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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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ob es Frühling oder Herbst ist, der geht unter die Linden, um
die heiligen Bäume zu betrachten und das in Berlin seltene Schau¬
spiel einer grünen Vegetation anzuschauen. Nur im Sommer, wenn
das spitze Straßenpflaster sich ihm glühend in die Sohlen bohrt, weiß
der Berliner in jeder Straße, welche Jahreszeit es ist. Das Straßen-
pflaster Berlins ist bekanntlich kein einheimisches Product, es muß,
wie seine grünen Baume und gelehrten Celebritäten aus der Ferne
herbeigeschafft werden, und der Berliner kann sich rühmen, daß kein
anderer Städter mit so kostbaren Steinen den Boden bedeckt hat, wie
er. Hier ist jeder Pflasterstein ein Solitair und wahrscheinlich, um
sie gehörig bewundern zu können, sind diese Steine so weit von ein-
emder eingesetzt und so scharf zugeschliffen, wie der schneidendste Dia¬
mant. Berlin ist in Allem so spitzig und witzig, daß sogar der Bo¬
den diesen Charakter trägt und das Pflaster sich in spitzer Ironie über
die Fußgänger moquirt! Glückliche Stadt, in der Alles Geist und
Witz ist und in deren Nähe nichts Irdisches aufkommt, nicht einmal
Pflastersteine! -- Man hat oft geklagt über die Stiefmütterlichkeit,
mit welcher die Natur dieses sandige Berlin behandelt hat, aber es
ist charakteristisch, wie die Berliner das Bischen Vegetation, das ih¬
nen die Natur hie und da gelassen, behandeln. Die Hyacinthe, die
hübsche geschniegelte Blume, die unter ihren Schwestern wie eine Stadt¬
dame sich ausnimmt, gedeiht in dem Sandboden Berlins vortrefflich.
Die Gärtner vor den Thoren bepflanzen ganze Felder mit Hyacinthen,
die in der Stadt viele Liebhaber und Käufer zählen. Ein Blumenbeet
ist ein duftiges Stück Poesie und es ist leicht erklärlich, daß viele
Menschen hinausströmen, um die blühenden Hyacinthenfelder zu be¬
sehen. Aber die Blume ist es nicht, an deren Anblick man sich wei¬
den will, sondern die Kunst des Gärtners. Ellenlange Anschlagzettel
laden nämlich alljährlich das PublicuM ein, das große Tableau zu
besehen, welches in diesem oder jenem Garten aus Hyacinthen gepflanzt
wurde. Bald ist es ein großes Schlachtgemälde, bald eine Rciter-
gruppe, welche so ausgeführt werden. Diesmal mußten die armen
Blumen sich dazu hergeben, die beiden Rossebändiger darzu¬
stellen, welche der Kaiser von Rußland aus der Kanonengießerei von
Se. Petersburg dem König von Preußen zum Geschenke übersandte.
So genießt der Berliner Geist die Natur. Ein anderes, wenn auch
nicht ganz ähnliches Beispiel, wie man hier Alles zu vergeistigen ver¬
steht, ist folgendes. Ein Herr Gungl, ein Oesterreicher, hat hier ein
großes Walzer-Orchester ?>, Strauß organisirt, welches in einem
großen Gartensalon vor dem Potsdamer Thore nach Wiener Muster
Concerte gibt. Ich ging dieser Tage hin, um einem solchen beizu¬
wohnen. Das Euer6e ist im Verhältniß zu ähnlichen Concerten in
Wien sehr theuer; deshalb sind diese Vergnügungen auch nicht wie
dort dem Unbemittelten wie dem Bemittelten zugänglich. Auf dem


ob es Frühling oder Herbst ist, der geht unter die Linden, um
die heiligen Bäume zu betrachten und das in Berlin seltene Schau¬
spiel einer grünen Vegetation anzuschauen. Nur im Sommer, wenn
das spitze Straßenpflaster sich ihm glühend in die Sohlen bohrt, weiß
der Berliner in jeder Straße, welche Jahreszeit es ist. Das Straßen-
pflaster Berlins ist bekanntlich kein einheimisches Product, es muß,
wie seine grünen Baume und gelehrten Celebritäten aus der Ferne
herbeigeschafft werden, und der Berliner kann sich rühmen, daß kein
anderer Städter mit so kostbaren Steinen den Boden bedeckt hat, wie
er. Hier ist jeder Pflasterstein ein Solitair und wahrscheinlich, um
sie gehörig bewundern zu können, sind diese Steine so weit von ein-
emder eingesetzt und so scharf zugeschliffen, wie der schneidendste Dia¬
mant. Berlin ist in Allem so spitzig und witzig, daß sogar der Bo¬
den diesen Charakter trägt und das Pflaster sich in spitzer Ironie über
die Fußgänger moquirt! Glückliche Stadt, in der Alles Geist und
Witz ist und in deren Nähe nichts Irdisches aufkommt, nicht einmal
Pflastersteine! — Man hat oft geklagt über die Stiefmütterlichkeit,
mit welcher die Natur dieses sandige Berlin behandelt hat, aber es
ist charakteristisch, wie die Berliner das Bischen Vegetation, das ih¬
nen die Natur hie und da gelassen, behandeln. Die Hyacinthe, die
hübsche geschniegelte Blume, die unter ihren Schwestern wie eine Stadt¬
dame sich ausnimmt, gedeiht in dem Sandboden Berlins vortrefflich.
