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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Wir haben mich Herrn- und Damengesellschaften, die es ve"
schmähen, sich auf die bisherige Weise zu unterhalten; unter diesen
zeichnen sich vor allen diejenigen aus, in denen gar Nichts getrieben
wird. Die Unterhaltung besteht hier aus lauter -- Unterhaltung, wie --
man erlaube für Triviales einen trivialen Vergleich -- wie die Ge¬
gend von Berlin aus lauter Gegend besteht. Man affektirt hier den
Hofton, man erscheint spät, en Zr-duckt te-nue, Nichts hebt sich hervor,
Nichts fällt auf, man ist hier durchaus vornehm, und Nichts als
vornehm. Nichts fehlt diesen Zirkeln, um ganz ihrem Original zu
entsprechen, als gerade das Bezeichnende, jener feine Reiz, der so
ephemer die Sinne berührt, daß es vergebens sein würde, die Art
desselben zu definiren.

In dergleichen Gesellschaften sind auch die um allerwärts in
Deutschland einheimischen Engländer, und bilden hier den Mittelpunkt,
wenn nicht der Unterhaltung, doch der Aufmerksamkeit. Sie bringen
ihre Sitten mir in unser Land und wir schämen uns vor ihnen der
unsren; wir richten uns schnell nach demi, was wir bei ihnen sehen;
denn wir Deutschen lassen uns nicht nur in fremden Häusern Gesetze
vorschreiben. Kein "deutscher Tölpel" und keine Tölpelin will sich in der
verrufenen Eigenthümlichkeit zeigen, sie ahmen daher lieber einem noch
Ungrazivseren nach, als daß sie den Versuch wagten, nach eigenem
Takt gehen zu lernen. Wir geben uns viel Mühe, fremde Sprachen
zu erlernen, hauptsächlich, weil wir nicht einmal im eigenen Lande
mit der unseren durchkommen würden. Die Franzosen reden uns in
ihrer Sprache an, weil sie diese bei uns voraussetzen; die Eng¬
länder reden uns gar nicht an, weil sie gar Nichts bei uns vor¬
aussetzen. Erstere ignorirenuns nur, letztere aber unterdrücken
uns.

John Bull, der in seiner Heimath die erbärmlichste Rolle spielt,
gibt bei uns den Ton an und trifft die sorglichste Auswahl unter
uns Barbaren. Wen er aber begünstigt, dessen Verträge gelten, Eng¬
land hat sie ratificirt. Und dennoch lernen wir niemals selbständig
auf- und entgegenzutreten. Es gibt wenig napoleonische Gemüther
unter uns, sonst trachteten wir eher eine Continentalsperre bis auf
die ambulanten Repräsentanten der Nation auszudehnen, statt uns im
eigenen Hause verachten zu lassen.


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Wir haben mich Herrn- und Damengesellschaften, die es ve»
schmähen, sich auf die bisherige Weise zu unterhalten; unter diesen
zeichnen sich vor allen diejenigen aus, in denen gar Nichts getrieben
wird. Die Unterhaltung besteht hier aus lauter — Unterhaltung, wie —
man erlaube für Triviales einen trivialen Vergleich — wie die Ge¬
gend von Berlin aus lauter Gegend besteht. Man affektirt hier den
Hofton, man erscheint spät, en Zr-duckt te-nue, Nichts hebt sich hervor,
Nichts fällt auf, man ist hier durchaus vornehm, und Nichts als
vornehm. Nichts fehlt diesen Zirkeln, um ganz ihrem Original zu
entsprechen, als gerade das Bezeichnende, jener feine Reiz, der so
ephemer die Sinne berührt, daß es vergebens sein würde, die Art
desselben zu definiren.

