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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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nicht verhaften, nicht eriliren, nicht umbringen, der man nur nach¬
geben kann.

Laube hat diesen Struensee, den despotischen Philosophen, der im
achtzehnten Jahrhunderte Gewalt brauchen mußte, wo jetzt vom Zeit¬
geiste weite Breschen gerissen sind, und der nur siel, weil er sich nicht
zu der für Staatsmänner unerläßlichen Mirabeau'schen Regel: "Qv"
Al'-ma" Jonnes no ävcjai^rollt pit" Jo" polie" me>>en"" bequemen wollte,
sehr wahr gezeichnet; nur mit Einer Ausnahme, wobei ich jedoch
gerne die Möglichkeit eines Irrthums zugebe. Der geschichtliche Struen¬
see war, so scheint es, nur den Leidenschaften des Kopfes, nicht aber denen
des Herzens unterworfen. Bekanntlich ist es unerwiesen, daß Struen¬
see in strafbarem Verhältnisse zu der liebenswürdigen Königin Karo¬
line Mathilde stand; denn das peinliche Verfahren gegen Struensee,
dessen Gegner unedel genug waren, sogar die gesetzlich von ihm auf¬
gehobene Tortur gegen ihn anzuwenden, ist eine Kette von Nichtigkei¬
ten, seine Verurtheilung einer der schreiendsten Justizgräuel des vori¬
gen Jahrhunderts. Der Pastor der französischen Gemeinde zu Zelle,
dem Verbannungsorte der unglücklichen Königin, Mr. Rogues, ein
sehr achtbarer Mann, versichert, daß die Fürstin unmittelbar vor ih¬
rem Hinscheiden ausgerufen habe: "Ich werde jetzt vor Gott treten,
Herr Prediger; aber ich betheuere, daß ich die Verbrechen, deren man
mich beschuldigt hat, nicht begangen habe, und daß ich meinem Ge¬
mahl nie untreu war." Nehmen wir aber auch an, daß Struensee
in einem Verhältnisse zur Königin gestanden, so ist es zwar von Laube
recht ästhetisch empfunden, daß er das criminelle Verhältniß in eine
unerwiederte Leidenschaft Struensee's und in eine eben erst aufkeimende,
aber züchtig bekämpfte und durch die Katastrophe überstürzte Neig¬
ung der Königin verwandelt hat. Allein dabei muß ich gestehen, daß
mir die Spaltung Struensee's in einen energischen, klaren und wil¬
lenskräftigen Minister hier und in einen fast bis zur Raserei schwär¬
merischen Liebhaber dort ein Widerspruch scheint, der zwar als Natur¬
spiel nicht gerade unmöglich sein wird, der aber die einheitliche Be¬
trachtung Struensee's hindert, weil wir immer wieder mit Anstreng¬
ung eine psychologische Kluft überspringen müssen. Sonderbar! Laube
selbst hat eine einfache Lösung nahe gelegt, ohne Gebrauch davon zu
machen. Seine Gräfin Gallen behandelte mit Struensee unter den
Scherzen der Liebe die Politik, sie freut sich darauf, als seine Gattin
diesen Genuß hoher Geister mit ihm fortsetzen zu können. Warum
erhob Laube nicht das Verhältniß Struensee's und der Königin auf
diese Stufe? Man sieht im Verlaufe des Stückes wohl, daß die
Königin der Politik nicht fremd ist und daß auf Struensee's Leiden¬
schaft, ob ihm selbst auch unbewußt, die politische Wichtigkeit der
Geliebten einwirkte: aber es müßte mehr hervorgehoben werden, mir
wenigstens ist eine bestimmte Andeutung dieses Moments entgangen.


nicht verhaften, nicht eriliren, nicht umbringen, der man nur nach¬
geben kann.

