an's Ministerium und erhielt den Be¬ scheid: man werde ihm nicht eher eine Universität zu besuchen er¬ lauben, bis er bewiesen habe, daß er sich auf der Universität gebüh¬ rend zu verhalten wisse. — ! — — Ein Paar interessante Episoden ^sind in der Umgegend von Paderborn vorgefallen. In Gehecke wurden nämlich die Wohnungen der Juden gestürmt und demolirt, weil ein Geistlicher einen religions¬ lästerlichen Schmähbrief erhalten haben soll, der ohne Weiteres den Juden zugeschrieben wurde. In dem benachbarten Orte Störmede wurde dies schöne Beispiel nachgeahmt und dieselbe Tragikomödie auf¬ geführt. Die Juden leisteten natürlich keinen Widerstand, sondern flüchteten und verbargen sich, fo daß wenigstens kein Menschenleben verloren ging. Man erzählt, ein Gensdarm habe zugesehen, und als Alles vorüber war, seien die Behörden erschienen, um das Schlacht¬ feld zu besehen und Vorbereitungen zu einer Untersuchung zu treffen. — Vom „verabschiedeten Lanzknecht" (Fürst Schwarzenberg) er¬ scheint wieder ein Band interessanter Memoiren, aus denen Villareal (in diesem Hefte) eine kleine Probe bildet. Verlag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/708>, abgerufen am 01.07.2024.