In dergleichen Gesellschaften sind auch die um allerwärts in
Deutschland einheimischen Engländer, und bilden hier den Mittelpunkt,
wenn nicht der Unterhaltung, doch der Aufmerksamkeit. Sie bringen
ihre Sitten mir in unser Land und wir schämen uns vor ihnen der
unsren; wir richten uns schnell nach demi, was wir bei ihnen sehen;
denn wir Deutschen lassen uns nicht nur in fremden Häusern Gesetze
vorschreiben. Kein „deutscher Tölpel" und keine Tölpelin will sich in der
verrufenen Eigenthümlichkeit zeigen, sie ahmen daher lieber einem noch
Ungrazivseren nach, als daß sie den Versuch wagten, nach eigenem
Takt gehen zu lernen. Wir geben uns viel Mühe, fremde Sprachen
zu erlernen, hauptsächlich, weil wir nicht einmal im eigenen Lande
mit der unseren durchkommen würden. Die Franzosen reden uns in
ihrer Sprache an, weil sie diese bei uns voraussetzen; die Eng¬
länder reden uns gar nicht an, weil sie gar Nichts bei uns vor¬
aussetzen. Erstere ignorirenuns nur, letztere aber unterdrücken
uns.

John Bull, der in seiner Heimath die erbärmlichste Rolle spielt,
gibt bei uns den Ton an und trifft die sorglichste Auswahl unter
uns Barbaren. Wen er aber begünstigt, dessen Verträge gelten, Eng¬
land hat sie ratificirt. Und dennoch lernen wir niemals selbständig
auf- und entgegenzutreten. Es gibt wenig napoleonische Gemüther
unter uns, sonst trachteten wir eher eine Continentalsperre bis auf
die ambulanten Repräsentanten der Nation auszudehnen, statt uns im
eigenen Hause verachten zu lassen.


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[0615] Wir haben mich Herrn- und Damengesellschaften, die es ve» schmähen, sich auf die bisherige Weise zu unterhalten; unter diesen zeichnen sich vor allen diejenigen aus, in denen gar Nichts getrieben wird. Die Unterhaltung besteht hier aus lauter — Unterhaltung, wie — man erlaube für Triviales einen trivialen Vergleich — wie die Ge¬ gend von Berlin aus lauter Gegend besteht. Man affektirt hier den Hofton, man erscheint spät, en Zr-duckt te-nue, Nichts hebt sich hervor, Nichts fällt auf, man ist hier durchaus vornehm, und Nichts als vornehm. Nichts fehlt diesen Zirkeln, um ganz ihrem Original zu entsprechen, als gerade das Bezeichnende, jener feine Reiz, der so ephemer die Sinne berührt, daß es vergebens sein würde, die Art desselben zu definiren. In dergleichen Gesellschaften sind auch die um allerwärts in Deutschland einheimischen Engländer, und bilden hier den Mittelpunkt, wenn nicht der Unterhaltung, doch der Aufmerksamkeit. Sie bringen ihre Sitten mir in unser Land und wir schämen uns vor ihnen der unsren; wir richten uns schnell nach demi, was wir bei ihnen sehen; denn wir Deutschen lassen uns nicht nur in fremden Häusern Gesetze vorschreiben. Kein „deutscher Tölpel" und keine Tölpelin will sich in der verrufenen Eigenthümlichkeit zeigen, sie ahmen daher lieber einem noch Ungrazivseren nach, als daß sie den Versuch wagten, nach eigenem Takt gehen zu lernen. Wir geben uns viel Mühe, fremde Sprachen zu erlernen, hauptsächlich, weil wir nicht einmal im eigenen Lande mit der unseren durchkommen würden. Die Franzosen reden uns in ihrer Sprache an, weil sie diese bei uns voraussetzen; die Eng¬ länder reden uns gar nicht an, weil sie gar Nichts bei uns vor¬ aussetzen. Erstere ignorirenuns nur, letztere aber unterdrücken uns. John Bull, der in seiner Heimath die erbärmlichste Rolle spielt, gibt bei uns den Ton an und trifft die sorglichste Auswahl unter uns Barbaren. Wen er aber begünstigt, dessen Verträge gelten, Eng¬ land hat sie ratificirt. Und dennoch lernen wir niemals selbständig auf- und entgegenzutreten. Es gibt wenig napoleonische Gemüther unter uns, sonst trachteten wir eher eine Continentalsperre bis auf die ambulanten Repräsentanten der Nation auszudehnen, statt uns im eigenen Hause verachten zu lassen. 7V*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/615>, abgerufen am 28.09.2024.