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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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neue, welches nur bei undeutschen, schwindelköpsigen Völkern den
Ausschlag zu geben pflegt; -- auch nicht etwa Durst, nicht die fri¬
vole, die bestiale Leidenschaft des Trinkens; denn das Münchener
Volk nährt sich von diesem gediegenen, echt deutschen Trank, wie das
Kind von dem Quell der Mutterbrust; das Bier wird dort -- geges¬
sen. Diese stillende, nahrhafte Speise ist auch nicht ohne Einfluß
auf Geist und Gemüth; sie gibt das kindliche Temperament, den be¬
sonnenen Schritt und die gesetzte Haltung. Und dennoch eine Revo¬
lution! Dies beweist nur, daß man auch Kinder nicht ungestraft rei¬
zen darf, daß man sich hüten soll, das Heiligste anzutasten. Eine
traurige Erfahrung ist es allerdings, wie man selbst in so väterlich
ängstlich behüteten Ländern vor den Erdbebcnstößen der Zeit nicht si¬
cher ist. Gerade dort, wo wenig raisonnirt^ noch weniger gelesen und
noch viel weniger gedacht wird; wo keine rindviehmörderischc Zweck-
essen und freche Vivats, keine Studentenversammlungen am hellen,
lichten Tage, keine subversive Judenjungenjournalistik, keine Preßfrei-
heitspetitionen, keine Oeffentlichkeit-Mündlichkeitsbegierden und got¬
teslästerliche Philosopheme vorkommen --- dort brechen die Symp¬
tome der politischen Wasserscheu, des anarchischen Wahnsinns, ja des
Communismus aus! -- Die Bürgerschaft selbst wird übrigens
von der Münchner politischen Zeitung von jedem Verdacht einer Theil¬
nahme an dieser Biergahrung freigesprochen: sie hat blos zugesehen.
Auch die Studentenschaft ist belobt worden, weil sie während der Un¬
ruhen sich ganz ruhig verhalten. Ein romantischer Zufall fügte es,
daß der Hof gerade hohe Gaste hatte. Der Held von Aspern wurde,
nachdem die aufruhrtobende Stadt, gleichsam ihm zur Feier, ihr Fest¬
spiel improvisirt hatte, nach Regensburg in die Walhalla geleitet, wo
ihn ein vom König Ludwig selbst gedichteter "Bardenchor" als einen
der ausgezeichnetsten'Teutschen empfing, der einst in Erz und in be¬
ster Gesellschaft (hoffentliK neben den meisten jetzt lebenden Bundcs-
tagsfürsten) die Ruymesh'a'lie schmücken werde.

"
-- Lauspässe^"giab man in frühern Zeiten -- wir wissen nicht,
ob sie noch üblich sind -- solchen Soldaten, die wegen moralischer
Untauglichkeit aus dem Dienst entlassen werden mußten. Ein Mensch
mit dem Laufpaß war gezwungen, an seinem Geburtsort zu bleiben,
wo er unter polizeilicher Aufsicht stand; anderswo war er wie der
ewige Jude; nirgends erhielt er bleibenden Aufenthalt. Man sollte
es nicht glauben, allein es ist faktisch, daß im freien und einigen
Deutschland manchem Studenten ein guter, giltiger und formgerechter
Paß ausgestellt wird, der ihm trotzdem dieselben Wohlthaten erwirkt,
wie ein Laufpaß dem weggejagten Soldaten, dem notorischen Vaga¬
bunden. Wir sprechen aus eigner Anschauung. Es hat z. B. ein
Student, ein geborner Preuße, in Berlin die Frechheit gehabt, ein


neue, welches nur bei undeutschen, schwindelköpsigen Völkern den
Ausschlag zu geben pflegt; — auch nicht etwa Durst, nicht die fri¬
vole, die bestiale Leidenschaft des Trinkens; denn das Münchener
Volk nährt sich von diesem gediegenen, echt deutschen Trank, wie das
Kind von dem Quell der Mutterbrust; das Bier wird dort — geges¬
sen. Diese stillende, nahrhafte Speise ist auch nicht ohne Einfluß
auf Geist und Gemüth; sie gibt das kindliche Temperament, den be¬
sonnenen Schritt und die gesetzte Haltung. Und dennoch eine Revo¬
lution! Dies beweist nur, daß man auch Kinder nicht ungestraft rei¬
zen darf, daß man sich hüten soll, das Heiligste anzutasten. Eine
traurige Erfahrung ist es allerdings, wie man selbst in so väterlich
ängstlich behüteten Ländern vor den Erdbebcnstößen der Zeit nicht si¬
cher ist. Gerade dort, wo wenig raisonnirt^ noch weniger gelesen und
noch viel weniger gedacht wird; wo keine rindviehmörderischc Zweck-
essen und freche Vivats, keine Studentenversammlungen am hellen,
lichten Tage, keine subversive Judenjungenjournalistik, keine Preßfrei-
heitspetitionen, keine Oeffentlichkeit-Mündlichkeitsbegierden und got¬
teslästerliche Philosopheme vorkommen —- dort brechen die Symp¬
tome der politischen Wasserscheu, des anarchischen Wahnsinns, ja des
Communismus aus! — Die Bürgerschaft selbst wird übrigens
von der Münchner politischen Zeitung von jedem Verdacht einer Theil¬
nahme an dieser Biergahrung freigesprochen: sie hat blos zugesehen.
Auch die Studentenschaft ist belobt worden, weil sie während der Un¬
ruhen sich ganz ruhig verhalten. Ein romantischer Zufall fügte es,
daß der Hof gerade hohe Gaste hatte. Der Held von Aspern wurde,
nachdem die aufruhrtobende Stadt, gleichsam ihm zur Feier, ihr Fest¬
spiel improvisirt hatte, nach Regensburg in die Walhalla geleitet, wo
ihn ein vom König Ludwig selbst gedichteter „Bardenchor" als einen
der ausgezeichnetsten'Teutschen empfing, der einst in Erz und in be¬
ster Gesellschaft (hoffentliK neben den meisten jetzt lebenden Bundcs-
tagsfürsten) die Ruymesh'a'lie schmücken werde.

»
— Lauspässe^«giab man in frühern Zeiten — wir wissen nicht,
ob sie noch üblich sind — solchen Soldaten, die wegen moralischer
Untauglichkeit aus dem Dienst entlassen werden mußten. Ein Mensch
mit dem Laufpaß war gezwungen, an seinem Geburtsort zu bleiben,
wo er unter polizeilicher Aufsicht stand; anderswo war er wie der
ewige Jude; nirgends erhielt er bleibenden Aufenthalt. Man sollte
es nicht glauben, allein es ist faktisch, daß im freien und einigen
Deutschland manchem Studenten ein guter, giltiger und formgerechter
Paß ausgestellt wird, der ihm trotzdem dieselben Wohlthaten erwirkt,
wie ein Laufpaß dem weggejagten Soldaten, dem notorischen Vaga¬
bunden. Wir sprechen aus eigner Anschauung. Es hat z. B. ein
Student, ein geborner Preuße, in Berlin die Frechheit gehabt, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/674>, abgerufen am 01.07.2024.