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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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lüsternen Mund, und es kleidet ihn gut, daß er mit Weinlaub be¬
kränzt ist. Hinter dem Standbilde war ein erhöhtes Orchester und
vor demselben befand sich ein freier Raum, aber noch sah man keine
bestimmten Anstalten zu einer Feierlichkeit.

Der Tag wurde bis jetzt nur noch drüben im Salon der Re¬
stauration von einem Kreise eingeweihter Männer mit Gesang und
Gläserklang gefeiert. Die Gesellschaft Par-Bricole, deren Stifter
Bellmann gewesen, hält nämlich ein wie allemal im Thiergarten ein
fröhliches Mahl und erst nach der Tafel beginnt das Fest. So sagte
mir mein Nachbar, ein Schwede von trefflicher Bildung, und ich
fragte ihn, was denn eigentlich der Zweck dieses Vereines sei. Das
wisse man nicht, raunte er mir in's Ohr, doch so viel sei gewiß: die
Neophyten erhalten ein Ordensband, woran sich ein kleiner Trichter
befindet. Sie müssen auch tüchtige Trinkproben bestehen, ehe sie zu
den höheren Graden gelangen können, und sie glauben deshalb ge¬
wöhnlich, die ganze Tendenz ziele auf Bacchanalien hinaus. Wenn
sie aber tiefer eingeweiht werden, so erfahren sie wohl, daß es des
Ordens Absicht ist, die freimaurerischen Cleusinien aufs Allerernsthaf-
teste zu persiffliren.

Unabsehbar waren bereits die rothen Hügelwellen des Granits
ringsum mit buntem Menschengewühl überschüttet, und doch wallten
immer neue Massen noch heran. Zu Fuß und zu Pferde, in Cabrio¬
lets, Halbwagen und glänzenden Carossen kamen die Leute; kein
Stand°fehlte in dem farbenreichen Gemisch. Die Gräfin mit wallen¬
der Straußenfeder auf dem Hut; das Dienstmädchen, ihr Tüchlein
I" Fanchon um's hübsche Antlitz geknüpft; der flotte None und
der fleißige Bürger; der reiche Kaufmann und der arme Lastträger
-- sie alle hatten sich versammelt, die Feier ihres Lieblingsdichters
begehen zu helfen. Das eben zeigt von der überwältigenden Poesie,
die in seinen Liedern naht, daß sie jedem Schweden, welche Bil¬
dungsstufe derselbe auch einnehmen mag, gleich werth und theuer
sind.

Immer enger schoben sich die einzelnen interessanten Gruppen
an einander, je größer die Zahl der Herzuströmenden war, und Wa¬
gen. Menschen, Pferde, das Alles stand zuletzt so dichtgedrängt, daß
auch nicht ein Fleckchen Erdboden mehr hervorschimmerte. Und dabei
war -- mirabile äictu! -- nirgendwo ein Polizist oder Gensdarm


lüsternen Mund, und es kleidet ihn gut, daß er mit Weinlaub be¬
kränzt ist. Hinter dem Standbilde war ein erhöhtes Orchester und
vor demselben befand sich ein freier Raum, aber noch sah man keine
bestimmten Anstalten zu einer Feierlichkeit.

Der Tag wurde bis jetzt nur noch drüben im Salon der Re¬
stauration von einem Kreise eingeweihter Männer mit Gesang und
Gläserklang gefeiert. Die Gesellschaft Par-Bricole, deren Stifter
Bellmann gewesen, hält nämlich ein wie allemal im Thiergarten ein
fröhliches Mahl und erst nach der Tafel beginnt das Fest. So sagte
mir mein Nachbar, ein Schwede von trefflicher Bildung, und ich
fragte ihn, was denn eigentlich der Zweck dieses Vereines sei. Das
wisse man nicht, raunte er mir in's Ohr, doch so viel sei gewiß: die
Neophyten erhalten ein Ordensband, woran sich ein kleiner Trichter
befindet. Sie müssen auch tüchtige Trinkproben bestehen, ehe sie zu
den höheren Graden gelangen können, und sie glauben deshalb ge¬
wöhnlich, die ganze Tendenz ziele auf Bacchanalien hinaus. Wenn
sie aber tiefer eingeweiht werden, so erfahren sie wohl, daß es des
Ordens Absicht ist, die freimaurerischen Cleusinien aufs Allerernsthaf-
teste zu persiffliren.

