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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Lutzer vermählt hat (sie bringt ihm, nebst dem Silbergehalt ihrer
Stimme, si. 100,600 klingenden Silbers als Mitgift). Aber es stand
nicht in der allgemeinen Zeitung, daß der orthodoxe Pfarrer bei Se.
Peter in der Stadt, unmittelbar vor der Trauung, der Braut es
scharf zu Gemüthe führte, daß sie, eine Katholikin, einen Protestan¬
ten zu heirathen im Begriffe sei und sie sogar zum Rücktritt ermun¬
terte; nichts destoweniger fand das gemischte Ehebündniß zwischen dem
rosmopolitischen Nachtwächter und der böhmischen Nachtigall statt.
Das Benehmen des Pfarrers, der durch ahnliche Auftritte bereits be¬
kannt ist, wurde sehr getadelt und vorzüglich als einem deutschen
Journalisten gegenüber unklug bezeichnet!! -- Um die durch den
Tod des Hofcaths Mosel erledigte Stelle bei der k. k. Hofbibliothek
bewerben sich drei dramatische Dichter zugleich, nämlich Grillparzer,
Deinhardstein und Halm, wahrscheinlich aber wird sie Herrn Kopitar
zufallen, der als erster Custos die nächsten Ansprüche hat; demselben
Gelehrten, der den Orden in,ur Jo mvritv erhalten hat, nicht als Oe-
sterreicher, sondern als Slave, wie es damals ausdrücklich hieß. --
Deinhardstein's Gedichte, die so eben bei D nuk er in Berlin erschie¬
nen sind, enthalten viel Geistreiches. Weniger glücklich siel sein neues
Lustspiel "Motesens" aus, welches vor einigen Tagen zur Aufführung
kam. Einen ""napf "IVstii"" kann man ihm nicht absprechen; die
Kiesige Journalkritik windet sich, um mehr herauszuschlagen,


III.
Notizen.

Earoline Pichler. -- Noch einmal die baierische Revolution. -- Pzß und Lauf¬
paß. -- Exempel. -- Herr Kühl und seine Freunde. -- Preußische
Mohamedaner. -- Heine und die Musiker.

-- Die Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, von
Earollne Pichler*), welche so eben erschienen sind, verdienen Be¬
rücksichtigung als eine in vielfachem Bezug interessante, ja gewichtige
Erscheinung! Memoiren aus Oesterreich! Aus Oesterreich, wo viel¬
leicht mehr als anderswo der Memoirenstoff angehäuft liegt und wo
man doch diese fast gar nicht hat, zum großen Nachtheil der Litera¬
tur und des Lebens; denn ein Land ohne Memoiren ist wie ein Haus
ohne Spiegel, es weiß Keiner recht, wie er sich ausnimmt, und das
Ganze nimmt sich meist schlechter aus, als nöthig, weil eben !jene
Hilfe fehlt.

Caroline Pichler ist als eine ehrenwerthe, brave Frau, und als
eine wohlbegabte edle Schriftstellerin anerkannt. Sie unternimmt es,



^ Wie". Vier Bändchen in 12.
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Lutzer vermählt hat (sie bringt ihm, nebst dem Silbergehalt ihrer
Stimme, si. 100,600 klingenden Silbers als Mitgift). Aber es stand
nicht in der allgemeinen Zeitung, daß der orthodoxe Pfarrer bei Se.
Peter in der Stadt, unmittelbar vor der Trauung, der Braut es
scharf zu Gemüthe führte, daß sie, eine Katholikin, einen Protestan¬
ten zu heirathen im Begriffe sei und sie sogar zum Rücktritt ermun¬
terte; nichts destoweniger fand das gemischte Ehebündniß zwischen dem
rosmopolitischen Nachtwächter und der böhmischen Nachtigall statt.
Das Benehmen des Pfarrers, der durch ahnliche Auftritte bereits be¬
kannt ist, wurde sehr getadelt und vorzüglich als einem deutschen
Journalisten gegenüber unklug bezeichnet!! — Um die durch den
Tod des Hofcaths Mosel erledigte Stelle bei der k. k. Hofbibliothek
bewerben sich drei dramatische Dichter zugleich, nämlich Grillparzer,
Deinhardstein und Halm, wahrscheinlich aber wird sie Herrn Kopitar
zufallen, der als erster Custos die nächsten Ansprüche hat; demselben
Gelehrten, der den Orden in,ur Jo mvritv erhalten hat, nicht als Oe-
sterreicher, sondern als Slave, wie es damals ausdrücklich hieß. —
Deinhardstein's Gedichte, die so eben bei D nuk er in Berlin erschie¬
nen sind, enthalten viel Geistreiches. Weniger glücklich siel sein neues
Lustspiel „Motesens" aus, welches vor einigen Tagen zur Aufführung
kam. Einen «»napf «IVstii»« kann man ihm nicht absprechen; die
Kiesige Journalkritik windet sich, um mehr herauszuschlagen,


III.
Notizen.

Earoline Pichler. — Noch einmal die baierische Revolution. — Pzß und Lauf¬
paß. — Exempel. — Herr Kühl und seine Freunde. — Preußische
Mohamedaner. — Heine und die Musiker.

