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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Geschmeidigkeit" es war, als ob ein alter Roue seine Flamme zu ex-
poniren suchte. Devrient gab den Orgon mit Geist und Wärme. Am
ungenügendsten war Fr. v. Lavallade, welche aus der alten Haus¬
magd, die sich in Ansehung ihrer Dienste als Hausmöbel schon etwas
herausnehmen kann, einen jungen, naseweisen Zieraffen machte. Ei¬
nige Stellen, welche auf die Gegenwart Bezügliches enthielten, wur¬
den mit lebhaftem Beifall aufgenommen, z. B. wo Orgon von Tar-
tüffe sagt: "Ich weiß, daß in seinem Land die Tartüffe's im Besitze
der höchsten Stellen sind." Der König war nicht zugegen. Das zweite
Stück "Richelieu", welches in zehn Tagen einstudirt war, ging gestern
Abend ohne Theilnahme über die Bühne. Es ist ein Werk ohne alle
Charakteristik, voll Langweiligkeiten, abgedroschenen Novellenintriguen
und Jnkonsequenzen. Döring allein hatte sich eine Rolle zurecht ge¬
legt, eine dankbare Rolle, aus der sich etwas machen läßt, aus der
er aber nicht besonders Viel gemacht hat. --

An den Schaufenstern hängt ein Bild des Königs, denselben in
sitzender Stellung von der Rückseite zeigend, und darunter die Worte:
Für die schlesischen Weber. Das ist keine Ironie!

Da fällt mir so eben im Hamburger Correspondenten ein Schrei¬
ben aus Magdeburg vom 23. April in die Augen, welches meine
Skizzen über die Berliner Universität in den Grenzboten zaus't. Es
kommt mir nicht in den Sinn, mich hier in weitläufige Expositionen
auszulassen, da ich Ihr Journal nicht zum Kampfplatz persönlicher
Interessen, natürlich am allerwenigsten gegen den Hamburger Corre¬
spondenten, machen kann; aber die Logik und der Jdeengang jenes
Schreibers ist von zu allgemeiner historischer Bedeutung, um ihnen
nicht öffentliche Würdigung zutheilen zu müssen. Hören Sie nur!
In der Einleitung werden die thörichten Klagen über Strenge der
sächsischen Censur erwähnt, der Magdeburger tadelt dieselbe ebenfalls,
jedoch als zu nachsichtig. "Man lese nur", heißt es, "die Schilde¬
rung der Universitäten, die jetzt in den Grenzboten steht. Unter Ber¬
lin werden die gelehrtesten Universttatsprofessoren öffentlichem Gespöttes)
ja noch mehr preisgegeben." Was der Schreiber unter dem noch mehr
(oder "mehreren,"?) versteht, ist mir unklar geblieben, es müßte denn
seine eigene Besprechung im Hamburger Correspondenten sein. -- Nach
sehr unpatriotischen Hinweis auf Peel, Brougham, Guizot, heißt es
weiter: "Was aber dagegen zu machen sei? Die Censur kann höch¬
stens (?) persönliche Gemeinheiten streichen, verschärfen kann man sie
nicht, Gehenlassen (?) taugt theilweise, wohl aber lohnt es der Mühe,
bessere Blätter zu stiften und gesundere Kost zu bieten." -- Herr
Huber? Bei dieser Stelle dachte ich an die Novelle von der englischen
Glanzwichse, eine lange Geschichte, in welcher der Held zuletzt von
Wilden erschlagen werden sott, als diese in seinen Schuhen ihre Por¬
träts erblicken und ihn als großen Zauberer anbeten -- Moral: diese


Geschmeidigkeit» es war, als ob ein alter Roue seine Flamme zu ex-
poniren suchte. Devrient gab den Orgon mit Geist und Wärme. Am
ungenügendsten war Fr. v. Lavallade, welche aus der alten Haus¬
magd, die sich in Ansehung ihrer Dienste als Hausmöbel schon etwas
herausnehmen kann, einen jungen, naseweisen Zieraffen machte. Ei¬
nige Stellen, welche auf die Gegenwart Bezügliches enthielten, wur¬
den mit lebhaftem Beifall aufgenommen, z. B. wo Orgon von Tar-
tüffe sagt: „Ich weiß, daß in seinem Land die Tartüffe's im Besitze
der höchsten Stellen sind." Der König war nicht zugegen. Das zweite
Stück „Richelieu", welches in zehn Tagen einstudirt war, ging gestern
Abend ohne Theilnahme über die Bühne. Es ist ein Werk ohne alle
Charakteristik, voll Langweiligkeiten, abgedroschenen Novellenintriguen
und Jnkonsequenzen. Döring allein hatte sich eine Rolle zurecht ge¬
legt, eine dankbare Rolle, aus der sich etwas machen läßt, aus der
er aber nicht besonders Viel gemacht hat. —

An den Schaufenstern hängt ein Bild des Königs, denselben in
sitzender Stellung von der Rückseite zeigend, und darunter die Worte:
Für die schlesischen Weber. Das ist keine Ironie!