Unabsehbar waren bereits die rothen Hügelwellen des Granits
ringsum mit buntem Menschengewühl überschüttet, und doch wallten
immer neue Massen noch heran. Zu Fuß und zu Pferde, in Cabrio¬
lets, Halbwagen und glänzenden Carossen kamen die Leute; kein
Stand°fehlte in dem farbenreichen Gemisch. Die Gräfin mit wallen¬
der Straußenfeder auf dem Hut; das Dienstmädchen, ihr Tüchlein
I» Fanchon um's hübsche Antlitz geknüpft; der flotte None und
der fleißige Bürger; der reiche Kaufmann und der arme Lastträger
— sie alle hatten sich versammelt, die Feier ihres Lieblingsdichters
begehen zu helfen. Das eben zeigt von der überwältigenden Poesie,
die in seinen Liedern naht, daß sie jedem Schweden, welche Bil¬
dungsstufe derselbe auch einnehmen mag, gleich werth und theuer
sind.

Immer enger schoben sich die einzelnen interessanten Gruppen
an einander, je größer die Zahl der Herzuströmenden war, und Wa¬
gen. Menschen, Pferde, das Alles stand zuletzt so dichtgedrängt, daß
auch nicht ein Fleckchen Erdboden mehr hervorschimmerte. Und dabei
war — mirabile äictu! — nirgendwo ein Polizist oder Gensdarm


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[0681] lüsternen Mund, und es kleidet ihn gut, daß er mit Weinlaub be¬ kränzt ist. Hinter dem Standbilde war ein erhöhtes Orchester und vor demselben befand sich ein freier Raum, aber noch sah man keine bestimmten Anstalten zu einer Feierlichkeit. Der Tag wurde bis jetzt nur noch drüben im Salon der Re¬ stauration von einem Kreise eingeweihter Männer mit Gesang und Gläserklang gefeiert. Die Gesellschaft Par-Bricole, deren Stifter Bellmann gewesen, hält nämlich ein wie allemal im Thiergarten ein fröhliches Mahl und erst nach der Tafel beginnt das Fest. So sagte mir mein Nachbar, ein Schwede von trefflicher Bildung, und ich fragte ihn, was denn eigentlich der Zweck dieses Vereines sei. Das wisse man nicht, raunte er mir in's Ohr, doch so viel sei gewiß: die Neophyten erhalten ein Ordensband, woran sich ein kleiner Trichter befindet. Sie müssen auch tüchtige Trinkproben bestehen, ehe sie zu den höheren Graden gelangen können, und sie glauben deshalb ge¬ wöhnlich, die ganze Tendenz ziele auf Bacchanalien hinaus. Wenn sie aber tiefer eingeweiht werden, so erfahren sie wohl, daß es des Ordens Absicht ist, die freimaurerischen Cleusinien aufs Allerernsthaf- teste zu persiffliren. Unabsehbar waren bereits die rothen Hügelwellen des Granits ringsum mit buntem Menschengewühl überschüttet, und doch wallten immer neue Massen noch heran. Zu Fuß und zu Pferde, in Cabrio¬ lets, Halbwagen und glänzenden Carossen kamen die Leute; kein Stand°fehlte in dem farbenreichen Gemisch. Die Gräfin mit wallen¬ der Straußenfeder auf dem Hut; das Dienstmädchen, ihr Tüchlein I» Fanchon um's hübsche Antlitz geknüpft; der flotte None und der fleißige Bürger; der reiche Kaufmann und der arme Lastträger — sie alle hatten sich versammelt, die Feier ihres Lieblingsdichters begehen zu helfen. Das eben zeigt von der überwältigenden Poesie, die in seinen Liedern naht, daß sie jedem Schweden, welche Bil¬ dungsstufe derselbe auch einnehmen mag, gleich werth und theuer sind. Immer enger schoben sich die einzelnen interessanten Gruppen an einander, je größer die Zahl der Herzuströmenden war, und Wa¬ gen. Menschen, Pferde, das Alles stand zuletzt so dichtgedrängt, daß auch nicht ein Fleckchen Erdboden mehr hervorschimmerte. Und dabei war — mirabile äictu! — nirgendwo ein Polizist oder Gensdarm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/681>, abgerufen am 01.07.2024.