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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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minus unseres Jahrhunderts so nahe gehabt, Abenteuer der ernsthaf¬
testen wie der lustigsten Art! Leset doch nur fleißig in der großen
Kölner Zeitung und dann schreibt: "Der rheinische Landtag, eine
tragische rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." Geht in die Eifel,
an den Westerwald, in's Münsterland, in's Siegen'sche, laßt Euch
von den hnngrigl'ii Bergleuten Etwas vorerzählen und dann schreibt:
"Der englische Zollvertrag, eine traurige rheinische Geschichte in
zwölf Abenteuern." Betrachtet Euch die Pietisten, die gelehrten und
ungelehrten in Bonn, in Elberfeld; hört die Mucker im Wupperthale
singen und beten und seufzen, und dann schreibt: "Das tausendjäh¬
rige Reich am Rheine, eine betrübte rheinische Geschichte in zwölf
Abenteuern." Seid Ihr aber Humoristen, dann stellt Euch vor den
Kölner Einheitsdom, forschet nach, warum es mit dem Bau nicht
mehr rechts vorwärts will, und paru schreibt: "Der gothische Kinder¬
scharlach, eine lustige rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." --

Karl Grün (früher auch Pseudonym Ernst von der Haide) in
Köln, ein rühriger, gesinnungskräftiger Literat, dem seine Schicksale
als Redacteur der Mannheimer Abendzeitung schon ein gewisses Re¬
lief geben (wann schreibt ein industriöser Kopf eine literarische Mar-
tyrologie des neunzehnten Jahrhunderts?), hielt vergangenen Winter
Vorlesungen über Schiller, später über Shakespeare. Die letzteren
wollte eine löbliche Behörde anfangs nicht gestatten und machte end¬
lich die Clausel, daß nichts auf Religion und Staat Bezüg¬
liches darin vorkommen dürfe. O Ihr Männer von Köln! habt
Ihr jemals sechs Seiten überflogen in den historischen Dramen des
großen Briten? Da wird ja von ganz anderen Dingen geredet, als
wie es einem unglücklich liebenden Pärchen bei seinen Weißzeugschrän¬
ken zu Muthe ist; -- da schreitet die Weltgeschichte auf dem Kothurn
einher, und der gewaltige Meister hält sein Weltgericht, oder, wie ein
preußischer Censor sich etwa ausdrücken würde, er läßt sich frechen
Tadel zu Schulden kommen über die Vorfahren Ihrer königlichen
Majestät Zc. Und doch hat Shakespeare seine Dramen nicht nach
Zürich und Winterthur zu flüchten brauchen, er hat sie aufgeführt
vor den Augen "seiner Schwester Elisabeth", wie er selbst sie nennt.
-- ES ist ein gutes Zeichen der Zeit, daß die Literaten aller Orten
durch Vorlesungen in unmittelbaren mündlichen Rapport mit dem
Publicum zu treten suchen, besonders solche, die, wie Grün das Ta-


minus unseres Jahrhunderts so nahe gehabt, Abenteuer der ernsthaf¬
testen wie der lustigsten Art! Leset doch nur fleißig in der großen
Kölner Zeitung und dann schreibt: „Der rheinische Landtag, eine
tragische rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." Geht in die Eifel,
an den Westerwald, in's Münsterland, in's Siegen'sche, laßt Euch
von den hnngrigl'ii Bergleuten Etwas vorerzählen und dann schreibt:
„Der englische Zollvertrag, eine traurige rheinische Geschichte in
zwölf Abenteuern." Betrachtet Euch die Pietisten, die gelehrten und
ungelehrten in Bonn, in Elberfeld; hört die Mucker im Wupperthale
singen und beten und seufzen, und dann schreibt: „Das tausendjäh¬
rige Reich am Rheine, eine betrübte rheinische Geschichte in zwölf
Abenteuern." Seid Ihr aber Humoristen, dann stellt Euch vor den
Kölner Einheitsdom, forschet nach, warum es mit dem Bau nicht
mehr rechts vorwärts will, und paru schreibt: „Der gothische Kinder¬
scharlach, eine lustige rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." —