Da fällt mir so eben im Hamburger Correspondenten ein Schrei¬
ben aus Magdeburg vom 23. April in die Augen, welches meine
Skizzen über die Berliner Universität in den Grenzboten zaus't. Es
kommt mir nicht in den Sinn, mich hier in weitläufige Expositionen
auszulassen, da ich Ihr Journal nicht zum Kampfplatz persönlicher
Interessen, natürlich am allerwenigsten gegen den Hamburger Corre¬
spondenten, machen kann; aber die Logik und der Jdeengang jenes
Schreibers ist von zu allgemeiner historischer Bedeutung, um ihnen
nicht öffentliche Würdigung zutheilen zu müssen. Hören Sie nur!
In der Einleitung werden die thörichten Klagen über Strenge der
sächsischen Censur erwähnt, der Magdeburger tadelt dieselbe ebenfalls,
jedoch als zu nachsichtig. „Man lese nur", heißt es, „die Schilde¬
rung der Universitäten, die jetzt in den Grenzboten steht. Unter Ber¬
lin werden die gelehrtesten Universttatsprofessoren öffentlichem Gespöttes)
ja noch mehr preisgegeben." Was der Schreiber unter dem noch mehr
(oder „mehreren,"?) versteht, ist mir unklar geblieben, es müßte denn
seine eigene Besprechung im Hamburger Correspondenten sein. — Nach
sehr unpatriotischen Hinweis auf Peel, Brougham, Guizot, heißt es
weiter: „Was aber dagegen zu machen sei? Die Censur kann höch¬
stens (?) persönliche Gemeinheiten streichen, verschärfen kann man sie
nicht, Gehenlassen (?) taugt theilweise, wohl aber lohnt es der Mühe,
bessere Blätter zu stiften und gesundere Kost zu bieten." — Herr
Huber? Bei dieser Stelle dachte ich an die Novelle von der englischen
Glanzwichse, eine lange Geschichte, in welcher der Held zuletzt von
Wilden erschlagen werden sott, als diese in seinen Schuhen ihre Por¬
träts erblicken und ihn als großen Zauberer anbeten -- Moral: diese


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[0666] Geschmeidigkeit» es war, als ob ein alter Roue seine Flamme zu ex- poniren suchte. Devrient gab den Orgon mit Geist und Wärme. Am ungenügendsten war Fr. v. Lavallade, welche aus der alten Haus¬ magd, die sich in Ansehung ihrer Dienste als Hausmöbel schon etwas herausnehmen kann, einen jungen, naseweisen Zieraffen machte. Ei¬ nige Stellen, welche auf die Gegenwart Bezügliches enthielten, wur¬ den mit lebhaftem Beifall aufgenommen, z. B. wo Orgon von Tar- tüffe sagt: „Ich weiß, daß in seinem Land die Tartüffe's im Besitze der höchsten Stellen sind." Der König war nicht zugegen. Das zweite Stück „Richelieu", welches in zehn Tagen einstudirt war, ging gestern Abend ohne Theilnahme über die Bühne. Es ist ein Werk ohne alle Charakteristik, voll Langweiligkeiten, abgedroschenen Novellenintriguen und Jnkonsequenzen. Döring allein hatte sich eine Rolle zurecht ge¬ legt, eine dankbare Rolle, aus der sich etwas machen läßt, aus der er aber nicht besonders Viel gemacht hat. — An den Schaufenstern hängt ein Bild des Königs, denselben in sitzender Stellung von der Rückseite zeigend, und darunter die Worte: Für die schlesischen Weber. Das ist keine Ironie! Da fällt mir so eben im Hamburger Correspondenten ein Schrei¬ ben aus Magdeburg vom 23. April in die Augen, welches meine Skizzen über die Berliner Universität in den Grenzboten zaus't. Es kommt mir nicht in den Sinn, mich hier in weitläufige Expositionen auszulassen, da ich Ihr Journal nicht zum Kampfplatz persönlicher Interessen, natürlich am allerwenigsten gegen den Hamburger Corre¬ spondenten, machen kann; aber die Logik und der Jdeengang jenes Schreibers ist von zu allgemeiner historischer Bedeutung, um ihnen nicht öffentliche Würdigung zutheilen zu müssen. Hören Sie nur! In der Einleitung werden die thörichten Klagen über Strenge der sächsischen Censur erwähnt, der Magdeburger tadelt dieselbe ebenfalls, jedoch als zu nachsichtig. „Man lese nur", heißt es, „die Schilde¬ rung der Universitäten, die jetzt in den Grenzboten steht. Unter Ber¬ lin werden die gelehrtesten Universttatsprofessoren öffentlichem Gespöttes) ja noch mehr preisgegeben." Was der Schreiber unter dem noch mehr (oder „mehreren,"?) versteht, ist mir unklar geblieben, es müßte denn seine eigene Besprechung im Hamburger Correspondenten sein. — Nach sehr unpatriotischen Hinweis auf Peel, Brougham, Guizot, heißt es weiter: „Was aber dagegen zu machen sei? Die Censur kann höch¬ stens (?) persönliche Gemeinheiten streichen, verschärfen kann man sie nicht, Gehenlassen (?) taugt theilweise, wohl aber lohnt es der Mühe, bessere Blätter zu stiften und gesundere Kost zu bieten." — Herr Huber? Bei dieser Stelle dachte ich an die Novelle von der englischen Glanzwichse, eine lange Geschichte, in welcher der Held zuletzt von Wilden erschlagen werden sott, als diese in seinen Schuhen ihre Por¬ träts erblicken und ihn als großen Zauberer anbeten -- Moral: diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/666>, abgerufen am 22.12.2024.