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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Ich nannte eben den Namen Hormayr. Der dritte Band sei¬
ner "Lebensbilder aus dem Befreiungskriege", wiewohl er meist nur
Actenstücke enthalt, macht dennoch in allen hiesigen Kreisen so großes
Aufsehen, wie die beiden ersten Bände. Die heftige Polemik gegen
das ganze Haus Habsburg und das Lob, welches dem baierischen
Königshause gezollt wird, ist zwar etwas plump und zeigt, daß Herr
von Hormayr sich in München angenehm machen will. Allein, gerade,
daß er sich dieses Mittels bedienen darf, ist charakteristisch, um so
mehr, da Hormayr in baierischen Staatsdiensten steht und (was viel¬
leicht Wenige wissen) die bedeutendsten Documente, die er in diesem
Bande abdrucken ließ, im Original dem König Ludwig überreicht hat,
damit man ihn nicht wieder des Unterschiebens unechter Urkunden an¬
klagen könne. Daß gerade ein solches Buch in dem Momente erscheinen
mußte, wo König Ludwig öffentlich im Theater den Erzherzog Karl
umarmte und in Regensburg in die Walhalla unter obligater Beglei¬
tung selbstgedichteter Dichtungen führte -- ist ein satyrischer Streich
des Anfalls. Der Zufall war nie ein Diplomat; daß aber Herr von
Hormayr, der auf diesen Titel Anspruch macht, gerade in demselben
Augenblicke nach München kommt, ist hier Keinem entgangen. Auch
noch ein anderer kleiner Umstand ist bemerkt worden. Die Augsbur¬
ger Allgemeine Zeitung hat bald nach dem Erscheinen des erwähnten
Buches einen lobenden Artikel über dasselbe gebracht, einen Auszug
aus der Weser-Zeitung. (Die Weserzeitung erscheint in Bremen, wo
Herr von Hormayr Ministerresident ist.) Gewiß, unsere loyale Freun¬
din, die getreue Augsburger, hat alle Ursache und alle Lust, uns zu
schonen; ein Buch, das der österreichischen Regierung mißliebig ist,
wird gewiß von ihr ignorirt, oder in ihren Spalten die gründlichste (!)
Widerlegung finden. Wie kommt es, daß sie gerade bei diesem Buche
eine Ausnahme machte? Aus eigenem Antriebe hat sie es gewiß nicht
gethan, wer war nun die einflußreiche Hand, welche diese Reclame in
ihre Spalten brachte? --'

Im Ganzen ist dem Hormayrschen Buche nicht beizukommen,
Aktenstücke können nicht abgeläugnet werden. Leidenschaftlichkeit und
wohlgefällige Selbstbespiegelung sind allerdings sehr in dem Buche
vorherrschend. Allein in welchen Memoiren ist dies nicht der Fall?
Die Wahrheit gewisser historischer Momente ist nur durch das An¬
hören verschiedener Stimmen zu erörtern möglich. Will man hiesiger
Seits Eindrücke, wie das erwähnte Buch sie hervorbringt, schwächen,
so erlaube man andere Memoiren von Oesterreichern, die in jenen
Zeiten wichtige Rollen gespielt haben, zu publiciren. Oesterreich hat
genug lichte Momente und glänzende Charaktere und viele Pa¬
piere wichtiger Männer sind vorbereitet, die der Öf¬
fentlichkeit entgegen sehen. Nur muß man nicht verlangen,
daß derlei Papiere die Wahrheit da verschweigen sollen, wo sie herb


Ich nannte eben den Namen Hormayr. Der dritte Band sei¬
ner „Lebensbilder aus dem Befreiungskriege", wiewohl er meist nur
Actenstücke enthalt, macht dennoch in allen hiesigen Kreisen so großes
Aufsehen, wie die beiden ersten Bände. Die heftige Polemik gegen
das ganze Haus Habsburg und das Lob, welches dem baierischen
Königshause gezollt wird, ist zwar etwas plump und zeigt, daß Herr
von Hormayr sich in München angenehm machen will. Allein, gerade,
daß er sich dieses Mittels bedienen darf, ist charakteristisch, um so
mehr, da Hormayr in baierischen Staatsdiensten steht und (was viel¬
leicht Wenige wissen) die bedeutendsten Documente, die er in diesem
Bande abdrucken ließ, im Original dem König Ludwig überreicht hat,
damit man ihn nicht wieder des Unterschiebens unechter Urkunden an¬
klagen könne. Daß gerade ein solches Buch in dem Momente erscheinen
mußte, wo König Ludwig öffentlich im Theater den Erzherzog Karl
umarmte und in Regensburg in die Walhalla unter obligater Beglei¬
tung selbstgedichteter Dichtungen führte — ist ein satyrischer Streich
des Anfalls. Der Zufall war nie ein Diplomat; daß aber Herr von
Hormayr, der auf diesen Titel Anspruch macht, gerade in demselben
Augenblicke nach München kommt, ist hier Keinem entgangen. Auch
noch ein anderer kleiner Umstand ist bemerkt worden. Die Augsbur¬
ger Allgemeine Zeitung hat bald nach dem Erscheinen des erwähnten
Buches einen lobenden Artikel über dasselbe gebracht, einen Auszug
aus der Weser-Zeitung. (Die Weserzeitung erscheint in Bremen, wo
Herr von Hormayr Ministerresident ist.) Gewiß, unsere loyale Freun¬
din, die getreue Augsburger, hat alle Ursache und alle Lust, uns zu
schonen; ein Buch, das der österreichischen Regierung mißliebig ist,
wird gewiß von ihr ignorirt, oder in ihren Spalten die gründlichste (!)
Widerlegung finden. Wie kommt es, daß sie gerade bei diesem Buche
eine Ausnahme machte? Aus eigenem Antriebe hat sie es gewiß nicht
gethan, wer war nun die einflußreiche Hand, welche diese Reclame in
ihre Spalten brachte? —'

