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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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geworden sind, würden es schwer empfinden. Verödet ihre Knopflö¬
cher, verwaist die heilige Stätte der Auszeichnung auf dem Busen
ihrer Fräcke! In der That muß man vor Allem warnen, was eine
solche Katastrophe beschleunigen kann. Rußland beginnt schon, sich
abzuschließen und laßt seine Kinder nur ungern in das Innere Eu¬
ropas reisen. So eben ist die russische Neisepaßtare um das Vier¬
fache erhöht worden-. -Sonst betrug sie fünfzig Silberrubel jährlich,
jetzt muß der Russe für die Erlaubniß, ein Jahr lang freie nicht-
russische Luft zu schöpfen, zweihundert Silberrubel zahlen. Eine Fa¬
milie bezahlt für jedes einzelne Glied, und wäre dies ein Säugling;
ein Ehepaar mit drei Kindern z. B. für das Heimweh, das sie etwa
in der Fremde sich holen dürften, jährlich tausend Silberrubel; unge¬
fähr so viel, als mancher bescheidene Haushalt kostet.

-- Die herzoglich Sächsischen und auch die Anhaltischen Sou¬
veräne haben sich aus eigener Machtvollkommenheit den Titel: Ho¬
heit beigelegt. Warum nicht? Napoleon setzte sich die Kaiserkrone
auch eigenhändig auf's Haupt. Man behauptet, die Coburger und
Altenburger würden darin von Frankreich, England, Spanien und
Portugal unterstützt, auch Nassau sei zu einem ähnlichen Schritte be¬
reit und werde von Rußland dazu aufgemuntert, während Oesterreich
und Preußen noch zu keinem festen Entschluß über Anerkennung oder
Desavouirung der Hoheiten gekommen seien. Es wäre traurig, wenn
der deutsche Bund Schwierigkeiten machte und dadurch eine Inter¬
vention der Großmächte, vielleicht gar eine neue Spaltung des eini¬
gen Vaterlandes herbeiführte. Auf dem Leipziger Lesemuseum übri¬
gens hat sich bereits Herzog Joseph von Altenburg, der es besuchte,
mit dem Prädicate Hoheit in's Fremdenbuch geschrieben. Wahrschein¬
lich steht also zu hoffen, daß man die Hoheitöerklärung als ein i'.ut
ilccomsili gelten lassen und den europäischen Frieden um einer an sich
ganz harmlosen politischen Arrondirung willen nicht weiter stören
werde.

-- Nach langem Waffenstillstand war unlängst wieder ein großes
Iweckessen in Leipzig, im Schützenhause; dem Abgeordneten Braun
zu Ehren. Unter den auswärtigen Toastirendcn zeichneten sich Todt,
Braun, Bürgermeister Hempel von Altenburg u. a. aus. -- In einer
literarischen Abendunterhaltung, die im Gewandhause gegeben wurde,
improvisiere O. L. B. Wolff aus Jena, die Hagn declamirte und Her-
loßsohn las sehr witzig über die "Philosophie des Luxus und der
Moden". Der Polizeidirector Dunker aus Berlin war zugegen; die
Lehrfreiheit wurde aber nicht gestört.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kurandi.
Druck von Friedrich Andral.

geworden sind, würden es schwer empfinden. Verödet ihre Knopflö¬
cher, verwaist die heilige Stätte der Auszeichnung auf dem Busen
ihrer Fräcke! In der That muß man vor Allem warnen, was eine
solche Katastrophe beschleunigen kann. Rußland beginnt schon, sich
abzuschließen und laßt seine Kinder nur ungern in das Innere Eu¬
ropas reisen. So eben ist die russische Neisepaßtare um das Vier¬
fache erhöht worden-. -Sonst betrug sie fünfzig Silberrubel jährlich,
jetzt muß der Russe für die Erlaubniß, ein Jahr lang freie nicht-
russische Luft zu schöpfen, zweihundert Silberrubel zahlen. Eine Fa¬
milie bezahlt für jedes einzelne Glied, und wäre dies ein Säugling;
ein Ehepaar mit drei Kindern z. B. für das Heimweh, das sie etwa
in der Fremde sich holen dürften, jährlich tausend Silberrubel; unge¬
fähr so viel, als mancher bescheidene Haushalt kostet.

