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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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zu sehen. Bei uns in Deutschland hätten sie die versammelte Menge
kreuz und quer gestoßen, hätten dadurch Unwillen und Tumult er¬
regt, und hätten zum Schlüsse einige Leute arretirt. Es läßt sich
nicht läugnen, daß Deutschland das Institut der Gensdarmen, wenn
auch nicht erfunden, doch sehr vervollkommnet hat. Und die Tau¬
sende, von aller Polizei entblößten Schweden benahmen sich so sittig,
so still, als ob sie in der Kirche wären -- ich will's nur gestehen,
ich hätte sie sogar etwas lauter gewünscht.

Aber ich rechnete die tiefe Schweigsamkeit dem erwartungsvollen
Schauer zu, der sich bei solchen Gelegenheiten wohl einzustellen Pflegt,
und dachte: geht der Spaß nur erst los, dann hat die Ruhe gewiß
ihr Ende erreicht. -- Werden die Par-Bricoler bald kommen?
fragte Einer den Andern, und plötzlich rauschte ein Murmeln und
Wogen durch'S Volk -- sie kamen. Wie von selbst bildete sich eine
Gasse in dem Gewühl, daß der Zug ungehindert zu Bcllmann'ö
Bildsäule gelangen konnte. Voran ging Graf Levenhaupt, der Ober¬
statthalter von Stockholm, in voller Uniform, mit blau und gelben,
Federbusch. Ein Herr begleitete ihn, und die Uebrigen folgten paar¬
weis, doch nicht etwa in feierlich schwarzer Kleidung, sondern dunkel
und hell durcheinander, wie es Jedem behagte. Sie stellten sich vor
der Büste auf, und ick war fest überzeugt, daß es jetzt anfangen
würde; allein es geschah noch immer Nichts, nur das Orchester be-
gann zu spielen. Mit einem zweiten, das sich entfernter, hinter einem
Hügel versteckt, gelagert hatte, trug dasselbe abwechselnd Bellmann'-
sche Tonstücke vor. Anmuthige, bald heiter tändelnde, bald süß weh¬
müthige Melodien waren es, aber alle hatten einen rein volksthüm-
lichen Charakter, und es zuckte auch freudige Bewegung durch die
Versammelten hin.

Man merkte es indeß den Par-Bricole-Brüdern wohl an, daß
sie noch etwas erwarteten .... da flogen die Hüte und Mützen
von allen Köpfen, ein Vorreiter suchte Raum zu gewinnen, und die
Königin, eine bejahrte, aber muntere Frau, fuhr im offenen Wagen
bis dicht an den Festplatz. Der Oberstatthalter trat an den Schlag,
und die Fürstin unterhielt sich lange mit ihm. Endlich ging er wie¬
der zu der Büste und ich war gespannt, denn jetzt oder nie mußte
die eigentliche Feier ihren Anfang nehmen. Allein noch immer ge¬
schah Nichts; es ertönte keine Rede, kein Toast, kein Lebehoch. Tiefer


zu sehen. Bei uns in Deutschland hätten sie die versammelte Menge
kreuz und quer gestoßen, hätten dadurch Unwillen und Tumult er¬
regt, und hätten zum Schlüsse einige Leute arretirt. Es läßt sich
nicht läugnen, daß Deutschland das Institut der Gensdarmen, wenn
auch nicht erfunden, doch sehr vervollkommnet hat. Und die Tau¬
sende, von aller Polizei entblößten Schweden benahmen sich so sittig,
so still, als ob sie in der Kirche wären — ich will's nur gestehen,
ich hätte sie sogar etwas lauter gewünscht.

Aber ich rechnete die tiefe Schweigsamkeit dem erwartungsvollen
Schauer zu, der sich bei solchen Gelegenheiten wohl einzustellen Pflegt,
und dachte: geht der Spaß nur erst los, dann hat die Ruhe gewiß
ihr Ende erreicht. — Werden die Par-Bricoler bald kommen?
fragte Einer den Andern, und plötzlich rauschte ein Murmeln und
Wogen durch'S Volk — sie kamen. Wie von selbst bildete sich eine
Gasse in dem Gewühl, daß der Zug ungehindert zu Bcllmann'ö
Bildsäule gelangen konnte. Voran ging Graf Levenhaupt, der Ober¬
statthalter von Stockholm, in voller Uniform, mit blau und gelben,
Federbusch. Ein Herr begleitete ihn, und die Uebrigen folgten paar¬
weis, doch nicht etwa in feierlich schwarzer Kleidung, sondern dunkel
und hell durcheinander, wie es Jedem behagte. Sie stellten sich vor
der Büste auf, und ick war fest überzeugt, daß es jetzt anfangen
würde; allein es geschah noch immer Nichts, nur das Orchester be-
gann zu spielen. Mit einem zweiten, das sich entfernter, hinter einem
Hügel versteckt, gelagert hatte, trug dasselbe abwechselnd Bellmann'-
sche Tonstücke vor. Anmuthige, bald heiter tändelnde, bald süß weh¬
müthige Melodien waren es, aber alle hatten einen rein volksthüm-
lichen Charakter, und es zuckte auch freudige Bewegung durch die
Versammelten hin.