— Die Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, von
Earollne Pichler*), welche so eben erschienen sind, verdienen Be¬
rücksichtigung als eine in vielfachem Bezug interessante, ja gewichtige
Erscheinung! Memoiren aus Oesterreich! Aus Oesterreich, wo viel¬
leicht mehr als anderswo der Memoirenstoff angehäuft liegt und wo
man doch diese fast gar nicht hat, zum großen Nachtheil der Litera¬
tur und des Lebens; denn ein Land ohne Memoiren ist wie ein Haus
ohne Spiegel, es weiß Keiner recht, wie er sich ausnimmt, und das
Ganze nimmt sich meist schlechter aus, als nöthig, weil eben !jene
Hilfe fehlt.

Caroline Pichler ist als eine ehrenwerthe, brave Frau, und als
eine wohlbegabte edle Schriftstellerin anerkannt. Sie unternimmt es,



^ Wie». Vier Bändchen in 12.
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[0671] Lutzer vermählt hat (sie bringt ihm, nebst dem Silbergehalt ihrer Stimme, si. 100,600 klingenden Silbers als Mitgift). Aber es stand nicht in der allgemeinen Zeitung, daß der orthodoxe Pfarrer bei Se. Peter in der Stadt, unmittelbar vor der Trauung, der Braut es scharf zu Gemüthe führte, daß sie, eine Katholikin, einen Protestan¬ ten zu heirathen im Begriffe sei und sie sogar zum Rücktritt ermun¬ terte; nichts destoweniger fand das gemischte Ehebündniß zwischen dem rosmopolitischen Nachtwächter und der böhmischen Nachtigall statt. Das Benehmen des Pfarrers, der durch ahnliche Auftritte bereits be¬ kannt ist, wurde sehr getadelt und vorzüglich als einem deutschen Journalisten gegenüber unklug bezeichnet!! — Um die durch den Tod des Hofcaths Mosel erledigte Stelle bei der k. k. Hofbibliothek bewerben sich drei dramatische Dichter zugleich, nämlich Grillparzer, Deinhardstein und Halm, wahrscheinlich aber wird sie Herrn Kopitar zufallen, der als erster Custos die nächsten Ansprüche hat; demselben Gelehrten, der den Orden in,ur Jo mvritv erhalten hat, nicht als Oe- sterreicher, sondern als Slave, wie es damals ausdrücklich hieß. — Deinhardstein's Gedichte, die so eben bei D nuk er in Berlin erschie¬ nen sind, enthalten viel Geistreiches. Weniger glücklich siel sein neues Lustspiel „Motesens" aus, welches vor einigen Tagen zur Aufführung kam. Einen «»napf «IVstii»« kann man ihm nicht absprechen; die Kiesige Journalkritik windet sich, um mehr herauszuschlagen, III. Notizen. Earoline Pichler. — Noch einmal die baierische Revolution. — Pzß und Lauf¬ paß. — Exempel. — Herr Kühl und seine Freunde. — Preußische Mohamedaner. — Heine und die Musiker. — Die Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, von Earollne Pichler*), welche so eben erschienen sind, verdienen Be¬ rücksichtigung als eine in vielfachem Bezug interessante, ja gewichtige Erscheinung! Memoiren aus Oesterreich! Aus Oesterreich, wo viel¬ leicht mehr als anderswo der Memoirenstoff angehäuft liegt und wo man doch diese fast gar nicht hat, zum großen Nachtheil der Litera¬ tur und des Lebens; denn ein Land ohne Memoiren ist wie ein Haus ohne Spiegel, es weiß Keiner recht, wie er sich ausnimmt, und das Ganze nimmt sich meist schlechter aus, als nöthig, weil eben !jene Hilfe fehlt. Caroline Pichler ist als eine ehrenwerthe, brave Frau, und als eine wohlbegabte edle Schriftstellerin anerkannt. Sie unternimmt es, ^ Wie». Vier Bändchen in 12. 86

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/671>, abgerufen am 01.07.2024.