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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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meist ganz andere Motive, als die Veränderung des leitenden Prin¬
cips." -- "Thut Nichts, man spricht davon, und dies ist schon sehr
viel." --"Nun denn, glückseliger Berliner! sprich, wenn es Dir Freude
macht. Ein jutes Jesprach ist auch eine jute Jade Jottes." --

Bedeutender, als diese Gespräche, ist die Veröffentlichung des Fi¬
nanz-Etats, die vor einigen Tagen erschienen ist und diesmal einige
Rubriken mehr enthält, als bei früheren ähnlichen Rechnungslegun¬
gen. Eine genauere Einsicht in die Verwendung des Staatseinkom-
mcns ist zwar auch dies Mal nicht möglich, indessen ist'dieses seit
den letzten denkwürdigen Landtagsabschieden das erste erfreuliche Zei¬
chen, daß man der öffentlichen Meinung ein Zugeständniß machen
will. Heine macht in seinen Reisebildern den Witz, es sei ihm beim
Französtschlernen passirt, daß er den Glauben immer mit I"
"u-c-"In übersetzte und in der Folge habe er selten den Beweis ge¬
funden, daß der Glaube über den Credit gehe. Unsere Staatsleiter
haben in den letzten Jahren wirklich eingesehen, daß der Credit eine
zu wichtige Basis ist, um dabei dieselben mittelalterlichen Principien
festzuhalten wie in Sachen des Glaubens. Es ist charakteristisch, daß
die liberaleren Fortschritte in Preußen wie in Oesterreich aus dem
Ressort des Finanzministeriums ausgingen, wahrend die CultuSange-
legenheit immer noch der Hemmschuh für die Culturangelegcnheit blieb.
Wenn früher der Clerus, der Herrenstand und der tivi-s-or-U als die
drei Hauptabtheilungen des Staats betrachtet wurden, so zeigt sich
jetzt, daß aller Einfluß auf die Scaatslcitung nur in den Handen des
ersteren und des letzteren sich befindet. Der Herrenstand ist durchge¬
fallen, der Stoß des arbeitenden Bürgerthums hat ihn niedergewor¬
fen. Der Priester und der Industrie!- haben den Platz allein behaup¬
tet, und da diese Beiden auf ganz verschiedenen Bahnen sich bewegen,
so ist ein Ausammenstoß zwischen ihnen weniger möglich und ihre
Herrschaft kann noch lange hinaus sich erstrecken. Dies ist auch die
Ursache, warum in den beiden industriellsten Staaten Europas, in
England und in Belgien die kirchliche Macht die festesten Wurzel"
hat.

Neuigkeiten aus der Gesellschaft gibt es wenige, weil der Früh¬
ling diese aufgelöst hat und alle Welt in die schönes!) Natur
hinauszieht! Was Berlin an größeren geselligen Salons besitzt ,
richtet sich nach dem Hofe, und da die Königin bereits vor vierzehn
Tagen ihre letzte Abendgesellschaft gab, so lösen sich allmälig die Soi¬
reen auf und nur noch einige Nachzügler empfangen des Abends.
Auch das Theater ist nicht besonders stark besucht. 'Nur das Gast¬
spiel Döring's füllt es halb und halb. Eine vortreffliche Vorstellung
der Göthe'schen Iphigenie, in welcher die Crelinger der mimischen
"Kunst" zu dem ihr bestrittenen Ehrennamen das Recht eroberte,
spielte vor einem leeren Hause. Emilia Gallotti ging wieder über die


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meist ganz andere Motive, als die Veränderung des leitenden Prin¬
cips." — „Thut Nichts, man spricht davon, und dies ist schon sehr
viel." —„Nun denn, glückseliger Berliner! sprich, wenn es Dir Freude
macht. Ein jutes Jesprach ist auch eine jute Jade Jottes." —

Bedeutender, als diese Gespräche, ist die Veröffentlichung des Fi¬
nanz-Etats, die vor einigen Tagen erschienen ist und diesmal einige
Rubriken mehr enthält, als bei früheren ähnlichen Rechnungslegun¬
gen. Eine genauere Einsicht in die Verwendung des Staatseinkom-
mcns ist zwar auch dies Mal nicht möglich, indessen ist'dieses seit
den letzten denkwürdigen Landtagsabschieden das erste erfreuliche Zei¬
chen, daß man der öffentlichen Meinung ein Zugeständniß machen
will. Heine macht in seinen Reisebildern den Witz, es sei ihm beim
Französtschlernen passirt, daß er den Glauben immer mit I«
«u-c-«In übersetzte und in der Folge habe er selten den Beweis ge¬
funden, daß der Glaube über den Credit gehe. Unsere Staatsleiter
haben in den letzten Jahren wirklich eingesehen, daß der Credit eine
zu wichtige Basis ist, um dabei dieselben mittelalterlichen Principien
festzuhalten wie in Sachen des Glaubens. Es ist charakteristisch, daß
die liberaleren Fortschritte in Preußen wie in Oesterreich aus dem
Ressort des Finanzministeriums ausgingen, wahrend die CultuSange-
legenheit immer noch der Hemmschuh für die Culturangelegcnheit blieb.
Wenn früher der Clerus, der Herrenstand und der tivi-s-or-U als die
drei Hauptabtheilungen des Staats betrachtet wurden, so zeigt sich
jetzt, daß aller Einfluß auf die Scaatslcitung nur in den Handen des
ersteren und des letzteren sich befindet. Der Herrenstand ist durchge¬
fallen, der Stoß des arbeitenden Bürgerthums hat ihn niedergewor¬
fen. Der Priester und der Industrie!- haben den Platz allein behaup¬
tet, und da diese Beiden auf ganz verschiedenen Bahnen sich bewegen,
so ist ein Ausammenstoß zwischen ihnen weniger möglich und ihre
Herrschaft kann noch lange hinaus sich erstrecken. Dies ist auch die
Ursache, warum in den beiden industriellsten Staaten Europas, in
England und in Belgien die kirchliche Macht die festesten Wurzel»
hat.