Karl Grün (früher auch Pseudonym Ernst von der Haide) in
Köln, ein rühriger, gesinnungskräftiger Literat, dem seine Schicksale
als Redacteur der Mannheimer Abendzeitung schon ein gewisses Re¬
lief geben (wann schreibt ein industriöser Kopf eine literarische Mar-
tyrologie des neunzehnten Jahrhunderts?), hielt vergangenen Winter
Vorlesungen über Schiller, später über Shakespeare. Die letzteren
wollte eine löbliche Behörde anfangs nicht gestatten und machte end¬
lich die Clausel, daß nichts auf Religion und Staat Bezüg¬
liches darin vorkommen dürfe. O Ihr Männer von Köln! habt
Ihr jemals sechs Seiten überflogen in den historischen Dramen des
großen Briten? Da wird ja von ganz anderen Dingen geredet, als
wie es einem unglücklich liebenden Pärchen bei seinen Weißzeugschrän¬
ken zu Muthe ist; — da schreitet die Weltgeschichte auf dem Kothurn
einher, und der gewaltige Meister hält sein Weltgericht, oder, wie ein
preußischer Censor sich etwa ausdrücken würde, er läßt sich frechen
Tadel zu Schulden kommen über die Vorfahren Ihrer königlichen
Majestät Zc. Und doch hat Shakespeare seine Dramen nicht nach
Zürich und Winterthur zu flüchten brauchen, er hat sie aufgeführt
vor den Augen „seiner Schwester Elisabeth", wie er selbst sie nennt.
— ES ist ein gutes Zeichen der Zeit, daß die Literaten aller Orten
durch Vorlesungen in unmittelbaren mündlichen Rapport mit dem
Publicum zu treten suchen, besonders solche, die, wie Grün das Ta-


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[0650] minus unseres Jahrhunderts so nahe gehabt, Abenteuer der ernsthaf¬ testen wie der lustigsten Art! Leset doch nur fleißig in der großen Kölner Zeitung und dann schreibt: „Der rheinische Landtag, eine tragische rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." Geht in die Eifel, an den Westerwald, in's Münsterland, in's Siegen'sche, laßt Euch von den hnngrigl'ii Bergleuten Etwas vorerzählen und dann schreibt: „Der englische Zollvertrag, eine traurige rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." Betrachtet Euch die Pietisten, die gelehrten und ungelehrten in Bonn, in Elberfeld; hört die Mucker im Wupperthale singen und beten und seufzen, und dann schreibt: „Das tausendjäh¬ rige Reich am Rheine, eine betrübte rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." Seid Ihr aber Humoristen, dann stellt Euch vor den Kölner Einheitsdom, forschet nach, warum es mit dem Bau nicht mehr rechts vorwärts will, und paru schreibt: „Der gothische Kinder¬ scharlach, eine lustige rheinische Geschichte in zwölf Abenteuern." — Karl Grün (früher auch Pseudonym Ernst von der Haide) in Köln, ein rühriger, gesinnungskräftiger Literat, dem seine Schicksale als Redacteur der Mannheimer Abendzeitung schon ein gewisses Re¬ lief geben (wann schreibt ein industriöser Kopf eine literarische Mar- tyrologie des neunzehnten Jahrhunderts?), hielt vergangenen Winter Vorlesungen über Schiller, später über Shakespeare. Die letzteren wollte eine löbliche Behörde anfangs nicht gestatten und machte end¬ lich die Clausel, daß nichts auf Religion und Staat Bezüg¬ liches darin vorkommen dürfe. O Ihr Männer von Köln! habt Ihr jemals sechs Seiten überflogen in den historischen Dramen des großen Briten? Da wird ja von ganz anderen Dingen geredet, als wie es einem unglücklich liebenden Pärchen bei seinen Weißzeugschrän¬ ken zu Muthe ist; — da schreitet die Weltgeschichte auf dem Kothurn einher, und der gewaltige Meister hält sein Weltgericht, oder, wie ein preußischer Censor sich etwa ausdrücken würde, er läßt sich frechen Tadel zu Schulden kommen über die Vorfahren Ihrer königlichen Majestät Zc. Und doch hat Shakespeare seine Dramen nicht nach Zürich und Winterthur zu flüchten brauchen, er hat sie aufgeführt vor den Augen „seiner Schwester Elisabeth", wie er selbst sie nennt. — ES ist ein gutes Zeichen der Zeit, daß die Literaten aller Orten durch Vorlesungen in unmittelbaren mündlichen Rapport mit dem Publicum zu treten suchen, besonders solche, die, wie Grün das Ta-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/650>, abgerufen am 28.09.2024.