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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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des geistlichen Mannes, er hustete mehrere Male und machte Beweg¬
ungen der Verlegenheit; aber er war mehr Mensch als Pastor und
ließ das leichtfertige Weltkind an seinem heiligen Busen schlummern!

Am folgenden Tage, gen Mittag, erreichten wir Celle. Die
ganze Gesellschaft reiste aus Hannover zu; so trennte ich mich denn
von ihr, um mich gegen Braunschweig zu wenden. In Celle sah ich
viel hübsche Mädchen und noch mehr kalte Schreibergesichter. An
einem großen Gebäude las ich "Königliches Oberappellationsgericht."
Wenn man bedenkt, daß in der neuesten Zeit, von allen anderen
Willkürlichkeiten abgesehen, ein ganzer Stand, der Bauernstand, wie¬
der zur Unmündigkeit zurückgedrängt wurde, indem man keinem Bau¬
ern mehr erlaubt, ohne Zuziehung eines Advocaten Contracte zu
schließen, so mag man wohl mit Bekümmernis; auf dieses Volk
blicken, welches, wenn der König droht, die Garnison weg-
zu nehmen, weh- und demüthig zu Kreuze kriecht. Die
hannöversche Opposition hat sich durch ihre Kraftlosigkeit eine
Schuld aufgebürdet, die sich nie wird abbüßen lassen. Mag sich nun
auch da und dort ein Schmerzensschrei der Neue hören lassen: die
Neue wird wohl nur in der Religion und nicht in der Politik ein
einmal begangenes Vergehen wieder auslöschen können.

Von Celle nach Braunschweig kommt man durch reiche Buchen¬
waldung und an üppigen Wiesen vorbei. Das Volk, welches hier
wohnt, die Dörfer, welche man berührt, tragen ganz den alten säch¬
sischen Charakter. Man glaubt beinahe, sich in Holstein zu befinden
und wird durch die plattdeutsche Sprache um so mehr in dieser Täu¬
schung erhalten. Es liegt eine wunderbare Traulichkeit in diesen al¬
ten sächsischen Klängen, aber es ist auch nicht zu läugnen, baß eS
mannichfache Elemente darin gibt, die einer allgemeinen Volksbildung,
wie unsere Zeit sie verlangt, widerstreben. Die plattdeutsche Sprache
ist nicht, wie die hochdeutsche, einer reichen Landschaft ähnlich, mir
schroffen Bergen und mit lieblichen Thälern, mit Katarakten und
rauschenden Waldungen, sie ist flach und breit, wie jene Gegenden,
in denen sie noch immer gesprochen wird; sie ist ein volles Kornfew,
viele blaue Chanen darinnen. Als Schriftsprache sind ihr längst keine
Rechte mehr zugestanden, in der Lutherischen Bibelübersetzung si^te
die Intelligenz der hochdeutschen Sprache und nur uoch selten lallte
die niederdeutsche, die Säugamme des alten Reinecke de Voß, in


des geistlichen Mannes, er hustete mehrere Male und machte Beweg¬
ungen der Verlegenheit; aber er war mehr Mensch als Pastor und
ließ das leichtfertige Weltkind an seinem heiligen Busen schlummern!

Am folgenden Tage, gen Mittag, erreichten wir Celle. Die
ganze Gesellschaft reiste aus Hannover zu; so trennte ich mich denn
von ihr, um mich gegen Braunschweig zu wenden. In Celle sah ich
viel hübsche Mädchen und noch mehr kalte Schreibergesichter. An
einem großen Gebäude las ich „Königliches Oberappellationsgericht."
Wenn man bedenkt, daß in der neuesten Zeit, von allen anderen
Willkürlichkeiten abgesehen, ein ganzer Stand, der Bauernstand, wie¬
der zur Unmündigkeit zurückgedrängt wurde, indem man keinem Bau¬
ern mehr erlaubt, ohne Zuziehung eines Advocaten Contracte zu
schließen, so mag man wohl mit Bekümmernis; auf dieses Volk
blicken, welches, wenn der König droht, die Garnison weg-
zu nehmen, weh- und demüthig zu Kreuze kriecht. Die
hannöversche Opposition hat sich durch ihre Kraftlosigkeit eine
Schuld aufgebürdet, die sich nie wird abbüßen lassen. Mag sich nun
auch da und dort ein Schmerzensschrei der Neue hören lassen: die
Neue wird wohl nur in der Religion und nicht in der Politik ein
einmal begangenes Vergehen wieder auslöschen können.

