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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Doch muß ich, muß sie stören . .
Maria! (sie erhebt sich) Sammle Dich, sei doch Du selbst,
Dein Blick erzählt, Du seist nicht gegenwärtig.
Nicht wende Dich dem Kinde wieder zu,
Mich siehe an. Wie ist Dir?
Maria. Aeußerst wohl.
Joseph. Das freut mich. u. s. w.

Sie sehen, wie sehr dies zeitgemäße Werk die Auszeichnung ver¬
dient, die ihm Tieck möchte zukommen lassen, und die baldige aller¬
höchste Anerkennung dürfte demnach wohl außer Zweifel sein.

Von literarischen Novitäten erwähne ich das fünfte Heft von
Bauer's Literaturzeitung, das so eben ausgegeben wurde. Es enthält
viel Schwaches und Unbedeutendes, und ist am wenigsten geeignet,
die sinkende Theilnahme für das Ganze neu zu beleben. Polemik
gegen die Halle'schen Jahrbücher, wohlgefällige Selbsterhebung auf
jeder Seite, namentlich in der sogenannten Zürcher (?) Correspondenz
bis zur Widerwärtigkeit gesteigert, ^ welchem Publicum traut man
solche Kost zu? Die Erzählung von den "drei Biedermännern" von
Edgar B. ist ein Kokettiren mit Frivolität, welches durch den Man¬
gel zeder geistreichen Würze nur Ekel erzeugen kann. Auch ein Aus¬
satz über die Freudenmädchen ist stumpf, ohne Interesse gehalten. In
der Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts von Bruno B., die
bekanntlich etwas zerstückelt aus den Händen der Polizei gekommen
ist, findet sich ein reiches Material, das jedoch keineswegs gehörig
verarbeitet ist. Die historische Einleitung ist ungenügend zum Ver¬
ständniß für einen nicht ganz kundigen Leser, in den übrigen Theilen
erkennt man viel Studium und Gründlichkeit. Am hervorstechendsten
darin ist gewiß das Capitel über Edelmann. Ein anderes Werk, wel¬
ches ebenfalls lange dem Obercensurgericht vorgelegen, ist Karl Rei-
chard's "Preußisches Bürgerthum". Der Verfasser, ein "Mann aus
dem Volke", spricht aus eigener Anschauung mit einem oft peinlichen
Ringen nach Form, und ohne selbst ein klares Resultat zu gewinnen,
doch ist das Werk als kritischer Nachweis von Interesse. Von einem
Roman von Woeniger: "Zigeuner und Edelleute" ein ander Mal
Näheres.

Im Schauspielhaus sahen wir Döring in zwei neuen Rollen,
als "Tartüffe" in dem Meisterwerke Molwre's, und als "Richelieu"
in einem Drama Bulwer's. Ueber das Erste in Bezug auf Inhalt
etwas sagen zu wollen, wäre unnütz; nur die Darstellung, die ich
eine zeitgemäße nenne, bedarf einiger Erwähnung. Döring zeigte sich
hier ganz, wie er ist.- ohne Studium. Die Frömmelei geht nicht inge¬
schminkten Wangen, derb und plump; sie ist feist und glatt, im
"Schafspelz der Demuth" den Hochmuth und die Schadenfreude ber¬
gend. In der Scene mit Orgon's Frau vermißte ich die lüsterne


Doch muß ich, muß sie stören . .
Maria! (sie erhebt sich) Sammle Dich, sei doch Du selbst,
Dein Blick erzählt, Du seist nicht gegenwärtig.
Nicht wende Dich dem Kinde wieder zu,
Mich siehe an. Wie ist Dir?
Maria. Aeußerst wohl.
Joseph. Das freut mich. u. s. w.

Sie sehen, wie sehr dies zeitgemäße Werk die Auszeichnung ver¬
dient, die ihm Tieck möchte zukommen lassen, und die baldige aller¬
höchste Anerkennung dürfte demnach wohl außer Zweifel sein.

Von literarischen Novitäten erwähne ich das fünfte Heft von
Bauer's Literaturzeitung, das so eben ausgegeben wurde. Es enthält
viel Schwaches und Unbedeutendes, und ist am wenigsten geeignet,
die sinkende Theilnahme für das Ganze neu zu beleben. Polemik
gegen die Halle'schen Jahrbücher, wohlgefällige Selbsterhebung auf
jeder Seite, namentlich in der sogenannten Zürcher (?) Correspondenz
bis zur Widerwärtigkeit gesteigert, ^ welchem Publicum traut man
solche Kost zu? Die Erzählung von den „drei Biedermännern" von
Edgar B. ist ein Kokettiren mit Frivolität, welches durch den Man¬
gel zeder geistreichen Würze nur Ekel erzeugen kann. Auch ein Aus¬
satz über die Freudenmädchen ist stumpf, ohne Interesse gehalten. In
der Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts von Bruno B., die
bekanntlich etwas zerstückelt aus den Händen der Polizei gekommen
ist, findet sich ein reiches Material, das jedoch keineswegs gehörig
verarbeitet ist. Die historische Einleitung ist ungenügend zum Ver¬
ständniß für einen nicht ganz kundigen Leser, in den übrigen Theilen
erkennt man viel Studium und Gründlichkeit. Am hervorstechendsten
darin ist gewiß das Capitel über Edelmann. Ein anderes Werk, wel¬
ches ebenfalls lange dem Obercensurgericht vorgelegen, ist Karl Rei-
chard's „Preußisches Bürgerthum". Der Verfasser, ein „Mann aus
dem Volke", spricht aus eigener Anschauung mit einem oft peinlichen
Ringen nach Form, und ohne selbst ein klares Resultat zu gewinnen,
doch ist das Werk als kritischer Nachweis von Interesse. Von einem
Roman von Woeniger: „Zigeuner und Edelleute" ein ander Mal
Näheres.

