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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Was das Interesse einer solchen staatsmännischen Haltung in der
Liebe betrifft, erlaube ich mir, an Woltmann's Memoiren des Frei¬
herrn von S--aa zu erinnern.

Eine vollendete Figur ist Ove Guldberg, der verschmitzte
Geistliche und Staatsrath. Laube läßt ihn das Dänenthum vertre¬
ten und macht dadurch diesen Charakter weit wirksamer/als wenn er
ihn zum Bösewicht aus gemeinen Motiven gestempelt hatte. Guld¬
berg handelt aus patriotischem Haß gegen die Deutschen; die Dänen
müssen ihm Recht geben und wir Deutschen selbst können ihm nicht
alle Theilnahme versagen. Dieser Gegensatz zwischen Dänen und
Fremden begleitet in Laube's Stück anziehend den in Struensee dar¬
gestellten Kampf des Genies gegen Herkommen, Kastenrecht und ideen¬
losen Zustand, und es fehlt nicht an überraschenden Reflexen für un¬
sere Gegenwart. Wieder stehen sich Deutsche und Dänen gegenüber,
wieder ficht die kleine tapfere Nation innerhalb der Wagenburg ihrer
Inseln und ihrer Heldenerinncrungen gegen das Vorrücken des deut¬
schen Geistes, der, ob auch zu Hause tausendfach zersplittert, doch nach
Außen sich zu einer compacten Masse zusammenschließt. Wer nicht
mit Gewalt sich wehren kann, der braucht List, wer seinen Groll ver¬
beißen muß, lernt Tücke. So mag es kommen, daß Dänemark, in
die Mitte geworfen zwischen englischen, deutschen, russischen und selbst
französischen Einfluß und seit lange daran gewöhnt, im Fahrwasser
fremder Politik steuern zu müssen, endlich eine gewisse Verstecktheit in
seinen Volkscharakter aufnahm, ohne daß man mit Arndt (in seinen
schwedischen Geschichten) diesen Zug schon aus den Völkerstürmen,
welche noch in heidnischer Zeit über Dänemarks Inseln wehten, zu
erklären braucht. --Ist aber das Antlitz der Zeit sich nicht erschreckend
gleich geblieben, wie ein starr nach Osten gewandtes Medusenhaupt,
wenn man die Worte lies't, womit Struensee seine Vertheidigungs¬
schrift schloß, einige Tage, ehe sein Haupt auf das Schaffst rollte:
"Ich habe oft genug daran gemahnt, daß Rußland nicht Däne-
marks einzige Stütze ist und daß man nicht Alles der Freundschaft
dieser Macht opfern soll!" -- Guldberg, als Repräsentant eines stol¬
zen, unterdrückten und dabei klugen Volkes, ist von Laube mit wah¬
rer Meisterhand gezeichnet. -- Gleiches ist von dem geisteskranken
König Christian VIt. zu sagen. Er schreitet in Finsterniß und doch
mit einigem Nachtwandlerinstinct; namentlich ist der Eifer, womit er,
die Sympathie zwischen Karoline Mathilde und Struensee gleichsam
empfindend, des Letzteren Vermählung mit der Gräfin Gallen be¬
treibt, ein feiner psychologischer Zug. -- Ranzau, der Intriguant,
in dessen Gestalt Scribe in der hübschen Komödie Bertrand und Ra¬
ten Talleyrand auf die Bretter brachte, wird von Laube mit einem
Strich Gutmüthigkeit geschildert, bleibt aber doch ein zweideutiger,
unangenehmer Charakter. -- Oberst v. Köller ist ein Edelmann, wie


Was das Interesse einer solchen staatsmännischen Haltung in der
Liebe betrifft, erlaube ich mir, an Woltmann's Memoiren des Frei¬
herrn von S—aa zu erinnern.