Laube hat diesen Struensee, den despotischen Philosophen, der im
achtzehnten Jahrhunderte Gewalt brauchen mußte, wo jetzt vom Zeit¬
geiste weite Breschen gerissen sind, und der nur siel, weil er sich nicht
zu der für Staatsmänner unerläßlichen Mirabeau'schen Regel: „Qv«
Al'-ma« Jonnes no ävcjai^rollt pit« Jo» polie» me>>en»" bequemen wollte,
sehr wahr gezeichnet; nur mit Einer Ausnahme, wobei ich jedoch
gerne die Möglichkeit eines Irrthums zugebe. Der geschichtliche Struen¬
see war, so scheint es, nur den Leidenschaften des Kopfes, nicht aber denen
des Herzens unterworfen. Bekanntlich ist es unerwiesen, daß Struen¬
see in strafbarem Verhältnisse zu der liebenswürdigen Königin Karo¬
line Mathilde stand; denn das peinliche Verfahren gegen Struensee,
dessen Gegner unedel genug waren, sogar die gesetzlich von ihm auf¬
gehobene Tortur gegen ihn anzuwenden, ist eine Kette von Nichtigkei¬
ten, seine Verurtheilung einer der schreiendsten Justizgräuel des vori¬
gen Jahrhunderts. Der Pastor der französischen Gemeinde zu Zelle,
dem Verbannungsorte der unglücklichen Königin, Mr. Rogues, ein
sehr achtbarer Mann, versichert, daß die Fürstin unmittelbar vor ih¬
rem Hinscheiden ausgerufen habe: „Ich werde jetzt vor Gott treten,
Herr Prediger; aber ich betheuere, daß ich die Verbrechen, deren man
mich beschuldigt hat, nicht begangen habe, und daß ich meinem Ge¬
mahl nie untreu war." Nehmen wir aber auch an, daß Struensee
in einem Verhältnisse zur Königin gestanden, so ist es zwar von Laube
recht ästhetisch empfunden, daß er das criminelle Verhältniß in eine
unerwiederte Leidenschaft Struensee's und in eine eben erst aufkeimende,
aber züchtig bekämpfte und durch die Katastrophe überstürzte Neig¬
ung der Königin verwandelt hat. Allein dabei muß ich gestehen, daß
mir die Spaltung Struensee's in einen energischen, klaren und wil¬
lenskräftigen Minister hier und in einen fast bis zur Raserei schwär¬
merischen Liebhaber dort ein Widerspruch scheint, der zwar als Natur¬
spiel nicht gerade unmöglich sein wird, der aber die einheitliche Be¬
trachtung Struensee's hindert, weil wir immer wieder mit Anstreng¬
ung eine psychologische Kluft überspringen müssen. Sonderbar! Laube
selbst hat eine einfache Lösung nahe gelegt, ohne Gebrauch davon zu
machen. Seine Gräfin Gallen behandelte mit Struensee unter den
Scherzen der Liebe die Politik, sie freut sich darauf, als seine Gattin
diesen Genuß hoher Geister mit ihm fortsetzen zu können. Warum
erhob Laube nicht das Verhältniß Struensee's und der Königin auf
diese Stufe? Man sieht im Verlaufe des Stückes wohl, daß die
Königin der Politik nicht fremd ist und daß auf Struensee's Leiden¬
schaft, ob ihm selbst auch unbewußt, die politische Wichtigkeit der
Geliebten einwirkte: aber es müßte mehr hervorgehoben werden, mir
wenigstens ist eine bestimmte Andeutung dieses Moments entgangen.


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[0634] nicht verhaften, nicht eriliren, nicht umbringen, der man nur nach¬ geben kann. Laube hat diesen Struensee, den despotischen Philosophen, der im achtzehnten Jahrhunderte Gewalt brauchen mußte, wo jetzt vom Zeit¬ geiste weite Breschen gerissen sind, und der nur siel, weil er sich nicht zu der für Staatsmänner unerläßlichen Mirabeau'schen Regel: „Qv« Al'-ma« Jonnes no ävcjai^rollt pit« Jo» polie» me>>en»" bequemen wollte, sehr wahr gezeichnet; nur mit Einer Ausnahme, wobei ich jedoch gerne die Möglichkeit eines Irrthums zugebe. Der geschichtliche Struen¬ see war, so scheint es, nur den Leidenschaften des Kopfes, nicht aber denen des Herzens unterworfen. Bekanntlich ist es unerwiesen, daß Struen¬ see in strafbarem Verhältnisse zu der liebenswürdigen Königin Karo¬ line Mathilde stand; denn das peinliche Verfahren gegen Struensee, dessen Gegner unedel genug waren, sogar die gesetzlich von ihm auf¬ gehobene Tortur gegen ihn anzuwenden, ist eine Kette von Nichtigkei¬ ten, seine Verurtheilung einer der schreiendsten Justizgräuel des vori¬ gen Jahrhunderts. Der Pastor der französischen Gemeinde zu Zelle, dem Verbannungsorte der unglücklichen Königin, Mr. Rogues, ein sehr achtbarer Mann, versichert, daß die Fürstin unmittelbar vor ih¬ rem Hinscheiden ausgerufen habe: „Ich werde jetzt vor Gott treten, Herr Prediger; aber ich betheuere, daß ich die Verbrechen, deren man mich beschuldigt hat, nicht begangen habe, und daß ich meinem Ge¬ mahl nie untreu war." Nehmen wir aber auch an, daß Struensee in einem Verhältnisse zur Königin gestanden, so ist es zwar von Laube recht ästhetisch empfunden, daß er das criminelle Verhältniß in eine unerwiederte Leidenschaft Struensee's und in eine eben erst aufkeimende, aber züchtig bekämpfte und durch die Katastrophe überstürzte Neig¬ ung der Königin verwandelt hat. Allein dabei muß ich gestehen, daß mir die Spaltung Struensee's in einen energischen, klaren und wil¬ lenskräftigen Minister hier und in einen fast bis zur Raserei schwär¬ merischen Liebhaber dort ein Widerspruch scheint, der zwar als Natur¬ spiel nicht gerade unmöglich sein wird, der aber die einheitliche Be¬ trachtung Struensee's hindert, weil wir immer wieder mit Anstreng¬ ung eine psychologische Kluft überspringen müssen. Sonderbar! Laube selbst hat eine einfache Lösung nahe gelegt, ohne Gebrauch davon zu machen. Seine Gräfin Gallen behandelte mit Struensee unter den Scherzen der Liebe die Politik, sie freut sich darauf, als seine Gattin diesen Genuß hoher Geister mit ihm fortsetzen zu können. Warum erhob Laube nicht das Verhältniß Struensee's und der Königin auf diese Stufe? Man sieht im Verlaufe des Stückes wohl, daß die Königin der Politik nicht fremd ist und daß auf Struensee's Leiden¬ schaft, ob ihm selbst auch unbewußt, die politische Wichtigkeit der Geliebten einwirkte: aber es müßte mehr hervorgehoben werden, mir wenigstens ist eine bestimmte Andeutung dieses Moments entgangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/634>, abgerufen am 28.09.2024.