Im Schauspielhaus sahen wir Döring in zwei neuen Rollen,
als „Tartüffe" in dem Meisterwerke Molwre's, und als „Richelieu"
in einem Drama Bulwer's. Ueber das Erste in Bezug auf Inhalt
etwas sagen zu wollen, wäre unnütz; nur die Darstellung, die ich
eine zeitgemäße nenne, bedarf einiger Erwähnung. Döring zeigte sich
hier ganz, wie er ist.- ohne Studium. Die Frömmelei geht nicht inge¬
schminkten Wangen, derb und plump; sie ist feist und glatt, im
„Schafspelz der Demuth" den Hochmuth und die Schadenfreude ber¬
gend. In der Scene mit Orgon's Frau vermißte ich die lüsterne


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[0665] Doch muß ich, muß sie stören . . Maria! (sie erhebt sich) Sammle Dich, sei doch Du selbst, Dein Blick erzählt, Du seist nicht gegenwärtig. Nicht wende Dich dem Kinde wieder zu, Mich siehe an. Wie ist Dir? Maria. Aeußerst wohl. Joseph. Das freut mich. u. s. w. Sie sehen, wie sehr dies zeitgemäße Werk die Auszeichnung ver¬ dient, die ihm Tieck möchte zukommen lassen, und die baldige aller¬ höchste Anerkennung dürfte demnach wohl außer Zweifel sein. Von literarischen Novitäten erwähne ich das fünfte Heft von Bauer's Literaturzeitung, das so eben ausgegeben wurde. Es enthält viel Schwaches und Unbedeutendes, und ist am wenigsten geeignet, die sinkende Theilnahme für das Ganze neu zu beleben. Polemik gegen die Halle'schen Jahrbücher, wohlgefällige Selbsterhebung auf jeder Seite, namentlich in der sogenannten Zürcher (?) Correspondenz bis zur Widerwärtigkeit gesteigert, ^ welchem Publicum traut man solche Kost zu? Die Erzählung von den „drei Biedermännern" von Edgar B. ist ein Kokettiren mit Frivolität, welches durch den Man¬ gel zeder geistreichen Würze nur Ekel erzeugen kann. Auch ein Aus¬ satz über die Freudenmädchen ist stumpf, ohne Interesse gehalten. In der Culturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts von Bruno B., die bekanntlich etwas zerstückelt aus den Händen der Polizei gekommen ist, findet sich ein reiches Material, das jedoch keineswegs gehörig verarbeitet ist. Die historische Einleitung ist ungenügend zum Ver¬ ständniß für einen nicht ganz kundigen Leser, in den übrigen Theilen erkennt man viel Studium und Gründlichkeit. Am hervorstechendsten darin ist gewiß das Capitel über Edelmann. Ein anderes Werk, wel¬ ches ebenfalls lange dem Obercensurgericht vorgelegen, ist Karl Rei- chard's „Preußisches Bürgerthum". Der Verfasser, ein „Mann aus dem Volke", spricht aus eigener Anschauung mit einem oft peinlichen Ringen nach Form, und ohne selbst ein klares Resultat zu gewinnen, doch ist das Werk als kritischer Nachweis von Interesse. Von einem Roman von Woeniger: „Zigeuner und Edelleute" ein ander Mal Näheres. Im Schauspielhaus sahen wir Döring in zwei neuen Rollen, als „Tartüffe" in dem Meisterwerke Molwre's, und als „Richelieu" in einem Drama Bulwer's. Ueber das Erste in Bezug auf Inhalt etwas sagen zu wollen, wäre unnütz; nur die Darstellung, die ich eine zeitgemäße nenne, bedarf einiger Erwähnung. Döring zeigte sich hier ganz, wie er ist.- ohne Studium. Die Frömmelei geht nicht inge¬ schminkten Wangen, derb und plump; sie ist feist und glatt, im „Schafspelz der Demuth" den Hochmuth und die Schadenfreude ber¬ gend. In der Scene mit Orgon's Frau vermißte ich die lüsterne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/665>, abgerufen am 01.07.2024.