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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Bretter und Döring verlor als Mcmnelli manche Gunst. Die be¬
liebtesten Darstellungen dieses Schauspielers sind: Banquier Müller
in Bauernftld's "Liebesprococoll", Elias Krumm in Kotzebue's "Grade
Weg der beste", und in der Kleist'schen Posse "der zerbrochene Krug"
als Richter Adam. Diese drei Stücke müssen oft wiederholt werden.

Meyerbeer lebt ziemlich zurückgezogen; er arbeitet an der Parti¬
tur eines Festspicls zur Eröffnung des Opernhauses. Mendelssohn
ist nach London abgereist. Viele Anekdoten her lustigsten Art circu-
liren von Neuem über die Eifersucht dieser beiden Tondichter. Die
Anwesenheit des Musikdirektors Hiller aus Leipzig, der hier sein treff¬
liches Oratorium "Die Zerstörung Jerusalems" mit großem Erfolge
zur Aufführung brachte, weckte jene Anekdoten wieder auf. Hiller, der
ein langjähriger Bekannter Meyerbeer's und Freund Mendelssohn's ist,
kam in Berlin zwischen zwei Feuer und der daraus entstandene Con¬
flict lieferte den hiesigen Musikern, welche wie die Weiber gerne ihre
Zunge in Bewegung setzen, viel Material zur Uebung in der Näch¬
stenliebe. --

Karl Beck, der während der letzten zwei Jahre theils in seiner
Vaterstadt Pesth, theils in Wien, stille schaffend, lebte, befindet sich
seit mehreren Wochen hier in Berlin, wo eine bekannte Buchhand¬
lung den Verlag seiner neuesten Dichtung "Auferstehung" über¬
nommen hat. Diese Dichtung, die durch eine öffentliche Vorlesung
in Dresden bereits ein Gegenstand vielfacher Besprechung in den
Journalen wurde, ist bei der ersten Vorlage von der hiesigen Censur
gestrichen worden. Wohlgemerkt, von der Berliner Censur. Es ist
kaum zu erwarten, daß die Publication in Leipzig, Stuttgart, Köln
oder sonst einer deutschen Stadt, die nicht "der Herd der deutschen
Intelligenz" ist, wie Berlin sich bescheiden nennt, Schwierigkeit ge¬
funden haben würde. Das neue Werk des Dichters "der gepanzerten
Lieder" hat nämlich vor seinen früheren Dichtungen nicht nur die
poetische Reife voraus, sondern auch die höhere politische. Obgleich
trunken von Begeisterung für Freiheit und Menschenrecht, ist dieses
Gedicht, dessen Manuskript wir kennen, keineswegs in die Klasse der
"revolutionären" zu stellen. In glühenden Worten und mit aller
Kraft der Phantasie schildert der Dichter die Mißbestande in allen
Klassen der Gesellschaft und trägt seine Wünsche in kühner
Beredsamkeit vor. Aber diese Wünsche verlassen nicht den Kreis der
Besonnenheit und das Maß, das alle wirklichen Freiheitsfreunde in
Deutschland sich vorgezeichnet haben. Sie sind der Aufbaues jener
politischen Confesston, die sich in Frankreich, wo man für solche
Dinge das bezeichnende Wort früher findet, die "Democratie pacifi-
que"' nennt. Die Gesinnung des Gedichtes mahnt an Lamartine,
obschon der Genius desselben den französischen Poeten weit hinter sich
zurückläßt. -- Um das Erscheinen seines Werkes zu beschleunigen,


Bretter und Döring verlor als Mcmnelli manche Gunst. Die be¬
liebtesten Darstellungen dieses Schauspielers sind: Banquier Müller
in Bauernftld's „Liebesprococoll", Elias Krumm in Kotzebue's „Grade
Weg der beste", und in der Kleist'schen Posse „der zerbrochene Krug"
als Richter Adam. Diese drei Stücke müssen oft wiederholt werden.

Meyerbeer lebt ziemlich zurückgezogen; er arbeitet an der Parti¬
tur eines Festspicls zur Eröffnung des Opernhauses. Mendelssohn
ist nach London abgereist. Viele Anekdoten her lustigsten Art circu-
liren von Neuem über die Eifersucht dieser beiden Tondichter. Die
Anwesenheit des Musikdirektors Hiller aus Leipzig, der hier sein treff¬
liches Oratorium „Die Zerstörung Jerusalems" mit großem Erfolge
zur Aufführung brachte, weckte jene Anekdoten wieder auf. Hiller, der
ein langjähriger Bekannter Meyerbeer's und Freund Mendelssohn's ist,
kam in Berlin zwischen zwei Feuer und der daraus entstandene Con¬
flict lieferte den hiesigen Musikern, welche wie die Weiber gerne ihre
Zunge in Bewegung setzen, viel Material zur Uebung in der Näch¬
stenliebe. —

Karl Beck, der während der letzten zwei Jahre theils in seiner
Vaterstadt Pesth, theils in Wien, stille schaffend, lebte, befindet sich
seit mehreren Wochen hier in Berlin, wo eine bekannte Buchhand¬
lung den Verlag seiner neuesten Dichtung „Auferstehung" über¬
nommen hat. Diese Dichtung, die durch eine öffentliche Vorlesung
in Dresden bereits ein Gegenstand vielfacher Besprechung in den
Journalen wurde, ist bei der ersten Vorlage von der hiesigen Censur
gestrichen worden. Wohlgemerkt, von der Berliner Censur. Es ist
kaum zu erwarten, daß die Publication in Leipzig, Stuttgart, Köln
oder sonst einer deutschen Stadt, die nicht „der Herd der deutschen
Intelligenz" ist, wie Berlin sich bescheiden nennt, Schwierigkeit ge¬
funden haben würde. Das neue Werk des Dichters „der gepanzerten
Lieder" hat nämlich vor seinen früheren Dichtungen nicht nur die
poetische Reife voraus, sondern auch die höhere politische. Obgleich
trunken von Begeisterung für Freiheit und Menschenrecht, ist dieses
Gedicht, dessen Manuskript wir kennen, keineswegs in die Klasse der
„revolutionären" zu stellen. In glühenden Worten und mit aller
Kraft der Phantasie schildert der Dichter die Mißbestande in allen
Klassen der Gesellschaft und trägt seine Wünsche in kühner
Beredsamkeit vor. Aber diese Wünsche verlassen nicht den Kreis der
Besonnenheit und das Maß, das alle wirklichen Freiheitsfreunde in
Deutschland sich vorgezeichnet haben. Sie sind der Aufbaues jener
politischen Confesston, die sich in Frankreich, wo man für solche
Dinge das bezeichnende Wort früher findet, die „Democratie pacifi-
que"' nennt. Die Gesinnung des Gedichtes mahnt an Lamartine,
obschon der Genius desselben den französischen Poeten weit hinter sich
zurückläßt. — Um das Erscheinen seines Werkes zu beschleunigen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/608>, abgerufen am 28.09.2024.