Im Ganzen ist dem Hormayrschen Buche nicht beizukommen,
Aktenstücke können nicht abgeläugnet werden. Leidenschaftlichkeit und
wohlgefällige Selbstbespiegelung sind allerdings sehr in dem Buche
vorherrschend. Allein in welchen Memoiren ist dies nicht der Fall?
Die Wahrheit gewisser historischer Momente ist nur durch das An¬
hören verschiedener Stimmen zu erörtern möglich. Will man hiesiger
Seits Eindrücke, wie das erwähnte Buch sie hervorbringt, schwächen,
so erlaube man andere Memoiren von Oesterreichern, die in jenen
Zeiten wichtige Rollen gespielt haben, zu publiciren. Oesterreich hat
genug lichte Momente und glänzende Charaktere und viele Pa¬
piere wichtiger Männer sind vorbereitet, die der Öf¬
fentlichkeit entgegen sehen. Nur muß man nicht verlangen,
daß derlei Papiere die Wahrheit da verschweigen sollen, wo sie herb


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[0704] Ich nannte eben den Namen Hormayr. Der dritte Band sei¬ ner „Lebensbilder aus dem Befreiungskriege", wiewohl er meist nur Actenstücke enthalt, macht dennoch in allen hiesigen Kreisen so großes Aufsehen, wie die beiden ersten Bände. Die heftige Polemik gegen das ganze Haus Habsburg und das Lob, welches dem baierischen Königshause gezollt wird, ist zwar etwas plump und zeigt, daß Herr von Hormayr sich in München angenehm machen will. Allein, gerade, daß er sich dieses Mittels bedienen darf, ist charakteristisch, um so mehr, da Hormayr in baierischen Staatsdiensten steht und (was viel¬ leicht Wenige wissen) die bedeutendsten Documente, die er in diesem Bande abdrucken ließ, im Original dem König Ludwig überreicht hat, damit man ihn nicht wieder des Unterschiebens unechter Urkunden an¬ klagen könne. Daß gerade ein solches Buch in dem Momente erscheinen mußte, wo König Ludwig öffentlich im Theater den Erzherzog Karl umarmte und in Regensburg in die Walhalla unter obligater Beglei¬ tung selbstgedichteter Dichtungen führte — ist ein satyrischer Streich des Anfalls. Der Zufall war nie ein Diplomat; daß aber Herr von Hormayr, der auf diesen Titel Anspruch macht, gerade in demselben Augenblicke nach München kommt, ist hier Keinem entgangen. Auch noch ein anderer kleiner Umstand ist bemerkt worden. Die Augsbur¬ ger Allgemeine Zeitung hat bald nach dem Erscheinen des erwähnten Buches einen lobenden Artikel über dasselbe gebracht, einen Auszug aus der Weser-Zeitung. (Die Weserzeitung erscheint in Bremen, wo Herr von Hormayr Ministerresident ist.) Gewiß, unsere loyale Freun¬ din, die getreue Augsburger, hat alle Ursache und alle Lust, uns zu schonen; ein Buch, das der österreichischen Regierung mißliebig ist, wird gewiß von ihr ignorirt, oder in ihren Spalten die gründlichste (!) Widerlegung finden. Wie kommt es, daß sie gerade bei diesem Buche eine Ausnahme machte? Aus eigenem Antriebe hat sie es gewiß nicht gethan, wer war nun die einflußreiche Hand, welche diese Reclame in ihre Spalten brachte? —' Im Ganzen ist dem Hormayrschen Buche nicht beizukommen, Aktenstücke können nicht abgeläugnet werden. Leidenschaftlichkeit und wohlgefällige Selbstbespiegelung sind allerdings sehr in dem Buche vorherrschend. Allein in welchen Memoiren ist dies nicht der Fall? Die Wahrheit gewisser historischer Momente ist nur durch das An¬ hören verschiedener Stimmen zu erörtern möglich. Will man hiesiger Seits Eindrücke, wie das erwähnte Buch sie hervorbringt, schwächen, so erlaube man andere Memoiren von Oesterreichern, die in jenen Zeiten wichtige Rollen gespielt haben, zu publiciren. Oesterreich hat genug lichte Momente und glänzende Charaktere und viele Pa¬ piere wichtiger Männer sind vorbereitet, die der Öf¬ fentlichkeit entgegen sehen. Nur muß man nicht verlangen, daß derlei Papiere die Wahrheit da verschweigen sollen, wo sie herb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/704>, abgerufen am 21.12.2024.