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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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anmuthiges, kunstreich gewobenes Deutsch? Gehört ihr köstlicher Styl
zum Wesentlichen der Partei, oder ist er ein bloßes Adiaphoron? --
Viel guter Samen, der Bürge einer besseren Zukunft, schlummert
in dem rheinischen Volke, aber wer thut dafür, daß er aufgehe?
Preußen hat sein altes, schönes Privilegium, der Staat der Intelli¬
genz zu sein, mit der größten Bereitwilligkeit an die kleineren deut¬
schen Länder, namentlich des Südwestens, abgetreten, und in Berlin
hört man auf der Einen Seite sast nur das Gnadengewimmer ei¬
nes wahrhaft unwürdigen Pietismus, andererseits das polternde
Raisonnement eines hohlköpsigen, aufgeblasenenScheinliberaliömus. --




Wir gehen von der rheinischen Journalistik zu einer skizzirten
Schilderung der Wirksamkeit einiger literarisch bedeutenden Männer
über, die an den Ufern des Rheines sich niedergelassen haben. In
seltsamer, freiwilliger Jsolirung, sowohl unter einander, als den Inter¬
essen der Zeit gegenüber (nicht der Parteien, meine ich), hat sich ein
Theil der rheinischen Poeten und Literaten des entschiedenen Einflus¬
ses begeben, welchen man früher wohl von einem geschlossenen, ge¬
meinsamen Streben erwartet hat. -- Freiligrath sitzt in Se. Goar.
Läßt sich's doch kaum begreifen, daß ein so begabter Geist nach den
ersten glänzenden Erfolgen bereits mit einer nur tropfenweisen Spende
seiner Produktion karge! Soll man es einer schnell erschöpften Ein¬
seitigkeit des Talentes Schuld geben? Freiligrath's neueste Gedichte
legen Protest ein gegen diese Behauptung, denn sie lassen uns einen
bedeutenden Umschwung seiner inneren Entwickelung ahnen und be¬
urkunden genügend, daß seine dichterische Kraft auch die langen un¬
fruchtbaren Jahre hindurch ungebrochen sich erhalten; aber was ist
mit drei, vier lyrischen Gedichten aufs Jahr gewonnen? Man braucht
kein radikaler Oppositionsmann, kein politisierender Kunstvandale zu
sein, und kann doch wohl die bescheidene Frage stellen: Wo nehmt
Ihr Herren am Rheine in unseren Tagen Ruhe und Friede her, Nichts
als lyrische Gedichte zu sreiben?

-- "nicht eine Welt ist's, Käthe,
Zum Puppenspiel und zum Gefecht mit Lippen:
Blutige Nasen gibt's!"--

Simrock wohnt in Unkel. Er bleibt fort und fort mit Dich-


anmuthiges, kunstreich gewobenes Deutsch? Gehört ihr köstlicher Styl
zum Wesentlichen der Partei, oder ist er ein bloßes Adiaphoron? —
Viel guter Samen, der Bürge einer besseren Zukunft, schlummert
in dem rheinischen Volke, aber wer thut dafür, daß er aufgehe?
Preußen hat sein altes, schönes Privilegium, der Staat der Intelli¬
genz zu sein, mit der größten Bereitwilligkeit an die kleineren deut¬
schen Länder, namentlich des Südwestens, abgetreten, und in Berlin
hört man auf der Einen Seite sast nur das Gnadengewimmer ei¬
nes wahrhaft unwürdigen Pietismus, andererseits das polternde
Raisonnement eines hohlköpsigen, aufgeblasenenScheinliberaliömus. —




Wir gehen von der rheinischen Journalistik zu einer skizzirten
Schilderung der Wirksamkeit einiger literarisch bedeutenden Männer
über, die an den Ufern des Rheines sich niedergelassen haben. In
seltsamer, freiwilliger Jsolirung, sowohl unter einander, als den Inter¬
essen der Zeit gegenüber (nicht der Parteien, meine ich), hat sich ein
Theil der rheinischen Poeten und Literaten des entschiedenen Einflus¬
ses begeben, welchen man früher wohl von einem geschlossenen, ge¬
meinsamen Streben erwartet hat. — Freiligrath sitzt in Se. Goar.
Läßt sich's doch kaum begreifen, daß ein so begabter Geist nach den
ersten glänzenden Erfolgen bereits mit einer nur tropfenweisen Spende
seiner Produktion karge! Soll man es einer schnell erschöpften Ein¬
seitigkeit des Talentes Schuld geben? Freiligrath's neueste Gedichte
legen Protest ein gegen diese Behauptung, denn sie lassen uns einen
bedeutenden Umschwung seiner inneren Entwickelung ahnen und be¬
urkunden genügend, daß seine dichterische Kraft auch die langen un¬
fruchtbaren Jahre hindurch ungebrochen sich erhalten; aber was ist
mit drei, vier lyrischen Gedichten aufs Jahr gewonnen? Man braucht
kein radikaler Oppositionsmann, kein politisierender Kunstvandale zu
sein, und kann doch wohl die bescheidene Frage stellen: Wo nehmt
Ihr Herren am Rheine in unseren Tagen Ruhe und Friede her, Nichts
als lyrische Gedichte zu sreiben?

— „nicht eine Welt ist's, Käthe,
Zum Puppenspiel und zum Gefecht mit Lippen:
Blutige Nasen gibt's!"--

Simrock wohnt in Unkel. Er bleibt fort und fort mit Dich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/648>, abgerufen am 29.06.2024.