Man merkte es indeß den Par-Bricole-Brüdern wohl an, daß
sie noch etwas erwarteten .... da flogen die Hüte und Mützen
von allen Köpfen, ein Vorreiter suchte Raum zu gewinnen, und die
Königin, eine bejahrte, aber muntere Frau, fuhr im offenen Wagen
bis dicht an den Festplatz. Der Oberstatthalter trat an den Schlag,
und die Fürstin unterhielt sich lange mit ihm. Endlich ging er wie¬
der zu der Büste und ich war gespannt, denn jetzt oder nie mußte
die eigentliche Feier ihren Anfang nehmen. Allein noch immer ge¬
schah Nichts; es ertönte keine Rede, kein Toast, kein Lebehoch. Tiefer


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[0682] zu sehen. Bei uns in Deutschland hätten sie die versammelte Menge kreuz und quer gestoßen, hätten dadurch Unwillen und Tumult er¬ regt, und hätten zum Schlüsse einige Leute arretirt. Es läßt sich nicht läugnen, daß Deutschland das Institut der Gensdarmen, wenn auch nicht erfunden, doch sehr vervollkommnet hat. Und die Tau¬ sende, von aller Polizei entblößten Schweden benahmen sich so sittig, so still, als ob sie in der Kirche wären — ich will's nur gestehen, ich hätte sie sogar etwas lauter gewünscht. Aber ich rechnete die tiefe Schweigsamkeit dem erwartungsvollen Schauer zu, der sich bei solchen Gelegenheiten wohl einzustellen Pflegt, und dachte: geht der Spaß nur erst los, dann hat die Ruhe gewiß ihr Ende erreicht. — Werden die Par-Bricoler bald kommen? fragte Einer den Andern, und plötzlich rauschte ein Murmeln und Wogen durch'S Volk — sie kamen. Wie von selbst bildete sich eine Gasse in dem Gewühl, daß der Zug ungehindert zu Bcllmann'ö Bildsäule gelangen konnte. Voran ging Graf Levenhaupt, der Ober¬ statthalter von Stockholm, in voller Uniform, mit blau und gelben, Federbusch. Ein Herr begleitete ihn, und die Uebrigen folgten paar¬ weis, doch nicht etwa in feierlich schwarzer Kleidung, sondern dunkel und hell durcheinander, wie es Jedem behagte. Sie stellten sich vor der Büste auf, und ick war fest überzeugt, daß es jetzt anfangen würde; allein es geschah noch immer Nichts, nur das Orchester be- gann zu spielen. Mit einem zweiten, das sich entfernter, hinter einem Hügel versteckt, gelagert hatte, trug dasselbe abwechselnd Bellmann'- sche Tonstücke vor. Anmuthige, bald heiter tändelnde, bald süß weh¬ müthige Melodien waren es, aber alle hatten einen rein volksthüm- lichen Charakter, und es zuckte auch freudige Bewegung durch die Versammelten hin. Man merkte es indeß den Par-Bricole-Brüdern wohl an, daß sie noch etwas erwarteten .... da flogen die Hüte und Mützen von allen Köpfen, ein Vorreiter suchte Raum zu gewinnen, und die Königin, eine bejahrte, aber muntere Frau, fuhr im offenen Wagen bis dicht an den Festplatz. Der Oberstatthalter trat an den Schlag, und die Fürstin unterhielt sich lange mit ihm. Endlich ging er wie¬ der zu der Büste und ich war gespannt, denn jetzt oder nie mußte die eigentliche Feier ihren Anfang nehmen. Allein noch immer ge¬ schah Nichts; es ertönte keine Rede, kein Toast, kein Lebehoch. Tiefer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/682>, abgerufen am 22.12.2024.