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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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teil und Trachten der grauen deutschen Vorzeit verhaftet, und erst
vor Kurzem hat wieder ein "Amelungenlied" die Presse verlassen. In
gewissem Sinne verdient seine eherne Beharrlichkeit Anerkennung in
unserer zersplitterten, aphoristischen Zeit, und man wird zugeben müs¬
sen, daß die gepriesenen alten Meister der Architectur, Malerei, Ton¬
kunst, Poesie dem rastlosen Sich-Versenken in Eine Gattung, die sie
in all ihrem Detail zu bewältigen nicht müde werden konnten, die
schönsten Blätter ihres Lorbeerkranzes danken. Nur ein kleiner Unter¬
schied dürfte nicht übersehen werden. Die alten Meister hielten streng
bei Einem aus, dieses Eine aber hatte seine Wurzeln tief im Leben
der Zeit geschlagen; Karl Simrock beharrt gleichfalls unverdrossen
bei dem Einen, Erkorenen; das Eine aber liegt unserer Zeit ganz
entsetzlich sern. Nur am Rheine ist mir dieses begabten Dichters
Trachten einigermaßen begreiflich geworden; -- hier wird so viel
gedombaut und bei fast jeder neuen Dorfkirche schreiben die Architec-
ten Erercitien des gothischen und romanischen Styles, hier wucherten
die schmachtenden Düsseldorfer Lilien, die gemalten Goldschmiedötöch-
terlein und Edelfräulein, daß man auch Simrock's altdeutsche Rococo-
studien in gewisser Hinsicht ganz liebenswürdig finden kann.

Gottfried Kinkel, keiner der Geringsten in der rheinischen
Poeten-Diaspora, wohnt auf Schloß Poppelsdorf -- (nicht absichts¬
los legen wir jedesmal einen Accent auf den Wohnort). Seine im
verflossenen Jahre bei Cotta erschienenen Gedichte sind in der ungün¬
stigsten Zeit vor's Publicum getreten und deshalb im Ganzen we¬
niger beachtet worden, als sie verdient hätten, ebenso sein treffliches
Dichtwerk: Otto der Schütz, eine rheinische Geschichte in zwölf Aben¬
teuern. Ein hoher männlicher Ernst, eine thatkräftige Gesinnung spricht
sich in Kinkel's Poesien aus, lyrisch verklärt in der geheimen Weh¬
mut!) über das Vergebliche seines Ringens, die auch manchmal in halb
verbissenem Groll, in bitterer Ironie gewaltsam hervorbricht. Man sieht,
Kinkel hat während des Trauerspiels der Gegenwart die Augen offen
geHallen, und dennoch ist er rheinischer Poet, d. h. er muß, die Aben¬
teuer Otto's des Schützen singen, die sich vor fünfhundert Jahren
ereignet haben. O, man hätte nicht nöthig, zu den Nibelungen und
Amelungen oder an den Hof Dietrich's von Eleve zurückzugehen, um
rheinische Abenteuer zu schreiben! Ihr Herren Poeten am Rheine.
wie habt Ihr sie in den verflossenen drei Jahren des fünften Deren-


teil und Trachten der grauen deutschen Vorzeit verhaftet, und erst
vor Kurzem hat wieder ein „Amelungenlied" die Presse verlassen. In
gewissem Sinne verdient seine eherne Beharrlichkeit Anerkennung in
unserer zersplitterten, aphoristischen Zeit, und man wird zugeben müs¬
sen, daß die gepriesenen alten Meister der Architectur, Malerei, Ton¬
kunst, Poesie dem rastlosen Sich-Versenken in Eine Gattung, die sie
in all ihrem Detail zu bewältigen nicht müde werden konnten, die
schönsten Blätter ihres Lorbeerkranzes danken. Nur ein kleiner Unter¬
schied dürfte nicht übersehen werden. Die alten Meister hielten streng
bei Einem aus, dieses Eine aber hatte seine Wurzeln tief im Leben
der Zeit geschlagen; Karl Simrock beharrt gleichfalls unverdrossen
bei dem Einen, Erkorenen; das Eine aber liegt unserer Zeit ganz
entsetzlich sern. Nur am Rheine ist mir dieses begabten Dichters
Trachten einigermaßen begreiflich geworden; — hier wird so viel
gedombaut und bei fast jeder neuen Dorfkirche schreiben die Architec-
ten Erercitien des gothischen und romanischen Styles, hier wucherten
die schmachtenden Düsseldorfer Lilien, die gemalten Goldschmiedötöch-
terlein und Edelfräulein, daß man auch Simrock's altdeutsche Rococo-
studien in gewisser Hinsicht ganz liebenswürdig finden kann.

Gottfried Kinkel, keiner der Geringsten in der rheinischen
Poeten-Diaspora, wohnt auf Schloß Poppelsdorf — (nicht absichts¬
los legen wir jedesmal einen Accent auf den Wohnort). Seine im
verflossenen Jahre bei Cotta erschienenen Gedichte sind in der ungün¬
stigsten Zeit vor's Publicum getreten und deshalb im Ganzen we¬
niger beachtet worden, als sie verdient hätten, ebenso sein treffliches
Dichtwerk: Otto der Schütz, eine rheinische Geschichte in zwölf Aben¬
teuern. Ein hoher männlicher Ernst, eine thatkräftige Gesinnung spricht
sich in Kinkel's Poesien aus, lyrisch verklärt in der geheimen Weh¬
mut!) über das Vergebliche seines Ringens, die auch manchmal in halb
verbissenem Groll, in bitterer Ironie gewaltsam hervorbricht. Man sieht,
Kinkel hat während des Trauerspiels der Gegenwart die Augen offen
geHallen, und dennoch ist er rheinischer Poet, d. h. er muß, die Aben¬
teuer Otto's des Schützen singen, die sich vor fünfhundert Jahren
ereignet haben. O, man hätte nicht nöthig, zu den Nibelungen und
Amelungen oder an den Hof Dietrich's von Eleve zurückzugehen, um
rheinische Abenteuer zu schreiben! Ihr Herren Poeten am Rheine.
wie habt Ihr sie in den verflossenen drei Jahren des fünften Deren-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/649>, abgerufen am 28.09.2024.