— Die herzoglich Sächsischen und auch die Anhaltischen Sou¬
veräne haben sich aus eigener Machtvollkommenheit den Titel: Ho¬
heit beigelegt. Warum nicht? Napoleon setzte sich die Kaiserkrone
auch eigenhändig auf's Haupt. Man behauptet, die Coburger und
Altenburger würden darin von Frankreich, England, Spanien und
Portugal unterstützt, auch Nassau sei zu einem ähnlichen Schritte be¬
reit und werde von Rußland dazu aufgemuntert, während Oesterreich
und Preußen noch zu keinem festen Entschluß über Anerkennung oder
Desavouirung der Hoheiten gekommen seien. Es wäre traurig, wenn
der deutsche Bund Schwierigkeiten machte und dadurch eine Inter¬
vention der Großmächte, vielleicht gar eine neue Spaltung des eini¬
gen Vaterlandes herbeiführte. Auf dem Leipziger Lesemuseum übri¬
gens hat sich bereits Herzog Joseph von Altenburg, der es besuchte,
mit dem Prädicate Hoheit in's Fremdenbuch geschrieben. Wahrschein¬
lich steht also zu hoffen, daß man die Hoheitöerklärung als ein i'.ut
ilccomsili gelten lassen und den europäischen Frieden um einer an sich
ganz harmlosen politischen Arrondirung willen nicht weiter stören
werde.

— Nach langem Waffenstillstand war unlängst wieder ein großes
Iweckessen in Leipzig, im Schützenhause; dem Abgeordneten Braun
zu Ehren. Unter den auswärtigen Toastirendcn zeichneten sich Todt,
Braun, Bürgermeister Hempel von Altenburg u. a. aus. — In einer
literarischen Abendunterhaltung, die im Gewandhause gegeben wurde,
improvisiere O. L. B. Wolff aus Jena, die Hagn declamirte und Her-
loßsohn las sehr witzig über die „Philosophie des Luxus und der
Moden". Der Polizeidirector Dunker aus Berlin war zugegen; die
Lehrfreiheit wurde aber nicht gestört.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurandi.
Druck von Friedrich Andral.
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[0644] geworden sind, würden es schwer empfinden. Verödet ihre Knopflö¬ cher, verwaist die heilige Stätte der Auszeichnung auf dem Busen ihrer Fräcke! In der That muß man vor Allem warnen, was eine solche Katastrophe beschleunigen kann. Rußland beginnt schon, sich abzuschließen und laßt seine Kinder nur ungern in das Innere Eu¬ ropas reisen. So eben ist die russische Neisepaßtare um das Vier¬ fache erhöht worden-. -Sonst betrug sie fünfzig Silberrubel jährlich, jetzt muß der Russe für die Erlaubniß, ein Jahr lang freie nicht- russische Luft zu schöpfen, zweihundert Silberrubel zahlen. Eine Fa¬ milie bezahlt für jedes einzelne Glied, und wäre dies ein Säugling; ein Ehepaar mit drei Kindern z. B. für das Heimweh, das sie etwa in der Fremde sich holen dürften, jährlich tausend Silberrubel; unge¬ fähr so viel, als mancher bescheidene Haushalt kostet. — Die herzoglich Sächsischen und auch die Anhaltischen Sou¬ veräne haben sich aus eigener Machtvollkommenheit den Titel: Ho¬ heit beigelegt. Warum nicht? Napoleon setzte sich die Kaiserkrone auch eigenhändig auf's Haupt. Man behauptet, die Coburger und Altenburger würden darin von Frankreich, England, Spanien und Portugal unterstützt, auch Nassau sei zu einem ähnlichen Schritte be¬ reit und werde von Rußland dazu aufgemuntert, während Oesterreich und Preußen noch zu keinem festen Entschluß über Anerkennung oder Desavouirung der Hoheiten gekommen seien. Es wäre traurig, wenn der deutsche Bund Schwierigkeiten machte und dadurch eine Inter¬ vention der Großmächte, vielleicht gar eine neue Spaltung des eini¬ gen Vaterlandes herbeiführte. Auf dem Leipziger Lesemuseum übri¬ gens hat sich bereits Herzog Joseph von Altenburg, der es besuchte, mit dem Prädicate Hoheit in's Fremdenbuch geschrieben. Wahrschein¬ lich steht also zu hoffen, daß man die Hoheitöerklärung als ein i'.ut ilccomsili gelten lassen und den europäischen Frieden um einer an sich ganz harmlosen politischen Arrondirung willen nicht weiter stören werde. — Nach langem Waffenstillstand war unlängst wieder ein großes Iweckessen in Leipzig, im Schützenhause; dem Abgeordneten Braun zu Ehren. Unter den auswärtigen Toastirendcn zeichneten sich Todt, Braun, Bürgermeister Hempel von Altenburg u. a. aus. — In einer literarischen Abendunterhaltung, die im Gewandhause gegeben wurde, improvisiere O. L. B. Wolff aus Jena, die Hagn declamirte und Her- loßsohn las sehr witzig über die „Philosophie des Luxus und der Moden". Der Polizeidirector Dunker aus Berlin war zugegen; die Lehrfreiheit wurde aber nicht gestört. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kurandi. Druck von Friedrich Andral.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/644>, abgerufen am 29.06.2024.