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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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dauerhafte Schuhwichse ist zu haben u. s. w. Aehnlich vermuthete
ich hier eine Ankündigung des nächstens von Herrn Huber erscheinen¬
den Journals "Janus". Aber behüte! die Pointe ist weit großarti¬
ger und auf höchst schlaue, scharfsinnige Weise angeknüpft. "Sollte
ein Krieg von Westen kommen, so denkt kein gesunder Mensch
mehr an Grenzboten, sondern an Grenzfestungen, da heißt es: Für
Gott, König, Vaterland, heimischen Herd, Geistesfreiheit! Dann
kommt die echte Oeffentlichkeit mit der Mündlichkeit der boucneg "
ten, das Volk wird würdig repräsentirt sein, und wir werden so frei
sein, die Feinde unter die Presse zu bringen." Was soll man mehr
bewundern, die glückliche Wendung oder den Scharfblick des Schrei¬
bers? "Ein Krieg von Westen" --. Der Osten natürlich erreicht auf
eine viel bequemere Art sein Ziel und eine hohe Zuneigung und brü¬
derliche Sympathie für ihn lassen keinen Krieg erwarten. Aber der
Westen, der Westen! Ja, das ist's! da wird es wieder "Vaterland,
Geistesfreiheit" heißen, und die armen Grenzboten, die den Patriotis¬
mus in etwas Anderem, als dem Haß gegen den Westen suchen,
werden dann nur von "Ungesunden" gelesen werden. Daß das "Volk"
dann würdig repräsentirt wird, ist kein Zweifel, nur glaube ich, daß
die "echte Oeffentlichkeit", wie der Schreiber sie meint, bereits vor¬
handen, und nicht mehr zu befürchten, oder zu erwarten ist.


E. D . . . ke.
2.

Unter den Linden. -- Witzige Pflastersteine. -- Hyacinthen und Rossevändi-
qer. -- Gartenconccrte und Kirchhöfe. -- Buhl und sein Gefängniß. --
Die Bühne.


Seit vierzehn Tagen geht hier das Gerücht, der Frühling sei da.
Dies Gerücht erhalt dadurch einige Wahrscheinlichkeit, daß die magere
Kastanienallee, die man hier "unter den Linden" nennt, wirkliche
grüne Blatter aufweist. Die "Linden,, werden bald blos ihren Namen
historisch motiviren können. Kaum noch der dritte Theil dieser Allee
besteht aus Linden. Die breite bürgerliche Kastanie hat die verdorrte
aristokratische Linde ersetzt und man muß gestehen, daß ihr Schatten
ein weit soliderer ist und sie ihre Aufgabe weit tüchtiger löst, als ihre
verdrängte Vorgängerin. Der Platz unter den Linden ist überhaupt
ein mannigfacher Chronometer für den Berliner. Wer eine Uhr in
der Tasche tragt, geht täglich unter die Linden, um die "Akademie-
Uhr" zu befragen, wie weit er hinter der Zeit zurückgeblieben oder
ihr vorgeeilt ist; wer an Rheumatismus leidet, geht unter die Linden,
um das Thermometer bei dem Opticus Petit-Pierre, das delphische
Orakel aller Flanelltragenden zu befragen, was er für Wetter zu be¬
fürchten, oder zu erhoffen habe! wer endlich neugierig ist, zu erfahren,


dauerhafte Schuhwichse ist zu haben u. s. w. Aehnlich vermuthete
ich hier eine Ankündigung des nächstens von Herrn Huber erscheinen¬
den Journals „Janus". Aber behüte! die Pointe ist weit großarti¬
ger und auf höchst schlaue, scharfsinnige Weise angeknüpft. „Sollte
ein Krieg von Westen kommen, so denkt kein gesunder Mensch
mehr an Grenzboten, sondern an Grenzfestungen, da heißt es: Für
Gott, König, Vaterland, heimischen Herd, Geistesfreiheit! Dann
kommt die echte Oeffentlichkeit mit der Mündlichkeit der boucneg »
ten, das Volk wird würdig repräsentirt sein, und wir werden so frei
sein, die Feinde unter die Presse zu bringen." Was soll man mehr
bewundern, die glückliche Wendung oder den Scharfblick des Schrei¬
bers? „Ein Krieg von Westen" —. Der Osten natürlich erreicht auf
eine viel bequemere Art sein Ziel und eine hohe Zuneigung und brü¬
derliche Sympathie für ihn lassen keinen Krieg erwarten. Aber der
Westen, der Westen! Ja, das ist's! da wird es wieder „Vaterland,
Geistesfreiheit" heißen, und die armen Grenzboten, die den Patriotis¬
mus in etwas Anderem, als dem Haß gegen den Westen suchen,
werden dann nur von „Ungesunden" gelesen werden. Daß das „Volk"
dann würdig repräsentirt wird, ist kein Zweifel, nur glaube ich, daß
die „echte Oeffentlichkeit", wie der Schreiber sie meint, bereits vor¬
handen, und nicht mehr zu befürchten, oder zu erwarten ist.


E. D . . . ke.
2.

Unter den Linden. — Witzige Pflastersteine. — Hyacinthen und Rossevändi-
qer. — Gartenconccrte und Kirchhöfe. — Buhl und sein Gefängniß. —
Die Bühne.


Seit vierzehn Tagen geht hier das Gerücht, der Frühling sei da.
Dies Gerücht erhalt dadurch einige Wahrscheinlichkeit, daß die magere
Kastanienallee, die man hier „unter den Linden" nennt, wirkliche
grüne Blatter aufweist. Die „Linden,, werden bald blos ihren Namen
historisch motiviren können. Kaum noch der dritte Theil dieser Allee
besteht aus Linden. Die breite bürgerliche Kastanie hat die verdorrte
aristokratische Linde ersetzt und man muß gestehen, daß ihr Schatten
ein weit soliderer ist und sie ihre Aufgabe weit tüchtiger löst, als ihre
verdrängte Vorgängerin. Der Platz unter den Linden ist überhaupt
ein mannigfacher Chronometer für den Berliner. Wer eine Uhr in
der Tasche tragt, geht täglich unter die Linden, um die „Akademie-
Uhr" zu befragen, wie weit er hinter der Zeit zurückgeblieben oder
ihr vorgeeilt ist; wer an Rheumatismus leidet, geht unter die Linden,
um das Thermometer bei dem Opticus Petit-Pierre, das delphische
Orakel aller Flanelltragenden zu befragen, was er für Wetter zu be¬
fürchten, oder zu erhoffen habe! wer endlich neugierig ist, zu erfahren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/667>, abgerufen am 01.07.2024.