Neuigkeiten aus der Gesellschaft gibt es wenige, weil der Früh¬
ling diese aufgelöst hat und alle Welt in die schönes!) Natur
hinauszieht! Was Berlin an größeren geselligen Salons besitzt ,
richtet sich nach dem Hofe, und da die Königin bereits vor vierzehn
Tagen ihre letzte Abendgesellschaft gab, so lösen sich allmälig die Soi¬
reen auf und nur noch einige Nachzügler empfangen des Abends.
Auch das Theater ist nicht besonders stark besucht. 'Nur das Gast¬
spiel Döring's füllt es halb und halb. Eine vortreffliche Vorstellung
der Göthe'schen Iphigenie, in welcher die Crelinger der mimischen
„Kunst" zu dem ihr bestrittenen Ehrennamen das Recht eroberte,
spielte vor einem leeren Hause. Emilia Gallotti ging wieder über die


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[0607] meist ganz andere Motive, als die Veränderung des leitenden Prin¬ cips." — „Thut Nichts, man spricht davon, und dies ist schon sehr viel." —„Nun denn, glückseliger Berliner! sprich, wenn es Dir Freude macht. Ein jutes Jesprach ist auch eine jute Jade Jottes." — Bedeutender, als diese Gespräche, ist die Veröffentlichung des Fi¬ nanz-Etats, die vor einigen Tagen erschienen ist und diesmal einige Rubriken mehr enthält, als bei früheren ähnlichen Rechnungslegun¬ gen. Eine genauere Einsicht in die Verwendung des Staatseinkom- mcns ist zwar auch dies Mal nicht möglich, indessen ist'dieses seit den letzten denkwürdigen Landtagsabschieden das erste erfreuliche Zei¬ chen, daß man der öffentlichen Meinung ein Zugeständniß machen will. Heine macht in seinen Reisebildern den Witz, es sei ihm beim Französtschlernen passirt, daß er den Glauben immer mit I« «u-c-«In übersetzte und in der Folge habe er selten den Beweis ge¬ funden, daß der Glaube über den Credit gehe. Unsere Staatsleiter haben in den letzten Jahren wirklich eingesehen, daß der Credit eine zu wichtige Basis ist, um dabei dieselben mittelalterlichen Principien festzuhalten wie in Sachen des Glaubens. Es ist charakteristisch, daß die liberaleren Fortschritte in Preußen wie in Oesterreich aus dem Ressort des Finanzministeriums ausgingen, wahrend die CultuSange- legenheit immer noch der Hemmschuh für die Culturangelegcnheit blieb. Wenn früher der Clerus, der Herrenstand und der tivi-s-or-U als die drei Hauptabtheilungen des Staats betrachtet wurden, so zeigt sich jetzt, daß aller Einfluß auf die Scaatslcitung nur in den Handen des ersteren und des letzteren sich befindet. Der Herrenstand ist durchge¬ fallen, der Stoß des arbeitenden Bürgerthums hat ihn niedergewor¬ fen. Der Priester und der Industrie!- haben den Platz allein behaup¬ tet, und da diese Beiden auf ganz verschiedenen Bahnen sich bewegen, so ist ein Ausammenstoß zwischen ihnen weniger möglich und ihre Herrschaft kann noch lange hinaus sich erstrecken. Dies ist auch die Ursache, warum in den beiden industriellsten Staaten Europas, in England und in Belgien die kirchliche Macht die festesten Wurzel» hat. Neuigkeiten aus der Gesellschaft gibt es wenige, weil der Früh¬ ling diese aufgelöst hat und alle Welt in die schönes!) Natur hinauszieht! Was Berlin an größeren geselligen Salons besitzt , richtet sich nach dem Hofe, und da die Königin bereits vor vierzehn Tagen ihre letzte Abendgesellschaft gab, so lösen sich allmälig die Soi¬ reen auf und nur noch einige Nachzügler empfangen des Abends. Auch das Theater ist nicht besonders stark besucht. 'Nur das Gast¬ spiel Döring's füllt es halb und halb. Eine vortreffliche Vorstellung der Göthe'schen Iphigenie, in welcher die Crelinger der mimischen „Kunst" zu dem ihr bestrittenen Ehrennamen das Recht eroberte, spielte vor einem leeren Hause. Emilia Gallotti ging wieder über die 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/607>, abgerufen am 29.06.2024.