Die Gärtner vor den Thoren bepflanzen ganze Felder mit Hyacinthen,
die in der Stadt viele Liebhaber und Käufer zählen. Ein Blumenbeet
ist ein duftiges Stück Poesie und es ist leicht erklärlich, daß viele
Menschen hinausströmen, um die blühenden Hyacinthenfelder zu be¬
sehen. Aber die Blume ist es nicht, an deren Anblick man sich wei¬
den will, sondern die Kunst des Gärtners. Ellenlange Anschlagzettel
laden nämlich alljährlich das PublicuM ein, das große Tableau zu
besehen, welches in diesem oder jenem Garten aus Hyacinthen gepflanzt
wurde. Bald ist es ein großes Schlachtgemälde, bald eine Rciter-
gruppe, welche so ausgeführt werden. Diesmal mußten die armen
Blumen sich dazu hergeben, die beiden Rossebändiger darzu¬
stellen, welche der Kaiser von Rußland aus der Kanonengießerei von
Se. Petersburg dem König von Preußen zum Geschenke übersandte.
So genießt der Berliner Geist die Natur. Ein anderes, wenn auch
nicht ganz ähnliches Beispiel, wie man hier Alles zu vergeistigen ver¬
steht, ist folgendes. Ein Herr Gungl, ein Oesterreicher, hat hier ein
großes Walzer-Orchester ?>, Strauß organisirt, welches in einem
großen Gartensalon vor dem Potsdamer Thore nach Wiener Muster
Concerte gibt. Ich ging dieser Tage hin, um einem solchen beizu¬
wohnen. Das Euer6e ist im Verhältniß zu ähnlichen Concerten in
Wien sehr theuer; deshalb sind diese Vergnügungen auch nicht wie
dort dem Unbemittelten wie dem Bemittelten zugänglich. Auf dem


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[0668] ob es Frühling oder Herbst ist, der geht unter die Linden, um die heiligen Bäume zu betrachten und das in Berlin seltene Schau¬ spiel einer grünen Vegetation anzuschauen. Nur im Sommer, wenn das spitze Straßenpflaster sich ihm glühend in die Sohlen bohrt, weiß der Berliner in jeder Straße, welche Jahreszeit es ist. Das Straßen- pflaster Berlins ist bekanntlich kein einheimisches Product, es muß, wie seine grünen Baume und gelehrten Celebritäten aus der Ferne herbeigeschafft werden, und der Berliner kann sich rühmen, daß kein anderer Städter mit so kostbaren Steinen den Boden bedeckt hat, wie er. Hier ist jeder Pflasterstein ein Solitair und wahrscheinlich, um sie gehörig bewundern zu können, sind diese Steine so weit von ein- emder eingesetzt und so scharf zugeschliffen, wie der schneidendste Dia¬ mant. Berlin ist in Allem so spitzig und witzig, daß sogar der Bo¬ den diesen Charakter trägt und das Pflaster sich in spitzer Ironie über die Fußgänger moquirt! Glückliche Stadt, in der Alles Geist und Witz ist und in deren Nähe nichts Irdisches aufkommt, nicht einmal Pflastersteine! — Man hat oft geklagt über die Stiefmütterlichkeit, mit welcher die Natur dieses sandige Berlin behandelt hat, aber es ist charakteristisch, wie die Berliner das Bischen Vegetation, das ih¬ nen die Natur hie und da gelassen, behandeln. Die Hyacinthe, die hübsche geschniegelte Blume, die unter ihren Schwestern wie eine Stadt¬ dame sich ausnimmt, gedeiht in dem Sandboden Berlins vortrefflich. Die Gärtner vor den Thoren bepflanzen ganze Felder mit Hyacinthen, die in der Stadt viele Liebhaber und Käufer zählen. Ein Blumenbeet ist ein duftiges Stück Poesie und es ist leicht erklärlich, daß viele Menschen hinausströmen, um die blühenden Hyacinthenfelder zu be¬ sehen. Aber die Blume ist es nicht, an deren Anblick man sich wei¬ den will, sondern die Kunst des Gärtners. Ellenlange Anschlagzettel laden nämlich alljährlich das PublicuM ein, das große Tableau zu besehen, welches in diesem oder jenem Garten aus Hyacinthen gepflanzt wurde. Bald ist es ein großes Schlachtgemälde, bald eine Rciter- gruppe, welche so ausgeführt werden. Diesmal mußten die armen Blumen sich dazu hergeben, die beiden Rossebändiger darzu¬ stellen, welche der Kaiser von Rußland aus der Kanonengießerei von Se. Petersburg dem König von Preußen zum Geschenke übersandte. So genießt der Berliner Geist die Natur. Ein anderes, wenn auch nicht ganz ähnliches Beispiel, wie man hier Alles zu vergeistigen ver¬ steht, ist folgendes. Ein Herr Gungl, ein Oesterreicher, hat hier ein großes Walzer-Orchester ?>, Strauß organisirt, welches in einem großen Gartensalon vor dem Potsdamer Thore nach Wiener Muster Concerte gibt. Ich ging dieser Tage hin, um einem solchen beizu¬ wohnen. Das Euer6e ist im Verhältniß zu ähnlichen Concerten in Wien sehr theuer; deshalb sind diese Vergnügungen auch nicht wie dort dem Unbemittelten wie dem Bemittelten zugänglich. Auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/668>, abgerufen am 01.07.2024.