Eine vollendete Figur ist Ove Guldberg, der verschmitzte
Geistliche und Staatsrath. Laube läßt ihn das Dänenthum vertre¬
ten und macht dadurch diesen Charakter weit wirksamer/als wenn er
ihn zum Bösewicht aus gemeinen Motiven gestempelt hatte. Guld¬
berg handelt aus patriotischem Haß gegen die Deutschen; die Dänen
müssen ihm Recht geben und wir Deutschen selbst können ihm nicht
alle Theilnahme versagen. Dieser Gegensatz zwischen Dänen und
Fremden begleitet in Laube's Stück anziehend den in Struensee dar¬
gestellten Kampf des Genies gegen Herkommen, Kastenrecht und ideen¬
losen Zustand, und es fehlt nicht an überraschenden Reflexen für un¬
sere Gegenwart. Wieder stehen sich Deutsche und Dänen gegenüber,
wieder ficht die kleine tapfere Nation innerhalb der Wagenburg ihrer
Inseln und ihrer Heldenerinncrungen gegen das Vorrücken des deut¬
schen Geistes, der, ob auch zu Hause tausendfach zersplittert, doch nach
Außen sich zu einer compacten Masse zusammenschließt. Wer nicht
mit Gewalt sich wehren kann, der braucht List, wer seinen Groll ver¬
beißen muß, lernt Tücke. So mag es kommen, daß Dänemark, in
die Mitte geworfen zwischen englischen, deutschen, russischen und selbst
französischen Einfluß und seit lange daran gewöhnt, im Fahrwasser
fremder Politik steuern zu müssen, endlich eine gewisse Verstecktheit in
seinen Volkscharakter aufnahm, ohne daß man mit Arndt (in seinen
schwedischen Geschichten) diesen Zug schon aus den Völkerstürmen,
welche noch in heidnischer Zeit über Dänemarks Inseln wehten, zu
erklären braucht. —Ist aber das Antlitz der Zeit sich nicht erschreckend
gleich geblieben, wie ein starr nach Osten gewandtes Medusenhaupt,
wenn man die Worte lies't, womit Struensee seine Vertheidigungs¬
schrift schloß, einige Tage, ehe sein Haupt auf das Schaffst rollte:
„Ich habe oft genug daran gemahnt, daß Rußland nicht Däne-
marks einzige Stütze ist und daß man nicht Alles der Freundschaft
dieser Macht opfern soll!" — Guldberg, als Repräsentant eines stol¬
zen, unterdrückten und dabei klugen Volkes, ist von Laube mit wah¬
rer Meisterhand gezeichnet. — Gleiches ist von dem geisteskranken
König Christian VIt. zu sagen. Er schreitet in Finsterniß und doch
mit einigem Nachtwandlerinstinct; namentlich ist der Eifer, womit er,
die Sympathie zwischen Karoline Mathilde und Struensee gleichsam
empfindend, des Letzteren Vermählung mit der Gräfin Gallen be¬
treibt, ein feiner psychologischer Zug. — Ranzau, der Intriguant,
in dessen Gestalt Scribe in der hübschen Komödie Bertrand und Ra¬
ten Talleyrand auf die Bretter brachte, wird von Laube mit einem
Strich Gutmüthigkeit geschildert, bleibt aber doch ein zweideutiger,
unangenehmer Charakter. — Oberst v. Köller ist ein Edelmann, wie


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[0635] Was das Interesse einer solchen staatsmännischen Haltung in der Liebe betrifft, erlaube ich mir, an Woltmann's Memoiren des Frei¬ herrn von S—aa zu erinnern. Eine vollendete Figur ist Ove Guldberg, der verschmitzte Geistliche und Staatsrath. Laube läßt ihn das Dänenthum vertre¬ ten und macht dadurch diesen Charakter weit wirksamer/als wenn er ihn zum Bösewicht aus gemeinen Motiven gestempelt hatte. Guld¬ berg handelt aus patriotischem Haß gegen die Deutschen; die Dänen müssen ihm Recht geben und wir Deutschen selbst können ihm nicht alle Theilnahme versagen. Dieser Gegensatz zwischen Dänen und Fremden begleitet in Laube's Stück anziehend den in Struensee dar¬ gestellten Kampf des Genies gegen Herkommen, Kastenrecht und ideen¬ losen Zustand, und es fehlt nicht an überraschenden Reflexen für un¬ sere Gegenwart. Wieder stehen sich Deutsche und Dänen gegenüber, wieder ficht die kleine tapfere Nation innerhalb der Wagenburg ihrer Inseln und ihrer Heldenerinncrungen gegen das Vorrücken des deut¬ schen Geistes, der, ob auch zu Hause tausendfach zersplittert, doch nach Außen sich zu einer compacten Masse zusammenschließt. Wer nicht mit Gewalt sich wehren kann, der braucht List, wer seinen Groll ver¬ beißen muß, lernt Tücke. So mag es kommen, daß Dänemark, in die Mitte geworfen zwischen englischen, deutschen, russischen und selbst französischen Einfluß und seit lange daran gewöhnt, im Fahrwasser fremder Politik steuern zu müssen, endlich eine gewisse Verstecktheit in seinen Volkscharakter aufnahm, ohne daß man mit Arndt (in seinen schwedischen Geschichten) diesen Zug schon aus den Völkerstürmen, welche noch in heidnischer Zeit über Dänemarks Inseln wehten, zu erklären braucht. —Ist aber das Antlitz der Zeit sich nicht erschreckend gleich geblieben, wie ein starr nach Osten gewandtes Medusenhaupt, wenn man die Worte lies't, womit Struensee seine Vertheidigungs¬ schrift schloß, einige Tage, ehe sein Haupt auf das Schaffst rollte: „Ich habe oft genug daran gemahnt, daß Rußland nicht Däne- marks einzige Stütze ist und daß man nicht Alles der Freundschaft dieser Macht opfern soll!" — Guldberg, als Repräsentant eines stol¬ zen, unterdrückten und dabei klugen Volkes, ist von Laube mit wah¬ rer Meisterhand gezeichnet. — Gleiches ist von dem geisteskranken König Christian VIt. zu sagen. Er schreitet in Finsterniß und doch mit einigem Nachtwandlerinstinct; namentlich ist der Eifer, womit er, die Sympathie zwischen Karoline Mathilde und Struensee gleichsam empfindend, des Letzteren Vermählung mit der Gräfin Gallen be¬ treibt, ein feiner psychologischer Zug. — Ranzau, der Intriguant, in dessen Gestalt Scribe in der hübschen Komödie Bertrand und Ra¬ ten Talleyrand auf die Bretter brachte, wird von Laube mit einem Strich Gutmüthigkeit geschildert, bleibt aber doch ein zweideutiger, unangenehmer Charakter. — Oberst v. Köller ist ein Edelmann, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/635>, abgerufen am 29.06.2024.