Von Celle nach Braunschweig kommt man durch reiche Buchen¬
waldung und an üppigen Wiesen vorbei. Das Volk, welches hier
wohnt, die Dörfer, welche man berührt, tragen ganz den alten säch¬
sischen Charakter. Man glaubt beinahe, sich in Holstein zu befinden
und wird durch die plattdeutsche Sprache um so mehr in dieser Täu¬
schung erhalten. Es liegt eine wunderbare Traulichkeit in diesen al¬
ten sächsischen Klängen, aber es ist auch nicht zu läugnen, baß eS
mannichfache Elemente darin gibt, die einer allgemeinen Volksbildung,
wie unsere Zeit sie verlangt, widerstreben. Die plattdeutsche Sprache
ist nicht, wie die hochdeutsche, einer reichen Landschaft ähnlich, mir
schroffen Bergen und mit lieblichen Thälern, mit Katarakten und
rauschenden Waldungen, sie ist flach und breit, wie jene Gegenden,
in denen sie noch immer gesprochen wird; sie ist ein volles Kornfew,
viele blaue Chanen darinnen. Als Schriftsprache sind ihr längst keine
Rechte mehr zugestanden, in der Lutherischen Bibelübersetzung si^te
die Intelligenz der hochdeutschen Sprache und nur uoch selten lallte
die niederdeutsche, die Säugamme des alten Reinecke de Voß, in


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[0604] des geistlichen Mannes, er hustete mehrere Male und machte Beweg¬ ungen der Verlegenheit; aber er war mehr Mensch als Pastor und ließ das leichtfertige Weltkind an seinem heiligen Busen schlummern! Am folgenden Tage, gen Mittag, erreichten wir Celle. Die ganze Gesellschaft reiste aus Hannover zu; so trennte ich mich denn von ihr, um mich gegen Braunschweig zu wenden. In Celle sah ich viel hübsche Mädchen und noch mehr kalte Schreibergesichter. An einem großen Gebäude las ich „Königliches Oberappellationsgericht." Wenn man bedenkt, daß in der neuesten Zeit, von allen anderen Willkürlichkeiten abgesehen, ein ganzer Stand, der Bauernstand, wie¬ der zur Unmündigkeit zurückgedrängt wurde, indem man keinem Bau¬ ern mehr erlaubt, ohne Zuziehung eines Advocaten Contracte zu schließen, so mag man wohl mit Bekümmernis; auf dieses Volk blicken, welches, wenn der König droht, die Garnison weg- zu nehmen, weh- und demüthig zu Kreuze kriecht. Die hannöversche Opposition hat sich durch ihre Kraftlosigkeit eine Schuld aufgebürdet, die sich nie wird abbüßen lassen. Mag sich nun auch da und dort ein Schmerzensschrei der Neue hören lassen: die Neue wird wohl nur in der Religion und nicht in der Politik ein einmal begangenes Vergehen wieder auslöschen können. Von Celle nach Braunschweig kommt man durch reiche Buchen¬ waldung und an üppigen Wiesen vorbei. Das Volk, welches hier wohnt, die Dörfer, welche man berührt, tragen ganz den alten säch¬ sischen Charakter. Man glaubt beinahe, sich in Holstein zu befinden und wird durch die plattdeutsche Sprache um so mehr in dieser Täu¬ schung erhalten. Es liegt eine wunderbare Traulichkeit in diesen al¬ ten sächsischen Klängen, aber es ist auch nicht zu läugnen, baß eS mannichfache Elemente darin gibt, die einer allgemeinen Volksbildung, wie unsere Zeit sie verlangt, widerstreben. Die plattdeutsche Sprache ist nicht, wie die hochdeutsche, einer reichen Landschaft ähnlich, mir schroffen Bergen und mit lieblichen Thälern, mit Katarakten und rauschenden Waldungen, sie ist flach und breit, wie jene Gegenden, in denen sie noch immer gesprochen wird; sie ist ein volles Kornfew, viele blaue Chanen darinnen. Als Schriftsprache sind ihr längst keine Rechte mehr zugestanden, in der Lutherischen Bibelübersetzung si^te die Intelligenz der hochdeutschen Sprache und nur uoch selten lallte die niederdeutsche, die Säugamme des alten Reinecke de Voß, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/604>, abgerufen am 29.06.2024.